23.08.2024

Für die Grünen ist die CDU ein manchmal notwendiges Übel

Es ist noch keine drei Jahre her, dass die Grünen nur ein Ziel kannten: die Verbannung der CDU/CSU im Bund auf die harten Oppositionsbänke - zum Wohle des Landes.

Die Zeiten ändern sich. Plötzlich senden die Grünen ganz andere Signale aus. Sie wollen die Ampel abschalten. Schwarz und Grün sollen die Farben der neuen Saison sein.

Das ist auf den ersten Blick nicht verwunderlich. Denn die rot-grün-gelbe “Übergangsregierung“ schleppt sich unter dem Motto „wir haben fertig“ mit letzter Kraft durch den Regierungsalltag. Da kommt kaum noch Freude auf.

Wenn’s um die Macht geht, sind fast alle Grüne „Realos“

Was noch wichtiger ist: Grüne und Schwarze sitzen zurzeit in 5 der 16 Landesregierungen gemeinsam am Kabinettstisch. Zudem arbeiten sie in zahllosen Kommunen und Kreisen zusammen. Freilich hat dort die Suche nach pragmatischen Lösungen häufig Vorrang vor ideologischen Beckmessereien.

Gleichwohl wäre es falsch, den Grünen eine gewisse Sympathie für die Union zu unterstellen. In einem Punkt sind nämlich fast alle Grünen „Realos“: Wer ihnen zur Macht verhilft, ist willkommen. Das schließt die Linke alias PDS alias SED schon seit den frühen 1990er-Jahren ein.

Im Grund ist die Union aus grüner Perspektive eher ein notwendiges Übel, sicherlich kein Wunschpartner. Annäherungsversuche wie in der schwarz-grünen „Pizza-Connection“ zu Bonner-Zeiten führten zum Abbau gewisser Vorurteile auf beiden Seiten, zu mehr nicht.

Rot-Grün genießt stets Priorität

Die Grünen sind von ihrer Programmatik her eine Partei links der Mitte. Das gilt in der Wirtschafts- und Finanzpolitik ebenso wie in der Gesellschaftspolitik. Eine gewisse Staatsgläubigkeit durchzieht Programm wie Praxis. Beim Herzensanliegen der Grünen, der Klimapolitik, wird Letzteres besonders deutlich.

Deshalb genießt Rot-Grün beziehungsweise Grün-Rot in der Öko-Partei stets Priorität. Wenn nötig, nimmt man dann noch die FDP oder die Linke dazu. Aus grüner Sicht ist jede dieser Konstellationen besser als eine unter Beteiligung der CDU.

In den Ländern gab und gibt es mehrere Zweier-Koalitionen unter Beteiligung der beiden Parteien, die ersten in Hamburg und Hessen. Das Hamburger Experiment endete 2011 nach nur drei Jahren durch den Auszug der Grünen aus der Regierung.

In Hessen zog Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) nach der Landtagswahl 2023 eine Große Koalition mit der SPD der Fortsetzung der seit 2013 regierenden schwarz-grünen Koalition vor.

In Baden-Württemberg regieren beide Parteien seit 2016 zusammen, unter dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann. Die CDU macht jedoch keinen Hehl aus ihrer Absicht, nach der Landtagswahl im Frühjahr 2026 sich einen anderen Koalitionspartner zu suchen. Dann wäre es ebenfalls nach zehn Jahren vorbei mit der Partnerschaft.

Hamburg, Hessen, Baden-Württemberg: Es waren nie Wunschkoalitionen

Diese Regierungen waren keine Wunschkoalitionen. Im Hamburg kam für die CDU 2008 eine Große Koalition mit der damals völlig abgewirtschafteten SPD nicht in Frage.

Also blieb nur Schwarz-Grün, ungeachtet vieler Bedenken auf Seiten der Grünen. Das Bündnis machte bald mehr durch internen Streit von sich reden als durch eine erfolgreiche Politik.

In Hessen war die Ausgangslange nach der Landtagswahl 2013 schwierig. Für die von SPD und Grünen angestrebte rot-grüne Koalition reichte es bei weitem nicht. Zudem verzockte sich die SPD bei diversen Versuchen, eine rot-grüne Minderheitsregierung zustande zu bringen oder Juniorpartner bei Schwarz-Rot zu werden.

So kam es zu einer schwarz-grünen Vernunftsehe, die 2018 vom Wähler bestätigt wurde, wenn auch mit einem schwachen Ergebnis der CDU. Doch innerhalb der Koalition kriselte es zunehmend, nicht zuletzt bei den Themen Zuwanderung, innere Sicherheit und Verkehr.

Ohne CDU ist immer besser als mit der CDU

Die Grünen wollten vor der Landtagswahl im Oktober 2023 zu neuen Ufern aufbrechen – mit einem grünen Ministerpräsidenten und ohne die CDU. Doch am Wahltag gab es ein böses Erwachen. Die Wähler straften die Grünen – auch in Hessen – für ihre Politik in Berlin ab.

Das Ergebnis: Die Grünen landeten auf Platz vier – hinter CDU, AfD und SPD. Und begannen alsbald laut darüber zu klagen, wie unfair die CDU sie doch behandle.

Dabei haben die hessischen Grünen beispielsweise bei Oberbürgermeisterwahlen sich im Zweifelsfall mit der SPD verbündet, um einen CDU-Erfolg zu verhindern. Die Strategie ist klar: Ohne CDU ist immer besser als mit der CDU.

In Baden-Württemberg war die 2016 gebildete grün-schwarze Regierung ebenfalls keine Liebesheirat. Die Grünen waren zum ersten Mal stärkste Partei geworden. Ihr bisheriger Koalitionspartner SPD war aber ebenso wie die FDP nicht zu einem Dreier-Bündnis bereit. So blieb nur noch Grün-Schwarz.

Diese Regierung lebte und lebt von der guten Zusammenarbeit zwischen dem grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und dem schwarzen Innenminister Thomas Strobl.

Kretschmann musste Fortsetzung von Schwarz-Grün erzwingen

Kretschmanns Partei hingegen hätte der CDU nach der Landtagswahl 2021 am liebsten den Stuhl vor die Tür gestellt. Der Landesvorstand der Grünen plädierte für eine Ampel mit SPD und FDP.

Kretschmann indes beharrte auf seinem Kurs. Vor die Wahl gestellt, auf den populären Regierungschef zu verzichten oder den Koalitionspartner CDU weiterhin akzeptieren zu müssen, gab die Partei klein bei. Man darf vermuten: mit der Faust in der Tasche.

In Nordrhein-Westfalen war seit 2017 eine schwarz-gelbe Koalition an der Macht. Bei den Wahlen 2022 legte die CDU zu, die FDP verlor kräftig; die CDU/FDP-Mehrheit war dahin.

Die Grünen waren schnell bereit, sich mit der CDU einzulassen. Denn für eine Widerauflage von Rot-Grün hätte es nicht gereicht. Rechnerisch wäre eine Ampel möglich gewesen. Doch dazu war die FDP nicht bereit.

Koalitionen aus der Not geboren

Neben NRW und Baden-Württemberg ist Schleswig-Holstein das dritte Zweierbündnis dieser Art. Es bildet insofern einen Sonderfall, weil 2022 Schwarz-Gelb möglich gewesen. Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) zog allerdings die Grünen den Liberalen vor.

Die nahmen diese Offerte gerne an. Dass Günther mit dieser Konstellation zugleich sein Image als „fortschrittlicher“ Unionspolitiker pflegen wollte, brauchte die Grünen nicht zu stören.

Aktuell gibt es auf Länderebene noch zwei Dreier-Bündnisse, denen neben der SPD auch CDU und Grüne angehören. In Brandenburg stellt die SPD den Regierungschef, in Sachsen die CDU.

Diese Koalitionen wurden aus der Not geboren. Denn angesichts der Stärke der AfD war keine andere Mehrheit unter Ausschluss der Rechtsaußenpartei möglich. Auch hier knirscht es gewaltig zwischen CDU und Grünen.

Es steht schlecht um die Grünen

Wenn aus Berlin nun die schwarz-grüne Melodie zu vernehmen ist, weiß man: Es geht den Grünen sehr schlecht. Eine Neuauflage der Ampel erscheint – von politischen Wundern einmal abgesehen – ausgeschlossen.

Dann eben halt doch besser mit der CDU regieren, als gar nicht regieren? Da erinnern die Grünen an Nichten und Neffen, die die eigentlich unausstehliche Tante plötzlich hofieren. Schließlich möchte man ja im Testament ordentlich bedacht werden.

Wenn Grüne die CDU nunmehr im Bund für „koalitionswürdig“ erklären, zeugt das von einem am Machterhalt orientierten Pragmatismus. Der ist nicht an sich verwerflich. Mit der reinen Lehre kommt man in der Politik bekanntlich nicht allzu weit.

Dabei kalkulieren die Grünen kühl ein, dass Avancen in Richtung CDU für die Union kontraproduktiv sind. Die Grünen lösen bei den Wählern – nach der AfD – die heftigsten negativen Reaktionen aus, nicht zuletzt in bürgerlichen Kreisen, also der CDU-Klientel.

Seriöse „Eheanbahnung“ geht anders

Die Union sitzt deshalb in der „Grünen-Falle“. Eine Mehrheit der Wähler lehnt die Grünen samt ihrer Belehrungs- und Verbotspolitik entschieden ab. Doch von der Ampel Enttäuschte wechseln nicht automatisch zur CDU. Wer die Grünen partout nicht in der Regierung sehen will, ist folglich auch gegen Schwarz-Grün.

Niemand weiß, ob die Ampel bis zum Wahltag am 28. September 2025 durchhält. Da kann es aus grüner Perspektive nicht schaden, laut über andere Koalitionsoptionen nachzudenken.

Gegen den hübschen Nebeneffekt, der CDU damit bei ihren potentiellen Wählern zu schaden, haben die Grünen sicher nichts einzuwenden. Nur: Seriöse „Eheanbahnung“ geht anders.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 23. August 2024)


» Artikel kommentieren

Kommentare



Drucken
Müller-Vogg am Mikrofon

Presse

01. November 2023 | Hauptstadt – Das Briefing

Ampel-Krise

» mehr

Buchtipp

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

» mehr

Biografie

Dr. Hugo Müller Vogg

Hugo-Müller-Vogg

» mehr