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11.09.2023
Flick macht den Scholz: „Ich finde, wir machen es gut“
Der ehemalige englische Fußball-Nationalspieler Gary Lineker ließ deutsche Herzen höherschlagen, als er vor vielen Jahren Fußball so definierte: "Fußball ist ein einfaches Spiel. 22 Männer jagen 90 Minuten einen Ball und am Ende gewinnen immer die Deutschen". Nach der deutschen Blamage bei der Weltmeisterschaft in Katar bewies der Engländer Humor, als er seinen Spruch ergänzte: "Wenn sie es durch die Gruppenphase schaffen."
Hansi Flick, bis Sonntag noch Nationaltrainer, scheint sich geistig noch in der guten alten deutschen Fußballwelt zu bewegen. Nach dem 1:4 Debakel gegen Japan sah Flick selbst keinen Handlungsbedarf. Als wäre er nicht von dieser Welt, verkündete er trotzig: „Ja, ich bin noch der Richtige. Ich finde, wir machen es gut.“
Nach der vierten Niederlage in sechs Länderspielen in diesem Jahr (bei nur einem Sieg) offenbarte Flick ein erschreckendes Maß an Realitätsverweigerung. Wir verlieren zwar ständig, aber wir machen es gut? Das war dann selbst der Spitze des Deutschen-Fußballbundes, wo das Schönreden des eigenen Niedergangs eine gewisse Tradition hat, zu viel. Flick wurde vom Platz gestellt.
Vielleicht hinterlässt „Hansi“ die Redewendung, „den Flick machen“. Das wäre dann die passende Beschreibung für die auch in der Politik weit verbreitete Neigung, selbst offenkundiges Versagen und krachende Niederlagen zu beschönigen. Das wäre freilich zu viel der Ehre für den gescheiterten Coach.
Der Kanzler steht da wie der Bundestrainer nach dem Japan-Spiel
Genaugenommen hat Flick „den Scholz gemacht“. Bundeskanzler Olaf Scholz ist geradezu ein Großmeister darin, seine Traumwelt als Realität zu verkaufen. Er erinnert, wie selbst der „Spiegel“ spottete, „an einen Immobilienmakler, der eine Bruchbude als Wohlfühloase anpreist“.
Dass in diesem Land vieles schief läuft, hat auch damit zu tun, dass in den vergangenen Jahrzehnten – unter maßgeblicher Beteiligung der SPD – viel versäumt wurde. Der aktuelle Stand ist wenig berauschend: Die Wirtschaft schmiert ab, Unternehmen gehen ins Ausland oder denken ernsthaft übers Auswandern nach, die Infrastruktur zerbröselt, die Digitalisierung kommt kaum voran, die illegale Zuwanderung hält unvermindert an. Selbst die Klimapolitik, ein zentrales Thema der selbsternannten Fortschrittskoalition, gerät – Stichwort Heizungsgesetz – nicht gerade zum Glanzstück.
Der Kanzler steht also da wie der Bundestrainer nach dem Japan-Spiel. Doch während Flick sichtlich niedergeschlagen um Worte rang, gibt Scholz unverdrossen den Gute-Laune-Bär. Seine steile These in der Haushaltsdebatte im Bundestag war bezeichnend: „Wir kommen voran bei der Aufgabe, unser Land so aufzustellen, dass unsere besten Tage nicht hinter uns liegen, sondern vor uns.“
Dass die besten Tage vor uns liegen – diese Gesundbeterei wird dem Kanzler von der Bevölkerung nicht abgenommen. Das Vertrauen in die Handlungsfähigkeit des Staates hat einen erschreckend niedrigen Stand erreicht, das in Kompetenz der Parteien ebenfalls. Was Scholz nicht daran hindert, in dem ARD-Dokumentarfilm „Ernstfall – Regieren am Limit“ treuherzig zu versichern, er möchte, „dass die ganze Regierung wiedergewählt wird.“
Flick ist daran gescheitert, dass die Fußballer – anders als die weltmeisterlichen Basketballer – schon lange kein eingespieltes Team mehr sind. Scholz wiederum wusste von Anfang an, dass seine Sozialdemokraten, die Grünen und die Freien Demokraten nur wenige inhaltliche Schnittmengen vorzuweisen haben. Die ständigen Streitereien und Reibereien belegen dies.
An dem „Glutkern“ der Ampel kann sich das Volk nicht wärmen
Ob es um Waffen für die Ukraine ging, den Weiterbetrieb der verbliebenen Kernkraftwerke oder ein Bürgergeld, das in mancher Hinsicht an den Traum der Linken vom bedingungslosen Grundeinkommen erinnert – da war und ist von einer harmonierenden rot-grün-gelben Mannschaft nichts zusehen.
Am größten sind noch die Gemeinsamkeiten in der Gesellschaftspolitik, vom grünen Vizekanzler Robet Habeck als „Glutkern“ der Ampel gepriesen. Tatsächlich ziehen die Koalitionäre bei der Cannabis-Freigabe oder der Möglichkeit zum jährlichen Wechsel des eigenen Geschlechts an einem Strang. Nur beschäftigt die Menschen die Sorge um die eigene wirtschaftliche Zukunft wesentlich stärker als der leichtere Zugang zu einem deutschen Pass für hier lebende Ausländer. An diesem „Glutkern“ kann sich das Volk nicht wärmen.
Die Schwierigkeiten, vor denen die Bundesregierung steht, sind ungleich größer als die des DFB. Gleichwohl geht es dem deutschen Fußball wie dem ganzen Land und umgekehrt: Die Erinnerung an die gute alte Zeit versperrt den Blick auf die aktuellen Probleme.
Die Wirklichkeit lässt sich auf Dauer jedoch nicht verschleiern, verharmlosen oder beschönigen. Das haben Fußball und Politik gemeinsam: „Entscheidend is‘ auf’m Platz.“ Beim Deutschen-Fußballbund scheint diese Erkenntnis angekommen zu sein, im Bundeskanzleramt offenbar noch nicht.
(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 11. September 2023)
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