04.12.2023

Habeck erklärt in der ARD das ganze Dilemma der Grünen - in einem Satz

Bei „Anne Will“ sprach am Sonntagabend wohl der Philosoph Robert Habeck. Der stellte mit Blick auf all die Probleme in der Welt mit einem abgeklärten Seufzer fest: "Wir sind umzingelt von Wirklichkeit."

Der Politiker Habeck hatte vor gut zwei Wochen auf dem Grünen-Parteitag noch ganz anders geklungen: „Corona, die Kriege, die Klimakrise, hohe Migrationszahlen – wir haben diese Realität voll angenommen. Unsere Ideologie heißt Wirklichkeit“.

Grüne haben richtig reagiert nach Beginn des Ukraine-Krieges

Ja, was denn nun, Herr Vizekanzler? Wenn die Wirklichkeit die Basis grüner Politik ist, dann kann man schlecht über die Wirklichkeit klagen. Es sei denn, die Realität, in der die Grünen laut Habeck angekommen sein wollen, hat mit der real existierenden Wirklichkeit nicht allzu viel zu tun.

Richtig ist: Die Grünen, allen voran ihr Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, haben nach dem russischen Überfall auf die Ukraine Sinn für das Notwendige gezeigt. Die erneute Inbetriebnahme von Kohlekraftwerken belegte das ebenso wie der Import von Flüssiggas.

Aber das ist nicht das ganze Bild. Die Ampel-Regierung – maßgeblich angetrieben von der Öko-Partei – hat unverändert größte Schwierigkeit, sich der bitteren Wirklichkeit anzupassen. Dazu einige Beispiele:

1. Die Welt richtet sich nicht nach Deutschland

Auf der Weltklimakonferenz zeigt sich deutlich: Kein anderes Industrieland folgt dem höchst riskanten deutschen Beispiel, aus Kernkraft und Kohle auszusteigen. Im Gegenteil: 20 Länder haben unter Führung der USA in Dubai dazu aufgerufen, die Kernkraft-Kapazitäten weltweit bis 2050 zu verdreifachen.

Die Begründung: Klimaneutralität sei bis 2050 ohne Atomkraft "nicht erreichbar“. Dieser Meinung ist auch eine Mehrheit der Deutschen. Die Grünen aber halten stur an ihrer Anti-Kernkraft-Politik fest. Da klaffen Ideologie und Wirklichkeit weit auseinander.

2. Europa richtet sich nicht nach Deutschland

Grundsätzlich sind die Grünen unverändert für eine unbegrenzte Zuwanderung. Immerhin haben sich ihre Minister dazu aufgerafft, die geplanten verstärkten Kontrollen an den EU-Außengrenzen mitzutragen. Doch große Teile der Grünen-Mitglieder verurteilen dies scharf als rechtspopulistisch.

Die Grünen leugnen – zusammen mit der SPD – zudem hartnäckig, dass die großzügigen Sozialleistungen für Zuwanderer Deutschland für viele attraktiv machen. Viele, die – aus welchen Gründen auch immer – ein besseres Leben anstreben, zieht es hierher.

Unsere europäischen Nachbarn denken nicht daran, ihre Leistungen für Zuwanderer den höheren deutschen anzupassen. Jeder, der zu uns geht, entlastet sie. Migrations-Ideologie trifft auf Migrations-Wirklichkeit.

3. Das Verfassungsgericht richtet sich nicht nach der Ampel

Die Ampel versteht sich als Klimakoalition mit „Klimakanzler“ Olaf Scholz (SPD) an der Spitze und Klimaminister Habeck als treibende Kraft. Um die schnelle, kostspielige ökologische Transformation des Landes zu finanzieren, einigte man sich auf Haushaltstricks.

So verschob man aus der Coronazeit nicht genutzte Kreditermächtigungen in den Klima- und Transformationsfonds. Das Verfassungsgericht sagte klipp und klar, dass solche Manöver gegen das Grundgesetz verstoßen. Rot-grün-gelbe Haushaltstricks und Verfassungswirklichkeit passen eben nicht zusammen.

4. Die Deutschen richten sich nicht nach der Ampel

Vor zwei Jahren haben die Wähler den Ampel-Parteien zur Mehrheit verholfen. Doch auf die anfängliche Zustimmung zur „Fortschrittskoalition“ folgte bald Ernüchterung.

Habecks „Heizungshammer“ hat mehr Menschen verunsichert als jede andere politische Maßnahme der letzten Jahrzehnte. Vor allem die Besitzer älterer Einfamilienhäuser sahen sich existenziell gefährdet.

Ebenfalls unzufrieden ist die Mehrheit mit der Migrationspolitik der Regierung, ebenso mit der Sozialpolitik. Zwei Drittel der Bundesbürger sehen laut Forsa in der Bürgergeld-Erhöhung um 12 Prozent einen Anreiz, keine reguläre Arbeit aufzunehmen.

Die Wirklichkeit sieht eben so aus: Die Steuer- und Beitragszahler wissen, wer sozialpolitische Großzügigkeit finanziert – nicht die Politiker, sondern sie selbst.

5. Der Normalbürger richtet sich nicht nach den Grünen

Habeck hat die Gesellschaftspolitik als den „Glutkern“ der Ampel bezeichnet. Dazu zählen Identitätspolitik, die Freigabe von Cannabis, die freie Wahl des Geschlechts oder die Einführung einer „Ehe light“.

Das alles interessiert den harten Kern der Grünen-Wähler, jedoch nicht den Normalbürger. Der kann und will mit all den hehren „woken“ Vorstellungen wenig anfangen.

Die Hoffnung der Grünen, an Habecks „Glutkern“ könnten sich Menschen außerhalb der grünen Blase erwärmen, hat mit der Wirklichkeit nichts gemein.

Fazit: Politik am Bürger vorbei muss scheitern

Das Grundproblem der Grünen sind nicht ihre Vorstellungen von einer anderen Klimapolitik, größerer sozialer Gerechtigkeit, einer toleranteren Gesellschaft oder einer friedlicheren Welt. Ihr Problem liegt eher in dem missionarischen Eifer, mit dem sie die Bürger beglücken wollen.

Politik am Bürger vorbei führt letztlich dazu, dass man von der Wirklichkeit umzingelt wird. Habeck beklagt also einen Zustand, den er und seine Partei selbst herbeigeführt haben.

Auf ihrem Parteitag haben die grünen Ideologen ein Adenauer-Zitat aus ihrem Europaprogramm gestrichen, weil der erste Bundeskanzler ihrer Meinung nach nicht feministisch genug war. Freilich könnten Habeck und die Seinen von dem großen „Alten“ lernen. Von dem stammt der Ratschlag, „nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibt’s nicht.“

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 4. Dezember 2023)


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