03.01.2024

Härtere Sanktionen gegen Arbeitsverweigerer lösen Bürgergeld-Grundproblem nicht

Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) will Bürgergeldempfängern, die partout keinen Job annehmen, bis zu zwei Monate lang die Auszahlungen streichen. Heil: „Wer nicht mitzieht und sich allen Angeboten verweigert, muss mit härteren Konsequenzen rechnen.“

Sollte der Sozialdemokrat gehofft haben, mit seinen Sanktionen gegen „Totalverweigerer“ die Debatte um das Bürgergeld entschärfen zu können, hat er sich gründlich getäuscht. Er hat sie zusätzlich angeheizt.

Die CSU-Landesgruppe im Bundestag nahm diese Steilvorlage aus dem Arbeitsministerium gerne auf. Auch die bayerischen Unions-Abgeordneten wollen Arbeitsverweigerern die finanziellen Zuwendungen ganz streichen.

Auf ihrer am Wochenende anstehenden Klausurtagung wollen sie Folgendes beschließen: „Wir wollen dafür sorgen, dass erwerbsfähige Bürgergeldempfänger eine verfügbare Arbeit annehmen müssen und dass diejenigen, die sich der Mitwirkung beharrlich verweigern, mit Leistungsstreichung sanktioniert werden.“

Wer arbeiten könnte, aber keine Lust hat, soll kein Bürgergeld mehr bekommen

Bis dahin könnte die Vorlage direkt von Heils Schreibtisch stammen. Doch die Bayern wollen mehr: „Eine Maximaldauer für Leistungsstreichungen lehnen wir ab.“ Mit anderen Worten: Wer arbeiten könnte, aber einfach keine Lust dazu hat, der bekommt auf unbestimmte Zeit keine Überweisungen mehr.

Die CSU will, wie sie betont, das Prinzip des „Fördern und Fordern“ wieder zur Richtschnur der Arbeits- und Sozialpolitik machen. Dabei bedient sie sich einer Formulierung Gerhard Schröders, der die Einführung von „Hartz IV“ genau so begründet hatte.

Sich ausgerechnet auf Schröder zu berufen, muss der CSU eine geradezu diebische Freude bereiten. Der Altkanzler ist bei der SPD nämlich gleich doppelt in Verruf geraten – wegen seiner aus SPD-Sicht unsozialen „Agenda 20“-Politik und obendrein wegen seiner unverbrüchlichen – und finanziell höchst lukrativen – Männerfreundschaft mit dem Aggressor Wladimir Putin.

Berlins Regierendem Bürgermeister plädiert für schrittweise Sanktionierung

Flankenschutz erhalten Heil sowie die CSU von Berlins Regierendem Bürgermeister Kai Wegner (CDU). Der spricht sich für eine schrittweise Sanktionierung bei Arbeitsverweigerung aus.

Wer mehrfach zumutbare Jobs ablehne, sollte nach Wegners Meinung weniger Unterstützung erhalten. Beim ersten Mal müssten 25 Prozent, beim zweiten Mal 50 Prozent des Bürgergeldsatzes gekürzt werden. Wegner im Sender RTL/ntv": „Ich sage Ihnen, beim vierten geht er arbeiten".

Bei Heil wie bei der CSU bleibt die Frage, wie lange die Geldzuwendungen bei Arbeitsverweigerung ganz wegfallen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2019 geurteilt, ein vollständiger Entzug der Regelleistungen könne unter bestimmten Umständen gerechtfertigt sein.

Das Arbeitsministerium geht davon aus, dass eine zweimonatige Streichung sich im Rahmen des Urteils bewege. Die CSU-Landesgruppe hat zur rechtlichen Problematik ihres Vorstoßes noch nichts gesagt.

Die Linken bei SPD und Grünen kritisieren Heil

Sozialverbände sowie die Linken bei SPD und Grünen haben Heils Vorschlag bereits heftig kritisiert. Ihr Urteil über die CSU-Pläne wird noch um einiges härter ausfallen.

Allerdings passt der Ruf nach Streichung des Bürgergeldes bei Arbeitsverweigerung zur Stimmung in der Bevölkerung. Zwar wird niemand ernsthaft behaupten, die Mehrheit der 3,9 Millionen erwerbsfähigen Bürgergeld-Bezieher seien Faulenzer. Aber auch Einzelfälle bringen das ganze System in Misskredit.

Das Bild des grundsätzlich faulen Bürgergeldbeziehers ist ebenso falsch wie die Behauptung linker und grüner Sozialpolitiker sowie der Lobbyisten der Sozialverbände, nach nichts sehnten sich Bürgergeldempfänger mehr als nach einem Vollzeit-Job.

Die Versuchung, das System auszunutzen, ist groß Die Bezieher von staatlicher Stütze sind – wie alle anderen Bundesbürger – keine Heiligen. Die Versuchung, das System zumindest zeitweilig auszunutzen, ist groß. Dafür hat ausgerechnet Heil selbst Belege geliefert.

Im Rahmen der Umgestaltung von Hartz IV zum Bürgergeld hatte Heil zum 1. Juli 2022 ein „Sanktionsmoratorium“ in Kraft gesetzt. Das bedeutete: Kürzungen bei Pflichtverletzungen wie der Ablehnung eines Arbeitsangebotes oder Abbruch einer Weiterbildungs¬maßnahme wurden für die Dauer eines Jahres ausgesetzt.

Das blieb nicht ohne Folgen. Nach Untersuchungen der Arbeitsmarktforscher bei der Bundesagentur für Arbeit führte der Wegfall von Sanktionen zu weniger Vermittlungen von „Stütze“-Empfängern in Jobs. Mit anderen Worten: Ohne den Druck einer möglichen Kürzung verzichtete mancher darauf, eine Arbeit aufzunehmen.

Da wird der Fleißige schnell zum Dummen

Dass Bürgergeld-Bezieher jeden Trick anwenden, um ja nicht arbeiten zu müssen, ist nicht die Regel. Doch können auch die, die von der Arbeit und den Steuern anderer leben, rechnen. Und sie sehen sehr genau, ob und in welchem Umfang Arbeit sich lohnt.

Von ganz wenigen Konstellationen abgesehen hat derjenige, der Vollzeit arbeitet, netto mehr als jemand, der nichts tut. Doch sind bei Alleinerziehenden oder Alleinverdienern mit mehreren Kindern die Unterschiede oft lächerlich gering. Da wird der Fleißige schnell zum Dummen.

Nun gibt es unter den Bürgergeldempfängern viele Aufstocker; sie arbeiten, aber ihr Lohn ist so gering, dass der Staat die Differenz zum Bürgergeld übernimmt. Hier handelt es sich in der Regel nicht um Arbeitnehmer, die von ihren Arbeitgebern ausgebeutet werden. Vielmehr sind unter den Aufstockern viele Teilzeitbeschäftigte und nicht zuletzt Menschen mit Mini-Jobs.

Im Grunde weiß niemand, warum diese Arbeitnehmer keinen Vollzeitjob haben. Da können gesundheitliche Gründe einer Vollzeitbeschäftigung im Wege stehen oder bei Alleinerziehenden familiäre Verpflichtungen.

Allerdings ist das Modell „520 Euro-Job plus Bürgergeld“ sehr attraktiv. Wer wenigstens etwas arbeitet, auf den lässt der Druck des Job-Centers, sich um Arbeit zu bemühen, nach. Und die „Work—Life-Balance“ beziehungsweise die „Life-Work-Balance“ stimmt obendrein.

Bürgergeld droht zum „Grundeinkommen light“ zu werden

Im Grunde greifen Heil und ebenso die CSU mit dem Problem der Drückeberger ein symbolisch wichtiges, für unser Sozialsystem aber nicht entscheidendes Thema auf. „Fördern und Fordern“ geht über die Sanktionierung des offenkundigen Missbrauchs hinaus.

Wenn das Bürgergeld nicht zu einem „Grundeinkommen light“ werden soll, muss an mindestens zwei Stellschrauben gedreht werden. Stellschraube 1: Der Abstand zwischen niedrigen Löhnen und einem staatlichen „Lohn“ muss wieder größer werden.

Stellschraube 2: Wenn Bürgergeldempfänger eine Arbeit annehmen, dürfen Bürgergeld und Wohngeld nicht so stark „weggekürzt“ werden, wie das derzeit der Fall ist. Das Prinzip „Leistung muss sich lohnen“ muss auch für Bürgergeldempfänger gelten.

Die Ampel-Koalition hat bisher eher eine gegenteilige Politik betrieben. Die Leistungen des Bürgergelds sind deutlich höher und werden großzügiger gewährt als bei Hartz IV. Zudem soll mit der geplanten Grundsicherung für Kinder das Einkommen von Familien ohne berufstätige Eltern erhöht werden.

Heils Kürzungspläne sind reine Symbolpolitik; die weitergehenden Forderungen der CSU führen auch nicht zu einer grundlegend anderen Politik.

Das deutsche Sozialsystem ähnelt einem Haus, in dem über Jahrzehnte hinweg ständig um- und angebaut wurde. Dieses Gebäude braucht kein weiteres Flickwerk und keine weiteren Schönheitsreparaturen; es braucht dringend eine Grundsanierung. Nur: Ein ideenreicher Sozial-Architekt ist nicht zu sehen – nirgendwo.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 3. Januar 2023)


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