30.08.2024

Was uns in einem AfD-Land so alles blühen würde

Björn Höcke, der thüringische Spitzenkandidat und geistige Anführer der Bundes-AfD, ist sich sicher: „Der Osten wird die Wende für Deutschland bringen“. Den Anfang sollen die Thüringer und Sachsen machen, wo am Sonntag neue Landtage gewählt werden.

Wenn die Wahllokale schließen, kann es gut sein, dass die rechtsextremistische AfD in beiden Ländern die meisten Stimmen erhalten hat – in der Größenordnung 30 Prozent plus. So stark war eine Partei am rechten Rand seit 1949 noch nie.

Weniger wahrscheinlich ist, dass das jeweils zur absoluten Mehrheit der Sitze für die AfD reicht. Das dürfte selbst dann der Fall nicht der Fall sein, wenn SPD, Grüne und FDP in beiden Ländern unter 5 Prozent bleiben sollten und die Linke in Sachsen ebenfalls scheitert.

Chancen auf eine Sperrminorität

Mit rund 30 Prozent der Stimmen kann die AfD in Thüringen wie in Sachsen mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als ein Drittel der Mandate erringen. Denn je weniger Parteien im Parlament, umso mehr Sitze gehen an die mit mehr als 5 Prozent.

Doch gehen wir mal vom GAU für unsere Demokratie in beiden Bundesländern aus. Eine gute Nachricht: Selbst mit mehr als der Hälfte der Sitze könnte die AfD nicht die jeweilige Landesverfassung ändern und noch weniger das Grundgesetz.

Noch eine gute Nachricht: Die AfD bestreitet ihre Landtagswahlkämpfe vor allem mit bundes- und außenpolitischen Themen. Aus der Nato oder der EU austreten, können Bundesländer aber gar nicht. Auch über Waffenlieferungen an die Ukraine wird in Berlin entschieden.

Mit einem Drittel der Sitze lässt sich vieles blockieren

Also alles halb so schlimm? Keineswegs! Mit einem Drittel der Mandate verfügte die AfD über eine Sperrminorität. Das heißt, sie könnte alle Vorhaben blockieren, bei denen eine Zwei-Drittel-Mehrheit vorgeschrieben ist.

Damit ließen sich keinerlei Änderungen an den jeweiligen Landesverfassungen vornehmen. Noch wichtiger: Neue Richter an den Staatsgerichtshöfen könnten nur gewählt werden, wenn die AfD zustimmt.

Das würden die Rechtsaußen aber allenfalls gegen erhebliche Zugeständnisse auf anderen Politikfeldern tun. Das Ergebnis wäre eine Blockade, gegebenenfalls eine Verfassungskrise.

Mit einem Drittel der Sitze auf der Basis aktueller Umfragen in Erfurt wie in Dresden würde die AfD die Position des Landtagspräsidenten fordern. Der hat durchaus Einflussmöglichkeiten.

Ein Rechtsextremist als Landtagspräsident?

Ein Landtagspräsident von der AfD würde sicherlich keine Sondersitzung zum Holocaust-Gedenktag einberufen. Auch würde er bei bestimmten Gelegenheiten keine Repräsentanten der jüdischen Gemeinden einladen.

Ein AfD-Politiker auf dem Präsidentenstuhl würde auch das Debattenklima nicht verbessern. Ebenso wenig würde er sonderlich auf „die Würde des Hohen Hauses“ achten. Im Gegenteil!

Denn überall kassieren AfD-Parlamentarier die meisten Ordnungsrufe, weil sie sich häufig besonders unflätig äußern. Da müsste ein Präsident ständig Ordnungsrufe oder Ordnungsgelder gegen die eigenen Parteigenossen verhängen. Was eher unwahrscheinlich ist.

Schon als stärkste Fraktion verfügte die AfD über ein gewaltiges Störpotential. Könnte sie in Thüringen oder Sachsen gar den Ministerpräsidenten stellen – auch ohne formale Koalition -, würden beide Ländern nicht mehr dieselben sein wie heute.

Bei Abschiebungen gilt Bundesrecht

Eine Abschiebeoffensive könnten AfD-Landesregierungen – entgegen ihren Wahlkampfparolen – gar nicht starten, weil Abschiebungen nach Bundesrecht zu vollziehen sind. Auch würde keines der Länder, in die abgeschoben werden soll, mit Erfurt oder Dresden verhandeln. Deren Gesprächspartner ist, wenn sie überhaupt mit uns reden, die Bundesregierung.

Ein thüringischer Ministerpräsident Björn Höcke würde wohl sein Wahlversprechen wahrmachen und die Bundesregierung verklagen. Begründung: Sie verstoße mit der Aufnahme von Millionen Flüchtlingen gegen Recht und Gesetz. Das wäre eine Show-Veranstaltung ohne praktische Auswirkungen.

Den „Assimilationsdruck“ erhöhen

Hingegen könnten die Ausländerbehörden angewiesen werden, Migranten das Leben auf bürokratische Weise zu erschweren, diese Menschen also zu schikanieren. Höcke spricht ja offen von der notwendigen Erhöhung des „Assimiliationsdrucks“ auf Zugewanderte.

Integrationsprojekte in den Kommunen bekämen vermutlich vom Land kein Geld mehr. Beratungsangebote für Menschen mit Migrationshintergrund würden eingestellt. Ausländerfeinde dürften sich ermutigt fühlen, noch lauter zu hetzen als bisher.

Der Verfassungsschutz hätte nicht mehr viel zu tun

Eine Landesregierung mit einem Justizminister und Innenminister von der AfD würde wohl alle Schlüsselpositionen in diesen wichtigen Bereichen mit „lupenreinen AfDlern“ besetzen. Das gälte für den Polizeipräsidenten wie für den Chef des Verfassungsschutzes, nicht zuletzt für Richterstellen. Der Verfassungsschutz würde dann sicherlich nicht mehr gegen Rechtsextremisten ermitteln, wenn diese in der Regierung sitzen. Irgendwann würde sich ein Richter finden, der es für unzulässig erklärt, Höcke weiterhin einen „Faschisten“ nennen zu dürfen.

Gelänge es der AfD, den Kultusminister zu stellen, stünde den Schulen eine „Wende“ bevor; man könnte auch sagen: eine Rolle rückwärts. Da wäre vieles auf dem Verordnungsweg möglich, weil beispielsweise schulische Inhalte im Detail nicht vom Parlament beschlossen werden.

Neue Lehrpläne an den Schulen

In AfD-Lehrplänen würde gewiss ein anderes Geschichtsbild vermittelt als heute. Da würde das Dritte Reich zum „Fliegenschiss“ in unserer Geschichte verniedlicht. Dafür bekämen die Schüler mehr zu hören von den „1000 Jahren ruhmreicher deutsche Geschichte“.

Zudem müssten sich die Klassen nicht mit der von der AfD bekämpften „Erinnerungskultur“ an die Nazi-Verbrechen beschäftigen. Das schüfe Raum für die Beschäftigung mit dem von der AfD zelebrierten Kult am Kyffhäuser.

Der Sage nach schläft in einer Höhle des in Thüringen gelegenen Kyffhäuserbergs der Kaiser Friedrich I. Barbarossa. Der soll eines Tages erwachen und das Reich zu neuer Herrlichkeit zu führen. So etwas schwebt der AfD für Deutschland vor.

Gegen Vielfalt und Integration

Die Integration behinderter Kinder in Regelschulen sieht die AfD als Belastungsfaktor, den sie abschaffen will. In den neuen Schulbüchern wäre kein Platz für Familien, die vom Vater-Mutter-Kind-Prototyp abweichen. Was nicht in dieses Schema passt, dürfte im Unterricht nicht behandelt werden – jedenfalls nicht als „normal“.

Die AfD spricht sich gegen „Schulen der Vielfalt“ aus, in denen man sich besonders um die Integration migrantischer Schüler bemüht. Auch gäbe es vermutliche höhere Sprachhürden bei der Einschulung. Wer sie nicht schafft, soll seine Sprachkennnisse in der Volkshochschule verbessern.

Schluss mit dem „Klima-Gedöns“

Die AfD ist überzeugt, dass der Klimawandel nicht von den Menschen verursacht oder mitverursacht wurde. Logisch, dass „Klima-Gedöns, das auf landesgesetzlichen Regelungen beruht“, abgeschafft werden soll.

Dass dadurch der Netzausbau gefährdet würde, stört die AfD nicht. Als Regierungspartei würde sie den Ausbau der erneuerbaren Energien ebenso wenig fördern wie Ladesäulen für E-Autos. Thüringen und Sachsen würden zu von jeglicher Klimapolitik befreiten Zonen.

Die AfD sieht im öffentlich-rechtlichen Rundfunk einen Feind. Ihre Kritik ist nicht unberechtigt, dass ihre Repräsentanten viel seltener in Talkrunden eingeladen werden als solche von „Kartellparteien“, wie die AfD die demokratische Konkurrenz nennt. Es überrascht folglich nicht, dass Höcke nach einem Wahlsieg den MDR in Thüringen abschalten möchte.

Den MDR abschaffen ist nicht so einfach

Ob das rechtlich so einfach möglich ist, wie die AfD das darstellt, ist unter Medienrechtlern umstritten. Zudem bedeutete die Kündigung des ARD-Staatsvertrags nur, dass der MDR kein Thüringen-Programm mehr produzieren kann. Die anderen Programme von ARD und ZDF wären aber in Thüringen weiterhin zu empfangen. Die Rundfunkgebühr müssten die Thüringer weiterhin bezahlen.

Höcke hat angekündigt, er würde dann ein neues Vertragswerk für einen „Grundfunk“ abschließen. Der soll nur etwa zehn Prozent des aktuellen Programms enthalten, ohne „Regierungspropaganda“. Das verspricht viel Ärger mit anderen Bundesländern, hat aber nur geringe Erfolgsaussichten.

Die AfD macht den Wirtschaftsstandort nicht attraktiver

Wichtiger als die ARD-Pläne der AfD wären die wirtschaftlichen Konsequenzen, wenn die AfD in ostdeutschen Ländern regierte. Schon heute klagen Arbeitgeber, dass ausländische Fachkräfte für Standorte im Osten nur schwer zu gewinnen sind. Der Grund: Berichte über ausländerfeindliche Übergriffe und die entsprechende Hetze.

Die AfD plädiert für mehr deutsche Kinder statt mehr Zuwanderer. Unterstellt, AfD-Landesregierungen würden durch eine großzügige Familienpolitik die Geburtenrate erhöhen: Den Arbeitsmarkt entlasten könnte dieser Nachwuchs erst in rund 20 Jahren oder noch später. Das hilft den Arbeitgebern nicht. Ohnehin dürfte sich mancher ausländische Unternehmer gut überlegen, ob er in Thüringen oder Sachsen investieren soll. Gut möglich, dass eine AfD-Landesregierung bei deutschen Unternehmen die ohnehin verbreitete Abwanderungsneigung verstärkt. Eines ist sicher: Mit AfD-Politikern in einer Staatskanzlei oder in Ministerien würde der Osten als Wirtschaftsstandort nicht attraktiver.

„Kulturelle Identität“ als Herzensanliegen

AfD-Regierungen Thüringen und Sachsen könnten generell das politische Klima dramatisch verändern, für einen gesellschaftlichen Wandel sorgen. Denn für die Rechtsaußenpartei ist die Förderung “deutscher kultureller Identität“ ein Herzensanliegen.

Das würde sich auf vielfache Weise auswirken. Im kulturellen Bereich würden freie Theater und Initiativen finanziell ausgetrocknet, wenn ihre Vorstellungen nicht ins schlichte, völkische“ Weltbild der AfD passen. Dasselbe gälte für viele Projekte in der Jugendarbeit, nicht zuletzt für solche zur Förderung der Integration.

Für eine AfD-Regierung wäre die „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ besonders wichtig. Um endlich Schluss zu machen, mit dem, was Rechtsextreme „Schuldkult“ nennen, gäbe es wohl kaum noch Mittel für KZ-Gedenkstätten oder andere Mahnmale, die an die Greuel der NA-Zeit erinnern.

Nach der Wahl ist es zum Nachdenken zu spät

Das alles käme nicht über Nacht. Und selbst ein Höcke, der sich von seinen Jüngern als ein politischer Messias vermarkten lässt und gern in Führer-Pose auftritt, könnte nicht alle Behördenleiter, Beamten, Richter oder Lehrer im Gleichschritt marschieren lassen.

Man kann die Thüringer und Sachsen nicht daran hindern, eine rechtsextremistische Partei zur stärksten politischen Kraft zu machen. Zudem wird das teilweise rechts- und teilweise linksradikale „Bündnis Sahra Wagenknecht“ genügend Stimmen bekommen, um eine Koalition von Parteien der breiten demokratischen Mitte zu verhindern.

Doch es kann nicht schaden, über „was wäre, wenn…“ nachzudenken. Nach der Wahl ist es dafür definitiv zu spät.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 30. August 2024)


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