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29.09.2024
Ist die Ampel am Ende? Die FDP hat schon vier Mal einen Koalitionsbruch initiiert
Man braucht schon viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die FDP noch ein Jahr länger „ampeln und hampeln“ will, um eine Formulierung ihres früheren Parteivorsitzenden Guido Westerwelle aufzugreifen. Jedenfalls dann, wenn die Freien Demokraten noch halbwegs glaubwürdig in die nächste Bundestagswahl ziehen wollen.
Erfahrungen, Koalitionen zu verlassen oder gar platzen zu lassen, hat die FDP im Gegensatz zu den anderen Parteien. Bereits vier Mal haben die Liberalen vorzeitig die Bundesregierung verlassen, nicht immer zu ihrem Vorteil. Sollten sie jetzt die Ampel abschalten, wäre es höchst ungewiss, ob sie das politisch überleben. Aber ums Überleben zu kämpfen, ist für die FDP nichts Außergewöhnliches. Ihre aktuell führenden Politiker haben miterlebt, wie ihre Partei 2013 zum ersten Mal in ihrer Geschichte an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert ist – auch als Ergebnis ewigen Krachs in der schwarz-gelben Koalition.
Vor fast sechs Jahrzehnten war die FDP in einer ähnlichen Situation wie heute. Das Verhältnis zur CDU/CSU war zerrüttet, dem Land ging es – aus damaliger Sicht – wirtschaftlich schlecht. Als Bundeskanzler Ludwig Erhardt (CDU) 1966 mit Steuererhöhungen Lücken im Bundeshaushalt zu stopfen versuchte, traten die FDP-Minister aus Protest zurück. Schwarz-Gelb war am Ende. Es folgte die erste Große Koalition mit Kanzler Kurt-Georg Kiesinger (CDU) und Außenminister Willy Brandt (SPD). Die FDP fand sich auf den harten Oppositionsbänken wieder und schaffte bei der Bundestagswahl 1969 nur mit Mühe den Verbleib im Bundestag – mit 5,8 Prozent.
Von Adenauer bis Helmut Schmidt
Erhard, einst gefeierter Vater des Wirtschaftswunders, verzieh den Liberalen nie, dass sie faktisch seine Kanzlerschaft beendet hatten. In seinen Memoiren, 1976 von einem Ghostwriter verfasst und erst kürzlich von dem Historiker Ulrich Schlie herausgegeben, machte Erhard seinem Ärger Luft. Der kleine Koalitionspartner komme immer an den Punkt, so Erhard, wo „die FDP immer dann eine Änderung ihrer Koalitionsbindungen erwägt, wenn ihr entsprechende Wahlergebnisse dies nahezulegen scheinen.
Politische Begründungen findet sie dann allemal.“ Man könnte meinen, Erhard habe mit prophetischem Talent die Lage der FDP nach den Schlappen bei drei ostdeutschen Landtagswahlen beschrieben.
1966 war nicht das erste Mal, dass es wegen der FDP zum Bruch der Koalition kam. Zehn Jahre vorher – im zweiten Kabinett Adenauer – wollte die CDU/CSU das sogenannte Grabenwahlrecht durchsetzen, was die FDP den größeren Teil ihrer Mandate gekostet hätte. „Zur Strafe“ wechselte die FDP in Nordrhein-Westfalen von der CDU zur SPD, was wiederum zu einer Spaltung der Freien Demokraten führte. 16 FDP-Bundestagsabgeordnete, darunter die vier FDP-Minister, traten aus der FDP-Bundestagsfraktion aus und wurden folglich aus der FDP ausgeschlossen. Adenauer hatte zwar weiterhin eine parlamentarische Mehrheit, die in der FDP verbliebenen Abgeordneten befanden sich allerdings in der Opposition.
Koalitionsbruch Nummer drei folgte im Gefolge der „Spiegel“-Affäre 1962. Die FDP forderte von Adenauer die Entlassung von Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß und zweier Staatssekretäre. Ihnen wurde vorgeworfen, die rechtswidrige Polizeiaktion gegen die „Spiegel“-Redaktion samt der Verhaftung des Herausgebers Rudolf Augsteins veranlasst zu haben. Da der Kanzler sich weigerte, traten die fünf Bundesminister der FDP zurück. Es war aber nur ein kurzer, kein endgültiger Bruch der Koalition. Nach elf Tagen erklärte Strauß seinen Rücktritt und schied – vorerst – aus der Bundespolitik aus. Adenauer konnte also sein fünftes und letztes Kabinett bilden – mit der FDP.
Zum vierten Mal verließ die FDP 1982 die Regierung; es war zugleich das Ende der seit 1969 regierenden sozial-liberalen Koalition aus SPD und FDP. Vorausgegangen waren schwere Auseinandersetzungen zwischen den Liberalen und den Sozialdemokraten über die Wirtschaftspolitik. Der damalige FDP-Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff hatte seine Vorstellungen in einem „Konzept für eine Politik zur „Überwindung der Wachstumsschwäche und zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit“ zusammengetragen. Bundeskanzler Helmut Schmidt sah in dem „Lambsdorff-Papier“ zu Recht eine Kampfansage an die Sozialdemokratie.
Alle bisherigen Fälle liefern der FDP kein Rezept für die aktuelle Situation
Die Vorschläge des „Marktgrafen“ waren der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Innerlich zerbrochen war Rot-Gelb schon vorher. Im September traten die FDP-Bundesminister von ihren Ämtern zurück und kamen so einem Rauswurf durch den Kanzler zuvor. Am 1. Oktober wählten CDU/CSU und FDP Helmut Kohl im Wege eines konstruktiven Misstrauensvotums zum neuen Kanzler. Es war der Beginn einer 16-jährigen schwarz-gelben Ära.
Der Koalitionsbruch von 1982 – war anders als der 1966 – für die FDP einer mit überschaubarem Risiko. Denn es stand nicht nur die CDU/CSU als neuer Partner bereit; Schwarz-Gelb verfügte obendrein über eine ausreichende Mehrheit im Bundestag. Allerdings stürzte der Koalitionswechsel die Freien Demokraten in eine schwere innerparteiliche Krise; zahlreiche FDP-Politiker traten aus. Wäre es sofort zu Neuwahlen gekommen, wäre die Partei vermutlich an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Doch konnte sie sich an der Seite der Union stabilisieren und erreichte bei der vorgezogenen Bundestagswahl im März 1983 7,0 Prozent.
Alle bisherigen Fälle liefern der FDP freilich kein Rezept für die aktuelle Situation. Weder das Rentenpaket 2 noch das Tariftreuegesetz – zwei wichtige Anliegen der SPD – sind gewichtig genug, um damit einen Koalitionsbruch zu begründen. Bleibt die wirtschaftspolitische Lage. Aber Deutschland ist beim Wachstum schon seit drei Jahren das Schlusslicht in Europa. Damit lässt sich nur schwerlich plötzlich ein Ausscheiden aus der Koalition begründen.
Am ehesten könnte sich die FDP auf die miserablen Wahlergebnisse in den letzten drei Landtagswahlen und die aktuellen Umfragen berufen. Tenor: Wir haben durch unser Mitwirken in der Ampel das Vertrauen vieler Bürger verloren. Daraus ziehen wir die Konsequenz – und uns aus der Regierung zurück. Dann läge es an SPD und Grünen, ob sie sich an der Macht festkrallen und als Minderheitsregierung noch ein Jahr weiterwursteln. Oder ob sie den Weg für Neuwahlen frei machen. Die FDP könnte sich an die Bremer Stadtmusikanten halten: „Etwas besseres als den Tod findest du überall“.
(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 27. September 2024)
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