04.01.2024

Hinter Nahles’ Arbeitslosen-Aussagen steckt ein klares Kalkül

2,6 Millionen Arbeitslose bei 713.000 offenen Stellen meldet die Bundesagentur für Arbeit für den Monat Dezember. Tatsächlich dürfte die Zahl der Jobs, für die sich niemand findet, noch höher sein.

Viele Arbeitgeber wenden sich nämlich nicht an die Arbeitsagentur, wenn sie händeringend Personal suchen. Sie wissen aus leidvoller Erfahrung, dass viele der dort registrierten Arbeitslosen nicht über die entsprechende Qualifikation verfügen.

Die Klagen der Arbeitgeber über die mangelnde fachliche Qualität vieler Bewerber auf eine Stelle hat jetzt Andrea Nahles, die Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, bestätigt. Die Zahlen, die sie vorlegte, sind erschreckend.

Für 80 Prozent der offenen Stellen werden Fachkräfte gesucht. „Aber 61 Prozent der Arbeitssuchenden suchen nur Helferjobs, weil sie die Qualifikation nicht haben“, so Nahles bei „RTL-ntv".

Die Mehrheit der Arbeitslosen kann nichts

Nahles bestätigte, was Arbeitsmarktforscher schon lange beklagen: eine „verfestigter Arbeitslosigkeit“ im Bereich der Menschen ohne oder nur mit geringer Qualifikation. Anders ausgedrückt: Die Mehrzahl der Arbeitslosen kann nichts.

Das ist seit langem bekannt. Schon frühere Regierungen haben versucht, gering qualifizierte Arbeitssuchende nicht in die Langzeitarbeitslosigkeit abrutschen zu lassen. Doch diese Bemühungen waren nicht von Erfolg gekrönt. Auf diesem Feld hat die ehemalige Bundesarbeitsministerin Nahles (SPD) ebenfalls keine großen Fortschritte zustande gebracht.

Die Ampel hat deshalb vor einem Jahr einen neuen Anlauf genommen, um Arbeitslose besser zu qualifizieren. Wer sich weiterbildet, bekommt seit 1. Juli 2023 monatlich einen Zuschlag von 75 Euro, wer eine Berufsausbildung aufnimmt sogar 150 Euro zusätzlich.

Eine Politik nach dem Motto: „rein in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln"

Die Weiterbildungsprämie soll schon wieder gestrichen werden, weil die Bundesregierung sich durch ihre verfassungswidrigen Sondervermögen-Tricks eine veritable Haushaltkrise eingebrockt hat. Eine Politik nach dem Motto: „rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln“.

Zudem ist fraglich, ob die Bundesanstalt überhaupt die Mittel hat, die Zusatzleistung bei Aufnahme einer Berufsausbildung zu finanzieren. Denn sie muss damit rechnen, dass die Sparpläne der Ampel sie mehrere hundert Millionen Euro kosten dürften.

Dass Nahles ausgerechnet jetzt auf die steigende Arbeitslosigkeit unter den gering Qualifizierten hinweist, ist kein Zufall. Die ehemalige SPD-Vorsitzende Nahles liefert ganz bewusst denen in SPD und Grünen willkommene Argumente, die am liebsten gar nicht sparen möchten.

Mal sehen, wer als erster mit den Nahles-Äußerungen eine „Notlage“ begründen wird. Das wäre dann aus rot-grüner Sicht eine weitere Begründung für die Aussetzung der Schuldenbremse.

Die Bundesagentur selbst könnte in eine Notlage kommen, wenn die Ampel ihren Plan verwirklicht, eigentlich als Zuschüsse gewährte Milliardenhilfen des Bundes zurückzufordern.

Dann müsste Nürnberg in den nächsten Jahren 5,2 Milliarden Euro an Berlin überweisen. Dieses Geld fehlte bei der Arbeitsmarktpolitik. Auch ließe die Rückzahlung es nicht zu, die während der Pandemie in Anspruch genommenen Rücklagen wieder zu erhöhen.

Keine kurzfristigen Erfolge in Sicht

Was die Bundesagentur braucht, sind kluge Vorschläge und das notwendige Geld für eine Qualifizierungsoffensive. Kurzfristig sind da keine Erfolge zu erwarten. Selbst wenn eine Millionen Arbeitslose sofort mit einer Berufsausbildung begönnen, dauerte es drei Jahre, bis sie die beängstigend große Lücke bei den Fachkräften schließen könnten.

Nahles beklagt, dass auf dem „Arbeitsmarkt“ für Ungelernte die Arbeitslosigkeit steigt. Das ist nicht in erster Linie einer Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik anzulasten, die bei der Höhe der Zuwendungen wie bei der Beurteilung zumutbarer Tätigkeiten sehr großzügig war.

Die Ursachen liegen tiefer. Solange unser Bildungssystem Jahr für Jahr rund 50.000 junge Leute ohne Hauptschulabschluss „produziert“, solange wird die Zahl derer, die für jede halbwegs anspruchsvolle Arbeit untauglich sind, weiter steigen.

Nahles hat auf die wunden Punkte unserer Arbeitsmarktpolitik hingewiesen. Diese unübersehbaren Fehlentwicklungen sind schon vor Jahrzehnten eingeleitet worden. Es wird Jahrzehnte dauern, zu spürbaren Verbesserungen zu kommen. Das ist keine optimistische Perspektive – nur eine realistische.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 3. Januar 2023)


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