18.03.2024

Mit der „Neuen Grundsicherung“ ist die CDU nahe an der „Agenda 2010“

Am 14. März 2003 verkündete Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) eine der größten Sozialreformen der deutschen Nachkriegsgeschichte: die "Agenda 2010". Ihr Kernstück: die sogenannten Hartz-Gesetze zur Reform des Arbeitsmarkts.

Die zentrale sozialpolitische Botschaft des Chefs der rot-grünen Koalition lautete: "Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern."

Fast auf den Tag 21 Jahre später legte am Montag die CDU ihr Konzept für eine „Neue Grundsicherung“ vor. Es ist bei weitem nicht so umfassend wie die „Agenda 2010“. Doch bei der Unterstützung für arbeitsfähige Menschen, die kein Arbeitslosengeld beziehen, ist die CDU viel näher bei der Regierung Schröder/Fischer als bei Scholz/Habeck/Lindner.

Die Umbenennung ist mehr als eine sprachliche Spielerei

Die Ampel hat „Hartz IV“ zu Beginn des Jahres 2023 in Bürgergeld umbenannt, die Leistungen innerhalb von 24 Monaten um 25 Prozent erhöht und die Sanktionen für Bezieher, die sich der Vermittlung in einen Job entziehen, abgemildert.

Vor allem die Sozialdemokraten wollten mit dem viel kritisierten „Hartz IV“ nicht mehr in Verbindung gebracht werden. Schließlich hatte die „Agenda“-Politik zu einer Entfremdung von den Gewerkschaften und zur Westausdehnung der PDS, die sich heute Die Linke nennt, geführt.

Die von der CDU angestrebte Umbenennung dieser Sozialleistung von „Bürgergeld“ in „Grundsicherung“ ist keineswegs nur eine sprachliche Spielerei. Im Begriff Bürgergeld schwingt mit, hier handle es sich um eine staatliche Leistung, auf die alle Bürger einen Anspruch haben. Bürgergeld klingt nach Bürgerrechten und Bürgergesellschaft.

„Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun“

Grundsicherung sagt dagegen, dass Menschen abgesichert werden sollen. Und zwar die, die nicht arbeiten können. So war das auch bei „Hartz IV“ gedacht.

CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann begründet das so: „Wer nicht arbeiten will, muss das nicht tun. Er kann dann aber auch nicht erwarten, dass die Allgemeinheit für seinen Lebensunterhalt aufkommt“. Das hatte bei Gerhard Schröder vor 21 Jahren viel härter geklungen. „Niemandem wird künftig gestattet sein, sich zulasten der Gemeinschaft zurückzulehnen. Wer zumutbare Arbeit ablehnt (…), der wird mit Sanktionen rechnen müssen.“

Viele der damals von Rot-Grün beschlossenen Sanktionen hat die Ampel abgeschwächt oder ganz abgeschafft. Die CDU will das wieder korrigieren.

So soll wer Jobcenter-Termine „ohne sachlichen Grund“ versäumt, zunächst keine Geldleistungen mehr erhalten. Wer sich drei Monate lang weigert, mit dem Jobcenter zu kooperieren, bei dem wird unterstellt, „dass keine Hilfsbedürftigkeit mehr vorliegt“.

CDU will im Prinzip wieder zurück zu Rot-Grün

Die Ampel hat das sogenannte Schonvermögen, das bei Bezug des Bürgergelds nicht angetastet werden muss, erhöht. Außerdem wird in den ersten 18 Monaten des Bürgergeldbezugs nicht darauf geachtet, wie hoch das Vermögen ist. Auch hier will die CDU im Prinzip wieder zurück zu Rot-Grün.

Der CDU-Plan für eine deutliche Bürgergeld-Reform stößt bei SPD und Grünen, wie zu erwarten war, auf scharfe Kritik. Der SPD-Co-Vorsitzende Lars Klingbeil sprach von einem "Angriff auf den Sozialstaat". Britta Haßelmann, Fraktionschefin der Grünen, verurteilte das CDU-Konzept als "Populismus auf Kosten der Betroffenen".

Ob Klingbeil vor zwei Jahrzehnten auch so über das Reformwerk Schröders dachte? Wohl kaum. Damals arbeitete er im Wahlkreisbüro Schröders, dürfte also die „Agenda 2010“ seines Chefs kaum als „Angriff auf den Sozialstaat“ gesehen haben.

„Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD“

Auch die Grünen haben längt vergessen, dass ein „Zurück zu Hartz IV“ ein Zurück zu ihrer eigenen Politik bedeutete. Ihre damalige Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckart hatte im Bundestag den Schröder-Kurs vehement unterstützt. „Es geht darum, den Sozialstaat auf radikal veränderte Bedingungen einzustellen“, sagte sie nach Schröders Rede. Das Protokoll verzeichnet „Beifall beim Bündnis 90/Die Grünen und bei der SPD“.

Auf Beifall von Seiten der Union mussten Schröder und Rot-Grün dagegen länger warten. Doch der Applaus kam.

Im Oktober 2005 sagte Angela Merkel als frisch gewählte Nachfolgerin Schröders: "Ich möchte Kanzler Schröder ganz persönlich danken, dass er mit der 'Agenda 2010' mutig und entschlossen eine Tür aufgestoßen hat, unsere Sozialsysteme an die neue Zeit anzupassen."

SPD und Grüne sind von diesen „mutigen Anpassungen“ längst abgerückt. Was Linnemann jetzt als „CDU pur“ anpreist, erinnert freilich in hohem Maße an „Schröder pur“. Nur wollen SPD und Grüne von „Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern" nichts mehr wissen. Auch eine Zeitenwende.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 18. März 2024)


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