25.03.2024

Träume eines SPD-Genossen: Berlin soll Vorbild für New York und Tokio werden

Ist da etwas schiefgelaufen? Sollte das Interview erst zum 1. April veröffentlicht werden? Berlin als „Blaupause“ für die Metropolen dieser Welt?

Klingt eher nach einem Aprilscherz als nach einer nüchternen Analyse. Aber er hat es gesagt, der Wirtschafts-Staatsekretär im Berliner Senat, Michael Briel (SPD): „Berlin hat das Potenzial, zur Blaupause für Deutschland und Metropolen auf der ganzen Welt zu werden.“

So steht das auf der Online-Plattform „Watson“, und es klingt mächtig nach Berliner Schnauze. Der SPD-Politiker Briel sieht seine Stadt eben durch die rosarote Brille. New York, Tokio, Rio oder London: Sie alle werden sich eines Tages Berlin zum Vorbild nehmen – meint jedenfalls dieser Staatsekretär.

Wichtiger wäre, dass Berlin endlich funktioniert

Sein oberster Chef, Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU), ist da viel bescheidener. Der hatte beim Amtsantritt der schwarz-roten Regierung vor knapp einem Jahr ganz andere Parolen ausgegeben. Er wollte dafür sorgen, „dass Berlin hier und jetzt funktioniert“.

Das war kein schlechter Ansatz für einen Stadtstaat, dessen Bürger seit Jahrzehnten Grund zum Klagen haben: über eine ineffektive Verwaltung, verwahrloste Quartiere, den Mangel an bezahlbaren Wohnungen oder Rauschgift-Oasen in Wohngebieten. Hier etwas zum Besseren zu wenden, ist eine Mammutaufgabe.

Staatssekretär Briel schwelgt dagegen in Visionen. Er sieht Berlin als Vorreiter: bei Wissenschaft und Forschung, bei der Klimapolitik und einem angeblich europaweit einzigartigem „Startup-Ökosystem“.

Zudem liegt es aus seiner euphorischen Sicht eigentlich auf der Hand, dass Berlin die Olympischen Sommerspiele 2036 ausrichten wird. Dabei steht noch nicht einmal fest, ob sich Deutschland überhaupt für 2036 oder 2040 bewerben wird.

Geht's nicht auch eine Nummer kleiner?

Berlin hat immerhin eine veritable Startup-Szene vorzuweisen; seine Wirtschaft wächst schneller als die in anderen Bundesländern. Doch die Stadt steckt täglich im Verkehrsstau, und der Wohnungsmangel macht es schwer, Menschen aus anderen Teilen Deutschlands anzuwerben.

Ob da der Ausbau der Fahrradwege und des öffentlichen Nahverkehrs hilft, wie der Staatssekretär meint? Er sieht die Stadt jedenfalls „auf einem guten Weg“. Und ist sich sicher: „In zehn Jahren wird Berlin Innovationsstandort Nummer eins in Europa sein.“

Es kann ja nicht falsch sein, wenn ein Politiker – zumal einer von der SPD – nicht nur jammert, sondern auch Zuversicht zu verbreiten versucht. Aber gehts nicht auch eine Nummer kleiner?

Berliner wollen gar keine großen Veränderungen

Ob Berlin zur Blaupause für ganz Deutschland und die Metropolen dieser Welt wird, dürfte die Berliner wenig interessieren. Zumal sie bei Volksentscheiden zeigen, dass sie gar keine großen Veränderungen wollen.

Dass das Tempelhofer Feld zu Lasten der Wohnungssuchenden nicht bebaut werden darf, ist zweifellos eine „Blaupause“ dafür, wie man es nicht machen soll. Und sollte Berlin für Deutschland als Olympia-Stadt ins Rennen geschickt werden, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Berliner es mit einem Volksentscheid verhindern werden.

Wer Visionen habe, der solle zum Arzt geben. Diesen Ratschlag von Altkanzler Helmut Schmidt (SPD) muss der Blaupausen-Staatssekretär nicht wörtlich nehmen. Bei ihm reichte ein nüchterner Blick auf die Stadt. Dann wüsste er, dass Berlin viel zu bieten hat – es aber bei weite nicht zum weltweiten Vorbild reicht.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 26. März 2024)


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