14.09.2024

Woidke und Kretschmer: Männerfreundschaft mit Risiko

Gewöhnlich geht es bei Landtagswahlen so zu: Die Ministerpräsidenten einer Partei machen Wahlkampf für die Parteifreunde, die in einem anderen Bundesland ihr Amt verteidigen oder erstmals Regierungschef werden wollen. So war das vor den Wahlen in Thüringen und Sachsen vor zwei Wochen. Da kamen die Regierungschefs der Union in den Freistaat, um den dortigen Spitzenkandidaten Mario Voigt zu unterstützen.

In Brandenburg, wo am 22. September gewählt wird, ist alles anders. Der um sein Amt kämpfende Dietmar Woidke verzichtet auf jede Hilfe aus Berlin, weil er befürchtet, die schlechten Umfragewerte seines SPD-Genossen Olaf Scholz könnten ihn Stimmen kosten. Dafür wirbt der sächsische Nachbar Michael Kretschmer (CDU) für den SPD-Kollegen in Potsdam. Nicht auf dem Marktplatz, aber in einem Doppelinterview mit der F.A.Z., für das sich die beiden Landesväter der Zeitung als „Pärchen“ angedient hatten. Darin betonten die zwei Ministerpräsidenten die gute Zusammenarbeit ihrer Länder und bekundeten ihren gegenseitigen Respekt.

Ein-Mann-Woidke-Kampagne

Kretschmers doppelte Botschaft lautet so: „Es ist ganz wichtig, dass die SPD in Brandenburg vor der AfD liegt“. Und: „Ich wünsche mir sehr, dass wir weiter gemeinsam Verantwortung übernehmen“. Denn Woidke habe dem Land „sehr gut getan“. Nun wäre auf der Basis der aktuellen Umfragen die Fortführung der rot-schwarz-grünen Koalition in Potsdam selbst dann denkbar, wenn die SPD hinter der AfD auf Platz zwei landete - aber ohne Woidke.

Der hat nämlich für diesen Fall ausgeschlossen, Ministerpräsident zu bleiben. Bei einem Wahlsieg der AfD will Woidke die Verantwortung für den Stimmenzuwachs der Rechtsaußen-Partei übernehmen und zurücktreten. Das lässt sich als guten politischen Stil interpretieren oder als knallhartes parteipolitisches Kalkül. Denn selbst die Mehrheit der potentiellen AfD-Wähler will Woidke als Regierungschef behalten. Woidkes Rücktrittsdrohung könnte also manchen AfD-Wähler zum Umdenken bewegen.

Einer, der von der Männerfreundschaft zwischen Kretschmer und Woidke alles andere als begeistert sein dürfte, ist der Spitzenkandidat der brandenburgischen CDU, Jan Redman. Der hatte lange Zeit darauf gehofft, mit einem Ergebnis von 22 oder 23 Prozent vor der SPD zu landen und selbst Ministerpräsident zu werden. Inzwischen haben Woidke und die SPD stark aufgeholt und liegen mit 26 bis 27 Prozent nur noch knapp hinter der AfD mit 27 bis 29 Prozent. Die CDU rangiert mit 15 bis 16 Prozent dagegen abgeschlagen auf Platz drei, vor dem „Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit 13 bis 14 Prozent.

Redmanns CDU als „Anti-AfD-Notopfer“

Kretschmers Eintreten für Woidke könnte der SPD durchaus die notwendigen Stimmen verschaffen, um wieder stärkste Partei zu werden. Falls vor allem CDU-Anhänger dem Wunsch des sächsischen Regierungschefs folgen, könnte Redman sogar hinter das BSW zurückfallen. Kretschmer würde dies dann wohl als „Anti-AfD-Notopfer“ rechtfertigen. Schließlich hat er selbst in Sachsen 2019 wie 2024 den ersten Platz auch deshalb halten können, weil manchen Wählern aus dem linksgrünen Spektrum ein Votum gegen die AfD wichtiger war als eine Stimme für SPD oder Grüne.

Kretschmers Woidke-Werbung ähnelt dem Verhalten der Parteien links von der AfD bei Stichwahlen um das Amt des Oberbürgermeisters oder des Landrats. Dann heißt es „alle gegen rechts“, wobei auch viele CDU-Kämpen ganz im Sinn der Linken rechts und rechtsextremistisch gleichsetzen. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied zwischen Stichwahlen auf kommunaler Ebene und einer Landtagswahl. Die Unterstützung des Anti-AfD-Kandidaten kostet CDU, SPD oder Grüne nichts, wenn ihr jeweiliger Bewerber bereits ausgeschieden ist. Eine „Pro-Woidke-Kampagne“ in Brandenburg kann aber die CDU Stimmen und Mandate kosten und nicht zuletzt ihre Position bei Koalitionsverhandlungen mit der SPD schwächen.

Alle gemeinsam gegen Höcke, Weidel & Volksgenossen

Ohnehin stellt sich die Frage, ob solche Manöver der AfD nicht sogar nutzen. Alle Versuche, die in Teilen rechtsextremistische Partei auszugrenzen, alle „antifaschistischen“ Aktionen haben den stetigen Aufstieg der AfD jedenfalls nicht gebremst. Gerade im Osten Deutschlands dürften Anti-AfD-Bündnisse die Älteren an die „Nationale Front“ zu DDR-Zeiten erinnern. Damals gab es bei Volkskammerwahlen im Kampf für den Sozialismus und gegen den Faschismus eine Einheitsliste unter Führung der SED. Den anderen Parteien sowie Massenorganisationen wie den Gewerkschaften wurden auch einige Mandate zugestanden.

Wenn CDU, SPD, Grüne und FDP gemeinsame Sache gegen Höcke, Weidel & Volksgenossen machen, erlaubt das der AfD, sich als Opfer der „Altparteien“ beziehungsweise „Systemparteien“ darzustellen. Das geht dann nach dem Motto, diese hätten der AfD inhaltlich nichts entgegenzusetzen und verteidigten deshalb gemeinsam ihre Pfründe.

Kretschmers Ein-Mann-Woidke-Kampagne ist in diesem an Überraschungen gewiss nicht armen Wahljahr eine Novität. Immerhin wirbt hier einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der CDU für einen Kandidaten des politischen Wettbewerbers. Ob seine Rechnung aufgehen wird, ist ungewiss. Jedenfalls macht sein Manöver deutlich, für wie schwach Kretschmer die SPD des von ihm geschätzten Kollegen Woidke hält. In der alten Bundesrepublik sprach man bei solchen Manövern von „Leihstimmen“ - mit abschätzigem Unterton.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 14. September 2024)


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