25.08.2024

Koalitionsbildung 2025: Alles ist möglich – und selbst das Gegenteil davon

Früher war nicht alles besser, aber manches doch. Es gab seit den 1980er-Jahren zwei politische Lager – das schwarz-gelbe und das rot-grüne. Letzteres erweiterte sich dann Mitte der 1990er-Jahre selbst, als SPD und Grüne die PDS alias SED (heute: Die Linke) als Mehrheitsbeschaffer akzeptierten – jedenfalls in den Ländern und Kommunen.

Schwarz-Gelb gegen Rot-Grün, so lautete die Schlachtordnung in den Bundestagswahlen von 1983 bis 2005. Sie führte zu klaren Ergebnissen: Die CDU/FDP stellte bis 1998 den Kanzler, SPD/Grüne anschließend bis 2005. Dann wurde die Lage durch die Ausdehnung der PDS in den Westen komplizierter. 2005 reichte es weder für eine bürgerliche, noch für eine sozial-ökologische Mehrheit, aber immerhin noch bequem für eine Große Koalition.

Aufsplitterung des Parteiensystems

Die Gewissheit, „für Schwarz-Rot“ reicht es immer, gilt nicht mehr. Seit längerem bedarf es in vielen Ländern Dreier-Bündnisse, um regieren zu können. Die Aufsplitterung des Parteiensystems wird sich nach der Bundestagswahl 2025 im Parlament manifestieren. Gut möglich, dass ihm dann mehr Parteien angehören als jemals seit 1949: CDU/CSU, SPD, Grüne, FDP, Linke, AfD, BSW und Freie Wähler (FW).

Eine Prognose sei gewagt: Für eine Neuauflage der rot-grün-gelben Ampel wird es – politische Wunder ausgeschlossen – nicht reichen. Abgesehen davon, bedarf es schon einer gehörigen Portion Phantasie, um sich angesichts der Animositäten in der Ampel eine Fortsetzung dieser „Übergangsregierung“ vorstellen zu können. Ebenso absehbar: CDU/CSU, SPD, Grüne und FDP werden unter keinen Umständen mit der in Teilen rechtsextremen AfD gemeinsame Sache machen. Gegenüber dem neuen „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“ gibt es bei denselben Parteien bisher jedoch keine „Ausschließeritis“.

Gleichwohl ist schwer vorstellbar, wie Union, SPD oder Grüne mit der sozialpolitisch linken, gesellschaftspolitisch konservativen und außenpolitisch nationalistischen Wagenknecht-Truppe sich auf einen gemeinsamen Nenner einigen könnten. Rechnerisch jedenfalls könnten SPD, Grüne und BSW wohl eine Mehrheit gegen die Union zustande bringen. Allerdings stünden das für das BSW charakteristische Verständnis für den Aggressor Putin, das Nein zur Nato und die Ablehnung der EU in ihrer heutigen Form einer Koalition mit SPD und Grünen entgegen. Schon in der Vergangenheit kam die Linke wegen ihrer außenpolitischen Vorstellungen für SPD und Grüne im Bund nicht als Partner infrage, obwohl Rot-Rot-Grün 2005 und 2013 rechnerisch möglich gewesen wäre. Allerdings weiß man nie, was bei Parteien im Zweifelfall schwerer wiegt: die eigenen politischen Überzeugungen oder das Festhalten an der Regierungsmacht.

Klarer Vorsprung der Union

Im August 2021, also 13 Monate vor der letzten Bundestagswahl, hatte die Union einen klaren Vorsprung vor der SPD von 7 Prozentpunkten. Derzeit sind es – je nach Institut – 15 bis 18 Punkte. Um sich da noch von Platz eins verdrängen zu lassen, müssten sich CDU und CSU ein ähnliches Chaos bei der Ausrufung des Kanzlerkandidaten wie damals leisten, einschließlich der ständigen Querschüsse aus Bayern. Ohne „Krieg“ zwischen Berlin und München dürfte der Union die Pole-Position nicht mehr zu nehmen sein.

In diesem Szenario könnte es für eine Große Koalition reichen, möglicherweise auch für Schwarz-Grün. Die Wahrscheinlichkeit für eine solche Zweier-Konstellation steigt mit dem Scheitern anderer Parteien an der Fünf-Prozent-Hürde. Das dürfte bei der Linken und wohl bei den „Freien Wählern“ der Fall sein, die bei der Europawahl mit 2,7 Prozent schwach abschnitten. Allenfalls drei Direktmandate in Bayern könnten Hubert Aiwanger und den Seinen den Weg nach Berlin ebnen. Die Freien Demokraten können sich keineswegs sicher sein, abermals über 5 Prozent zu kommen. Nicht wenige ihrer Wähler machen sie – nicht ohne Grund – mitverantwortlich für vieles, was die Ampel auf den Weg gebracht hat, nicht zuletzt in der Gesellschaftspolitik.

Für die CDU/CSU wäre es jedenfalls die ideale Ausgangslage, wenn sowohl Schwarz-Rot als auch Schwarz-Grün möglich wären. Nicht von ungefähr verweist Friedrich Merz gern auf das Beispiel Hessen, wo Ministerpräsident Boris Rhein die freie Wahl zwischen SPD und Grünen hatte – und auf die GroKo setzte. Die stolzen 34,6 Prozent nach 27,0 Prozent fünf Jahre zuvor hatten Rhein und die CDU auch deshalb erzielt, weil sie im Wahlkampf ständig darauf verwiesen, eine Stimme für die CDU sei nicht automatisch eine Stimme für die Fortsetzung von Schwarz-Grün. Potentielle CDU-Wähler, die die grüne Belehrungs- und Verbotspartei strikt ablehnen, verstanden die Botschaft.

SPD in der Opposition?

Selbst wenn Schwarz-Rot möglich wäre, heißt es noch lange nicht, dass es auch zu einer GroKo kommt. Denn dafür bedarf es immer zweier Partner. In Hessen waren die Genossen äußerst kompromissbereit, weil sie nach 24 Jahren in der Opposition sich von einer Regierungsbeteiligung das erhofften, was ihnen zuvor nicht gelungen war – eine personelle und inhaltliche Neuaufstellung. Im Bund wäre dagegen nicht auszuschließen, dass eine nach nur vier Jahren als Kanzlerpartei abgewählte SPD sich lieber in der Opposition zu regenerieren versuchte.

Im Herbst 2025 könnte es zu einer mit 2017 vergleichbaren Situation kommen. Damals wollte die auf 20,5 Prozent abgestürzte SPD auf keinen Fall zum Mehrheitsbeschaffer der Union werden. Es war dann Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, der gescheiterte SPD-Kanzlerkandidat von 2013, der an die staatsbürgerliche Verantwortung appellierte und die SPD zur dritten GroKo unter Kanzlerin Angela Merkel (CDU) drängte. Gut möglich, dass die Sozialdemokraten dieses Mal die Opposition vorzögen. Jedenfalls wäre es für die CDU/CSU nicht einfach, die SPD für ein Bündnis zu gewinnen.

Die CDU/CSU hätte bei einem Nein der SPD die Möglichkeit, mit den Grünen zusammenzugehen. Das setzt voraus, dass es zahlenmäßig reicht. Die Alternative wäre der Versuch, eine Jamaika-Koalition zu bilden, also Union plus Grüne plus FDP. Ob die Grünen da mitmachten? Schließlich zofften sich die Grünen in den vergangenen drei Jahren hauptsächlich mit der FDP und umgekehrt. Von der Selfie-Seligkeit von Ende 2021 war schon bald nichts mehr zu sehen und zu spüren. Ehepsychologen würden das Klima zwischen den beiden Parteien als heillos zerrüttet bezeichnen. Zudem wäre fraglich, ob die Basis der Grünen sich nochmals auf eine Koalition unter Einbeziehung der FDP einließe.

Söder gegen Koalition mit den Grünen

Eine Regierung der Union mit den Grünen stieße in der CSU auf strikte Ablehnung, Jedenfalls versichert der CSU-Vorsitzende Markus Söder, mit der Öko-Partei auf keinen Fall zusammengehen zu wollen. Ob dieses kategorische Nein in jedem Fall Bestand hätte? Söder und die CSU haben sich, wenn es um die Macht ging, schon immer als sehr flexibel erwiesen. Außerdem hat Söder bereits eine Änderung des Ampel-Wahlrechts zur Vorbedingung für jede Koalition gemacht. Falls die Grünen bereit wären, das Wahlrecht im Sinne der CSU zu modifizieren, wäre die Ausgangslage eine ganz andere. Jedenfalls hat die CSU schon mehrfach gezeigt, dass sie ihre eigenen Grundsätze so hochhalten kann, dass sich bequem darunter durchschlüpfen lässt.

Wer mit wem will, kann oder muss, lässt sich heute nicht vorhersagen, noch nicht einmal, ob dem neuen Parlament sechs, sieben oder acht Fraktionen angehören. Wir haben in den neuen Ländern mehrfach erlebt, dass es zu bisher unbekannten Bündnissen kommen musste wie CDU/Grüne/SPD in Sachsen oder SPD/CDU/Grüne in Brandenburg, um nicht auf Stimmen der AfD angewiesen zu sein. Mit dem teils rechtsextremen und teils linksextremen BSW wird die Mehrheitsfindung noch viel schwieriger.

Minderheitsregierung als letzter Ausweg?

Vielleicht müssen wir uns in Deutschland in Zukunft an etwas gewöhnen, was es auf Bundesebene noch nie gegeben hat, nämlich eine Minderheitsregierung. Dagegen wird gerne eingewendet, die Bundesrepublik stehe vor so großen Herausforderungen, dass stabile Mehrheiten notwendig seien. Das Wünschenswerte ist indes nicht immer das Machbare. Die Ampel jedenfalls hat eine stabile Mehrheit. Doch die zahlenmäßige Mehrheit hilft nicht viel, wenn die inhaltlichen Schnittmengen zu klein sind. Man mag ja den alten Zeiten mit den zwei politischen Lagern nachtrauern. Doch hier gilt: Es war einmal. Was die Zukunft betrifft, ist ein Spruch des CSU-Politikers Günter Beckstein unverändert aktuell: In der Politik ist alles möglich – und selbst das Gegenteil davon.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 26. August 2024)


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