23.09.2024

Brandenburg hat gewählt: Die Wahllokale zu – und viele Fragen offen

Die Meinungsforscher sind in der Lage, Wahlergebnisse mit erstaunlicher Treffsicherheit zu prognostizieren, die Präferenzen der Wähler zu erfragen und die Gründe für die Stimmabgabe herauszufinden. Ungeachtet aller Analysen und Nachwahlbefragungen bleiben viele Fragen offen. Hier die ungelösten Rätsel der Brandenburg-Wahl.

Warum erfahren die Putin-Versteher so viel Zustimmung?

AfD und das „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)“ machen keinen Hehl daraus, dass Putin ihrer Meinung nach in und mit der Ukraine machen kann und soll, was er will. Hauptsache, wir stehen den überfallenen Ukrainern nicht bei. Uns aus allem rauszuhalten, mag ja vielen als bequem erscheinen. Aber sieht die Hälfte der Brandenburger nicht, dass Putin nach der Krim jetzt die Ukraine unter sein Diktat bringen will? Und dass sein Annexions-Appetit danach nicht gestillt wäre? Dass er möglichst viele ehemalige GUS-Republiken heim in sein Zaren-Reich holen will?

Haben so viele Brandenburger keine Ahnung, dass irgendwelche Aufrufe von Landesregierungen zu Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew null Einfluss auf die deutsche Außenpolitik oder gar die Nato-Strategie haben? Wissen sie wirklich nicht, dass der Einfluss eines deutschen Ministerpräsidenten auf den Fortgang des Ukraine-Kriegs nicht größer ist als der eines x-beliebigen Fußballfans auf die Aufstellung der Nationalmannschaft?

Macht der „Kampf gegen rechts“ blind für die möglichen Folgen?

Für linksgrüne Gutmenschen ist der „Kampf gegen rechts“ wichtiger als alles andere. Dass bei der Formulierung „gegen rechts“ in erster Linie die AfD gemeint ist, die CDU jedoch stets mitgedacht wird, fällt kaum noch jemandem auf. Folglich könnten die Wahlkämpfe im Osten ältere Bürger an die Zeiten der „Nationalen Front“ in der DDR erinnern: Alle gegen einen.

Haben die vielen Wähler der Grünen, die ihr Kreuz bei der SPD gemacht haben, oder auch die Nichtwähler, die es ihnen gleichgetan haben, über mögliche Folgen nicht nachgedacht? Ob die AfD einen Prozentpunkt hinter oder vor der SPD liegt, ist irrelevant im Vergleich zu dem, was im „Kampf gegen rechts“ herausgekommen ist: Ein Parlament ohne die Grünen mit zwei gravierenden Folgen.

Erstens reicht es nicht für eine schwarz-rote Koalition, was das BSW zum Power-Broker aufsteigen lässt. Zweitens genügen der AfD ihre 29 Prozent zu der angestrebten Ein-Drittel-Sperrminorität im Parlament. Darauf hätten „mündige“ Wähler eigentlich von selbst kommen können. Doch beim Stichwort „gegen rechts“ ersetzt offenbar die Emotion die Ratio.

Wieso fiel Kretschmer auf den Woidke-Trick rein?

Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) hatte das richtige Gespür: Er als Person kann punkten, die SPD nicht. Also drohte er den Brandenburgern, nicht weiterzumachen, wenn die AfD stärker werde als seine Partei. Das kann man ja machen. Allerdings muss man dann in Kauf nehmen, bei einem solchen Manöver den grünen Koalitionspartner zu verlieren, was auch geschah“.

Michael Kretschmer, der CDU-Ministerpräsident des Nachbarlandes Sachsen, war von Woidkes Wahlkampftaktik so angetan, dass er plötzlich keine Parteien mehr kannte. Also rief er mehr oder weniger direkt zur Wahl der SPD auf. Das führte zum schlechten Wahlergebnis „seiner“ CDU in Brandenburg; sie fiel sogar hinter das BSW zurück.

Kretschmer, immerhin stellvertretender Bundesvorsitzender der CDU, könnte mit seinem Brandenburg-Solo könnte sogar die AfD gestärkt haben. Die CDU musste nämlich besonders viele Stimmen an die AfD abgeben. Ob mancher CDU-Wähler gedacht hat, wenn schon Kretschmer die CDU nicht empfiehlt, dann ist mir die AfD immer noch lieber als die SPD? So was kommt eben von so was.

Warum konnte die CDU mit der Merz-Kür nicht noch ein paar Tage warten?

Das katastrophale Abschneiden der CDU in Brandenburg wird die Chancen von Friedrich Merz gegen Olaf Scholz nicht wirklich beeinflussen. Gleichwohl wären CDU und CSU gut beraten gewesen, mit der Ausrufung des CDU-Vorsitzenden – wie ursprünglich geplant – bis nach den Brandenburg-Wahl zu warten. Das hat sie bekanntlich nicht getan, obwohl absehbar war, dass die Brandenburger die CDU nicht stärken würden.

Jetzt haben sich die CDU und CSU eingehandelt, was sie vermeiden wollten: Die Medien, allen voran die öffentlichen-rechtlichen Anstalten, genießen es geradezu, zwischen der Kanzlerkandidatur von Merz und dem Wahldebakel der brandenburgischen CDU einen Zusammenhang herzustellen. Wobei die „milde“ Version lautet, Merz habe seinen Parteifreunden nicht helfen können. So hat die Union ihrem Kanzlerkandidaten Merz den Start erschwert – und zwar sehenden Auges.

Fazit: In der Politik ist alles möglich – und selbst das Gegenteil davon

Der CSU-Politiker Günter Beckstein hatte Recht: Politiker neigen zu Volten aller Art. Aber der Wähler, das unbekannte Wesen, trifft ebenfalls Entscheidungen, die häufig nicht nachvollziehbar sind. Halten wir es also mit dem einstigen britischen Premier David Lloyd George : „Wahlen sind oft die Rache des Bürgers; der Stimmzettel ist ein Dolch aus Papier“. In Brandenburg haben die Bürger kräftig zugestoßen. Sie könnten sich beim Zustoßen selbst verletzt haben.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 23. September 2024)


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