29.11.2016

„Du bist ja nur ein Politiker“

Arbeitsministerin Andrea Nahles hat es genossen, mal wieder dort zu sein, wo einst ihre steile Karriere begonnen hatte – beim Bundeskongress der Jungsozialisten. Da konnte die inzwischen 46-jährige Berufspolitikerin mal wieder nach Herzenslust „holzen“, was ihr am Kabinettstisch oder bei Gesprächen mit den Spitzen der Arbeitgeberverbände nicht möglich ist.

Also holte die streitbare Sozialdemokratin, die vor fast 15 Jahren innerparteilich gegen Schröders „Agenda 2010“ mobilisiert hatte, den großen Hammer raus. Es traf Paul Ziemak, den Vorsitzenden der Jungen Union. „Dieser JU-Typ, Paul Ziemiak, oder wie der heißt“. Gegen ihn giftete sie: „Ich glaube, der Junge hat noch nichts geschafft und noch nie mit Leuten geredet.“ Als Juso-Vorsitzende (1995-1999) hätte sie sich dagegen verwahrt, wenn man vorgehalten hätte, sie halte große Reden, habe aber beruflich noch nichts zuwege gebracht. Nun ja, mit dem Alter und der Position ändern sich offensichtlich die Perspektiven. Die stets matronenhaft gekleidete Nahles triff längst wie eine ältliche Oberlehrerin auf: Wer ihre Politik kritisiere, habe wirklich nichts begriffen.

Was der JU-Vorsitzende zu den Nahles’schen Rentenplänen gesagt hatte, tut nichts zur Sache. Hier geht es um etwas anderes. Nahles wirft dem 15 Jahre Jüngeren vor, noch nichts geleistet zu haben. Als Nahles noch Juso-Vorsitzende war, kanzelten die Altvorderen in allen Parteien den Nachwuchs gerne mit dem Hinweis ab, er oder sie solle erst einmal sein Examen machen, einen ordentlichen Beruf erlernen und etwas leisten. Wie gesagt: Im Laufe des Lebens ändern sich halt die Perspektiven.

Das Pikante an der Sache: Frau Ministerin, ihres Zeichens Literaturwissenschaflerin mit M.A.-Abschluss, hat außerhalb der Politik ebenfalls „nichts geschafft“, um es in ihren eigenen Worten zu sagen. In ihrem offiziellen Lebenslauf im Bundestagshandbuch zählt sie wohlweislich nur ihre politischen Ämter auf, keinerlei sonstige Berufstätigkeit. Das immerhin ist ehrlich. 1998 kam sie das erste Mal in den Bundestag, wurde 2002 jedoch nicht wiedergewählt. Da überwinterte sie bis zur Bundestagswahl 2005 als Lobbyistin im Berliner Büro der IG Metall – sicherlich keine Berufstätigkeit im klassischen Sinn.

Nahles‘ Berufsleben ist also überschaubar: Schule und Studium, daneben schon viel Politik – und dann ab in den Bundestag, wo man mit rund 14.000 Euro im Monat bereits als junger Mensch sich in der Einkommenspyramide unter die ersten zwei, drei Prozent platziert. Ziemiak will ihr dabei im Herbst 2017 nacheifern: Die CDU Nordrhein-Westfalen wird ihm einen sicheren Listenplatz besorgen.

Die Nahles-Attacke auf den JU-Chef ist also nicht nur peinlich; sie ist auch billig. Auch die Arbeitsministerin hat schon laut darüber geklagt, dass die Bürger die Arbeit ihrer Politiker nicht recht zu schätzen wüssten. Aber für einen billigen Gag vergisst frau/man schon mal, dass sie/er selbst im Glashaus sitzt. Die SPD-Linke ist da übrigens kein Einzelfall. Vor der Bundespräsidentenwahl 2010 verglich der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel die Kandidaten Christian Wulff (CDU) und Joachim Gauck (Rot-Grün). Gauck bringe "ein Leben" mit in seine Kandidatur, Wulff aber nur "eine politische Laufbahn", lästerte der oberste Genosse. Was wie im Fall Nahles nicht sehr glaubwürg war: Gabriels Kurzeit-Tätigkeit als Dozent an der Volkhochschule Goslar kann man wirklich nicht gerade als beeindruckendes „Leben“ außerhalb der Politik bezeichnen.

Was Frau Nahles so dahinplappert, um sich den Jusos als wilde Kämpferin zu präsentieren, ist das eine. Dass sie damit all denen, die das Herabsetzen von Politikern zum Volkssport erhoben haben, Munition liefert, ist das viel Bedenklichere. Manche scheinen sich ihre Gruben gerne selbst zu graben – und sich darin noch wohl zu fühlen.

Veröffentlicht auf www.cicero.de vom 29. November 2016.


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