03.09.2024

CDU offen für BSW: Ausgerechnet mit Wagenknecht auf zu neuen Ufern?

Auf der Homepage der CDU steht es wie in Stein gemeißelt: „Keine Zusammenarbeit mit der Linkspartei. Keine Zusammenarbeit mit der Alternative für Deutschland. So haben wir es auf dem 31. Parteitag der CDU Deutschlands am 8. Dezember 2018 in Hamburg beschlossen“.

Vom „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“ steht da nichts. Aus gutem Grund: Erstens gibt es diese Partei erst seit acht Monaten. Und zweitens hat die neue Partei noch kein Programm, das über ein paar populistische Forderungen hinausginge. Da ließe sich gar nichts analysieren, selbst wenn man es wollte.

Allerdings lässt sich über das BSW durchaus einiges aussagen. Es handelt sich um eine Ein-Frau-Partei, benannt nach der einstigen Ikone der Linkspartei. Die Linke als mehrfach umbenannte SED mit ehemaligen Stasi-IMs und verurteilten Wahlfälschern in führenden Positionen war für die CDU schon immer der Inbegriff allen Übels. Schon der Gedanke, mit diesen Genossen gemeinsame Sache zu machen, löste bei jedem aufrechten Christdemokarten Abscheu und Empörung aus.

Zudem war man sich bei CDU und CSU stets einig: Unter den Linkspartei-Genossen ist Wagenknecht mit ihren Anhängern die Gefährlichste. Wer noch 1989 in die schon dahinsiechende SED eingetreten ist, wer noch nach dem Mauerfall lieber in der DDR („das friedfertigste und menschenfreundlichste Gemeinwesen, das die Deutschen jemals geschaffen haben“) leben wollte als in der kapitalistischen Bunderepublik, wer innerhalb der Linken Anführerin der linksextremistischen „Kommunistischen Plattform“ war, der war aus CDU-Sicht einfach eine politische Unperson.

Plötzlich potentieller Partner

Inzwischen hat Wagenknecht samt ihren innerparteilichen Gefolgsleuten die Linke verlassen. Sie hat sich mit dem BSW ihre eigene Partei erschaffen – ganz auf sie zugeschnitten, ohne nennenswerte Mitwirkungsmöglichkeiten der handverlesenen, kleinen Mitgliederschar. Die Linke ist ohne Wagenknecht aber keine bessere Partei geworden, jedenfalls nicht aus Sicht der CDU.

Doch ausgerechnet das BSW wird in den ostdeutschen Landesverbänden der CDU plötzlich als potentieller Partner angesehen. Im Bund will CDU-Chef Friedrich Merz mit der seiner Meinung nach „in einigen Themen rechtsextremen, in anderen wiederum linksextremen" Partei nie und nimmer koalieren. Doch auf Landesebene soll das nicht gelten. Darauf hatten die ostdeutschen Unionisten großen Wert gelegt, als sich andeutete, dass sie in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, die „Wagenknechte“ zum Regieren benötigen könnten.

Jede Einflussmöglichkeit der AfD ausschließen

Genauso ist es jetzt gekommen. Wenn Michael Kretschmer in Dresden Regierungschef bleiben und Mario Voigt in Erfurt Regierungschef werden will, geht das nicht ohne Wagenknecht. In Sachsen hätten CDU/BSW/SPD eine stabile Mehrheit, in Thüringen reichte es für CDU/BSW/SPD immerhin für 44 der 88 Sitze. Da müsste dann, wenn es hart auf hart kommt, die Linke für die absolute Mehrheit sorgen. Ob CDU und SPD in beiden Ländern mit dem BSW koalieren oder sich „nur“ tolerieren lassen, ist völlig offen. Ebenso, ob und wie die Linke des abgewählten Ministerpräsident Bodo Ramelow in Thüringen miteinbezogen würde. Denn nur mit ihrer Hilfe ließe sich das Patt auflösen, sofern man jede Einflussmöglichkeit der AfD ausschließen will.

Immerhin war Ramelow in den vergangenen fünf Jahren nur deshalb mit seiner rot-grün-roten Minderheitsregierung handlungsfähig, weil die CDU in wichtigen Fragen die notwendigen Stimmen lieferte. Das Ganze nannte sich „Stabilitätsmechanismus“. Tatsächlich war es eine klassische Tolerierung – und damit ein Verstoß gegen alle Abgrenzungsbeschlüsse.

Bei AfD und Linke gilt das Brandmauer-Prinzip

Einen Mindestpräsident zu behalten und einen neuen hinzugewinnen: Diese Perspektive scheint nicht wenigen in der CDU zu verlockend, um gegenüber dem BSW in die Brandmauer-Rhetorik zu verfallen. Sollten Kretschmer und Voigt zum Zweck des Machterhalts beziehungsweise des Machtgewinns mit dem BSW paktieren, brauchte die CDU über Brandmauern gar nicht mehr zu reden.

Das Argument, man könne und dürfe in Bezug auf das BSW zwischen der Bundes- und Landesebene unterscheiden, ist nicht von der Hand zu weisen. Doch bisher hat die Bundes-CDU diese Unterscheidung gegenüber AfD und Linkspartei strikt abgelehnt. Wo AfD und Linke sind, gilt das Brandmauer-Prinzip – jedenfalls auf dem Papier

Falls ein Antrag vernünftig ist…

Die Brandmauer weist freilich auf kommunaler Ebene – vor allem im Osten, aber nicht nur dort – bereits große Löcher auf. Gerade in kleineren Gemeinden, wo jeder jeden kennt, kommt es bisweilen zu informellen Koalitionen von CDU-Politikern mit ganz Rechten und mit ganz Linken. Warum nicht mit dem Kumpel aus dem Sportverein etwas für die Kommune tun, ganz gleich, welche Farbe das Parteibuch hat? Nach der erstmaligen Wahl eines AfD-Kandidaten zum Landrat haben viele CDU-Kommunalpolitiker keinen Hehl daraus gemacht, dass es in ihren Gemeinderäten und Kreistagen ganz praktisch zugeht. Falls ein Antrag vernünftig ist, wird ihm zugestimmt, ganz gleich, wer ihn gestellt hat. Motto: Es gibt keine roten, schwarzen oder grünen Schlaglöcher, nur solche, die repariert werden müssen. Eine offene, von der Bundes-CDU akzeptierte Zusammenarbeit mit dem BSW gleich in zwei Bundesländern würde weitere Kooperationen mit AfD und Linkspartei nach sich ziehen. Zumal es nicht unwahrscheinlich ist, dass die CDU nach den Wahlen in Brandenburg ebenfalls nur dann weiterhin mitregieren kann, wenn sie und die SPD das BSW mit ins Boot nehmen.

Wagenknecht ist nicht die unproblematische Alternative

Besonders in Thüringen ist schwer verständlich, warum ausgerechnet die „Wagenknechte“ lupenreinere Demokraten sein sollen als die dezimierten Linken. Ramelow regiert wie ein linker Sozialdemokrat, ist aber kein Linksradikaler. Auf Putin und die Ukraine hat er einen realistischeren Blick als die Putin-Versteherin Wagenknecht. Wenn man also plötzlich zwischen Bund und Land unterscheidet, dann ist Wagenknecht keineswegs die unproblematische Alternative.

Sollten Sachsen und Thüringen in einigen Monaten von CDU-Politikern regiert werden, die offen mit dem BSW paktieren und in Erfurt sogar die Linke mit einem neuen „Stabilitätsmechanismus“ einbinden, ließe das gerade im Osten viele Dämme brechen. Da würden CDU-Kommunalpolitiker es mit der Abgrenzung nach Rechtsaußen noch weniger ernst nehmen. Wer aus der Bundes-CDU wollte dann noch dem Argument, man müsse zwischen den verschiedenen politischen Ebenen unterscheiden, widersprechen?

Es passt ins Bild, dass noch keine 24 Stunden nach Schließung der Wahllokale die frisch gewählte thüringische CDU-Abgeordnete Martina Schweinsburg dafür plädiert, mit der AfD wie mit der Linken zu reden. "Über 30 Prozent der Thüringer haben AfD gewählt. Und das ist ein Respekt vor dem Wähler, mit denen, die sie gewählt haben, auch zu reden", sagte die Schweinsburg, die zu Voigts „Expertenteam“ gehört.

Die bisherige Landrätin von Greiz wird nicht die einzige Stimme in der Union bleiben, die für die Schleifung sämtlicher Brandmauern eintritt, nicht nur für Offenheit gegenüber dem BSW. Ihr Argument: "Diese Pippi-Langstrumpf-Politik, in der man sagt: 'Die AfD ist ein böses Kind, mit dem darfst du nicht spielen', ist gescheitert".

Wertkonservative und marktwirtschaftliche Kraft

Die CDU hat am Sonntag zwei ordentliche Ergebnisse erzielt. Doch wenn sie gleich mit zwei linken Parteien – BSW und SPD – kooperiert oder koaliert, wäre das Wasser auf die Mühlen der AfD, weil sie das gern als Beleg für den Linkskurs der CDU aufnähme. Eine Öffnung der CDU zum BSW würde obendrein Friedrich Merz in seinen Bemühungen zurückwerfen, die eigene Partei nach den beliebigen Merkel-Jahren wieder als wertkonservative und marktwirtschaftliche Kraft zu positionieren.

Die CDU sieht sich als doppelter Gewinner dieses Wahlsonntags. Ob sie sich über diese „Siege“ lange freuen kann? Eher nicht.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 3. September 2024)


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