05.09.2024

Je stärker die AfD umso linker die Regierung

Am Anfang dominierte die Nonchalance. Als die AfD vor elf Jahren auf der politischen Bühne auftauchte, empfanden SPD und Grüne klammheimliche Freude. Eine neue Partei rechts von der Union werde CDU und CSU Stimmen kosten. Also alles gut - jedenfalls aus linksgrüner Perspektive.

Bei CDU und CSU dominierte die Überheblichkeit nach den Motto „uns kann keiner“. Im Konrad-Adenauer-Haus sah man, inspiriert von Angela Merkels Hausdemoskopen Matthias Jung (Forschungsgruppe Wahlen), die neue Konkurrenz sogar positiv. Da niemand mit den rechten „Schmuddelkindern“ etwas zu tun haben wolle, würden Regierungsbildungen gegen die CDU praktisch unmöglich, meinte Jung. Bei der CDU glaubte man das gern.

Vor genau zehn Jahren, im September 2014, entpuppten sich solche Prognosen als falsch. Dank der AfD konnten Linke, SPD und Grüne in Thüringen die mit 33,5 Prozent mit Abstand stärkte CDU auszubooten. Von Stund‘ an regierte in Erfurt Rot-Rot-Grün mit Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) an der Spitze. Dieses Bündnis sah sich als Bollwerk gegen rechts.

Ganz links gegen ganz rechts? Die Rechnung ging nicht auf. Fünf Jahre später verdoppelte die AfD ihren Stimmenanteil von 12,2 auf 23,5 Prozent. Die linke Landesregierung wurde zum Turbo für die Rechtsextremisten um Björn Höcke. Die CDU versuchte zu retten, was nicht zu retten war. Faktisch tolerierte sie Ramelows Linksbündnis. Das Ergebnis ist bekannt: Die AfD wurde am Sonntag mit fast 33 Prozent stärkste Partei.

Auch alle möglichen Verfahrenstricks halfen nichts

Was immer die anderen Parteien in den letzten zehn Jahren versuchten: Die in Teilen rechtsextremistische Partei legt zu. Auch alle möglichen Verfahrenstricks halfen nichts, mit denen die sogenannten etablierten Parteien den Emporkömmling am rechten Rand bremsen wollten. Der Phantasie waren keine Grenzen gesetzt; genutzt hat alles nichts. CDU und SPD waren bei ihren Bemühungen, die AfD klein zu halten, zweifellos einfallsreicher als bei der Eindämmung der illegalen Migration oder bei dem Versuch, den Ostdeutschen das Gefühl zu nehmen, ihnen als den wahren Gewinnern der Einheit ihr Jammern über ihre vermeintliche Benachteiligung mit Argumenten zu widerlegen.

Was tun CDU, SPD, Grüne und FDP nicht alles? Im Bundestag lassen sie alle paar Monate einen von der AfD nominierten Kandidaten für den Posten eines Bundestagsvizepräsidenten durchfallen. Auch AfD-Kandidaten für das Parlamentarische Kontrollgremium, das die Geheimdienste überwachst, verfehlen grundsätzlich die notwendige Mehrheit.

In den Ländern sind die „Systemparteien“, wie die AfD im Nazi-Duktus die Wettbewerber bisweilen bezeichnet, ebenfalls einfallsreich, wenn es darum geht, der AfD bestimmte Positionen zu verwehren. In manchen Ländern hat die AfD keine Chance, ihre Kandidaten für die Landesverfassungsgerichte durchzubringen. In Baden-Württemberg haben die „Etablierten“ die Zahl der Landtagsvizepräsidenten so stark reduziert, damit die AfD rechnerisch keinen Anspruch auf einen Platz im Präsidium hat.

Irgendwie wirken solche Tricks geradezu lächerlich. Dass der Ende 2023 gestorbene Wolfgang Schäuble (CDU) 2021 als Alterspräsident den neu gewählten Bundestag eröffnen konnte, war das Ergebnis eines windigen Manövers. Nach einer Änderung der Geschäftsordnung eröffnete erstmals seit 1949 nicht mehr der älteste Abgeordnete das neugewählte Parlament, sondern der mit der längsten Zugehörigkeit zum Parlament. So wurde ein Alterspräsident aus den Reihen der AfD verhindert. Der Höcke-Partei geschadet hat das nicht.

Koalitionen mit dem BSW machen CDU oder SPD für die Wähler nicht attraktiver

Das Ganze gleicht einem Teufelskreis. Bei jedem Wahlerfolg der AfD verbünden sich CDU, SPD, Grüne und Linke in unterschiedlichen Konstellationen „gegen rechts“. In Sachsen führte die CDU/Grüne/SPD-Koalition dazu, dass die AfD zwischen 2019 und 2023 von 27,5 auf 31,8 Prozent zulegte. In Brandenburg, wo demnächst gewählt wird, hatte die rot-rote Regierung zwischen 2014 und 2019 den Nebeneffekt, dass die AfD sich von 12,2 auf 23,5 Prozent steigerte. Nach fünf Jahren SPD/CDU/Grüne, also dem Bündnis von zwei linken Parteien mit der CDU, spricht viel dafür, dass die Rechtsaußen-Partei bei der Wahl Ende September noch stärker wird.

Man kann das so zusammenfassen: Je stärker die AfD wird, umso linker werden die Regierungen. Man sieht das aktuell in Sachsen und Thüringen. Ausgerechnet die von der CDU stets als „Kommunistin“ bekämpfte Sahra Wagenknecht soll mit ihrer Truppe helfen, in Dresden den CDU-Ministerpräsidenten Michael Kretschmer im Amt zu halten und in Erfurt Mario Voigt in die Staatskanzlei zu bringen. In Thüringen wird die CDU, falls es so kommt, zusätzlich noch ein, zwei Stimmen von der Linken brauchen, da CDU, SPD und BSW zusammen nur 44 der 88 Abgeordneten stellen. Der abgewählte Linken-Ministerpräsident Bodo Ramelow hat seine Hilfe schon angeboten.

Das alles spielt der AfD in die Karten. Die braucht selbst gar nicht viel zu tun. Schließlich haben die Leute einfach „die Schnauze voll“ (Christian Lindner), dass der Staat die Kontrolle darüber verloren hat, wer in dieses Land kommt und wer auf Kosten der Steuerzahler hier bleibt, ganz gleich, ob er politisch verfolgt ist, vor einem Krieg flieht oder „nur“ besser leben will.

Wer den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der AfD verhindern will, sollte nicht über neue Verfahrenstricks nachdenken, um Weidel, Chrupalla, Höcke und Volksgenossen auszubremsen. Auch Koalitionen mit dem teils links-, teils rechtsradikalen „Bündnis Sahra Wagenknecht“ machen CDU oder SPD für die Wähler nicht attraktiver. Wenn CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP der AfD nicht das Thema „unkontrollierte Zuwanderung“ wegnehmen, die Zahl der Migranten also deutlich reduzieren, wird die AfD weiter zulegen: It‘s the reality, stupid!

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 5. September 2024)


» Artikel kommentieren

Kommentare



Drucken
Müller-Vogg am Mikrofon

Presse

01. November 2023 | Hauptstadt – Das Briefing

Ampel-Krise

» mehr

Buchtipp

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

» mehr

Biografie

Dr. Hugo Müller Vogg

Hugo-Müller-Vogg

» mehr