12.05.2023

Weniger Wahlen heißt weniger Demokratie

Wenn Politiker aller Parteien sich einig sind, ist Skepsis angebracht. So auch bei dem einmütigen Votum der Wahlrechtsexperten aller Parteien, den Bundestag von 2025 an nur noch alle fünf Jahre wählen zu lassen. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) hat sich da schon festgelegt: „Eine fünfjährige Legislaturperiode wäre auch für den Deutschen Bundestag gut.“

Mit einer Verlängerung der Legislaturperiode würde der Bund dem Beispiel der Länder folgen. In 15 von 16 Landtagen dauert die Wahlperiode bereits fünf Jahre. Lediglich Bremen, wo am Sonntag gewählt wird, hat am Vier-Jahre-Rhythmus festgehalten. Die Ampel hatte schon im Koalitionsvertrag festgelegt, eine „Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre“ zu prüfen.

Die Wähler haben das Nachsehen

Wenn der Bundestag nur noch alle fünf Jahre gewählt werden soll, bedeutet das eine deutliche Einschränkung der Rechte der Bürger. Bei vierjährigen Legislaturperioden, wie es in Deutschland jahrzehntelang gang und gäbe war, konnte jeder Bürger in den 60 Jahren zwischen seinem 18. und dem 78. Geburtstag im Schnitt dreißigmal seine Stimme abgeben, jeweils fünfzehnmal im Bund und im Land. Inzwischen sind es bereits drei Landtagswahlen weniger. Rechnerisch kann also jede nur noch siebenundzwanzigmal zur Wahl gehen. Wenn jetzt der Bundestag dem Beispiel der Länderparlamente folgt, reduziert sich die Möglichkeit zur Stimmabgabe in diesen sechs Jahrzehnten auf 24.

24 statt 30, das ist ein Minus von 20 Prozent. Und es bedeutet eine deutliche Beschränkung der demokratischen Mitwirkungsmöglichkeiten der Bürger. Das sollte auch kein Politiker sagen, das sei doch nicht viel. Bei einer Senkung ihrer Bezüge um 20 Prozent würden die Volksvertreter sicher nicht von einer Kleinigkeit sprechen.

Längere Wahlperiode führt nicht zu besseren Ergebnisse

Das zentrale Argumente für eine längere Wahlperiode im Bund ist dasselbe, mit dem die Wahlperioden in den Ländern verlängert wurden. Es lautet: Nach einer Wahl brauche eine Regierung fast ein Jahr, um sich zusammenzufinden. Dann könne man zwei Jahre lang halbwegs ruhig regieren. Im vierten Jahr stehe dann alles bereits im Zeichen des Wahlkampfes. Bei fünf Jahren blieben dagegen drei produktive Regierungsjahre. Das komme der Qualität politische Entscheidungen zu gute.

Wenn das alles zuträfe, müssten die fünfzehn Bundesländer heute allesamt besser und effektiver regiert werden, als das in früheren Zeiten der Fall war. Das freilich hat niemand zu behaupten gewagt. Es wäre wohl auch schwer, die Qualität politischen Handelns zu messen, um Unterschiede zwischen einer vier- und einer fünfjährigen Regierungszeit beurteilen zu können. Jedenfalls scheint sich noch kein Wissenschaftler darangemacht zu haben, dies zu belegen.

Wer regieren will, der kann damit schnell anfangen

Die These, eine Regierung brauche das erste Jahr, um sich ordentlich einzuarbeiten, hält einer näheren Betrachtung ohnehin nicht stand. Die Ampel-Regierung hat unter dem Druck von Ereignissen wie Inflation, Energiekrise und Ukraine-Krieg sehr schnell „geliefert“, ganz gleich, wie man zu den Inhalten rot-grün-gelber Politik stehen mag.

Das übrigens 1998 nicht anders. Da war Rot-Grün noch nicht richtig im Amt, als die Regierung sich wegen des Kosovokriegs entscheiden musste, die Bundeswehr zum ersten Mal in einen Kampfeinsatz zu schicken. Womit bewiesen wäre: Wer regieren will, der kann damit schnell anfangen.

Weniger Wahlen erhöhen die Lebensqualität der Politiker

In Wirklichkeit geht es den Befürwortern längerer Legislaturperioden über alle Parteigrenzen hinweg um etwas anderes: Sie wollen es bequemer haben. Längere Amtszeiten bedeuten weniger Wahlen. Weniger Wahlen bedeuten weniger Wahlkämpfe. Weniger Wahlkämpfe bedeuten weniger Stress und weniger Kosten. Kurz: Längere Wahlperioden erhöhen die politische Lebensqualität der Parlamentarier.

Das passt nicht zusammen. Einerseits beschwören die Politiker die Bedeutung von Wahlen. „Mehr Demokratie wagen“, jenes berühmte Wort von Willy Brandt, geht inzwischen Politikern aller Parteien leicht von den Lippen. Andererseits wollen dieselben Akteure die Wahlmöglichkeiten der Bürger einschränken.

Noch weniger Mitsprache der Bürger um den Preis einer nicht nachweisbaren Verbesserung politischer Entscheidungsprozesse? Dieser Preis ist zu hoch. Ganz abgesehen davon: Abgeordnete, denen zu häufige Wahlen lästig sind, sollten sich vielleicht nach einem anderen Job umschauen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 12. Mai 2023)


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