05.09.2023

Wenn Kevin Kühnert den CDU-Chef lobt

Wenn der Oppositionsführer das Wort ergreift, sollten im Idealfall die Regierenden erschrecken oder zumindest nachdenklich werden. Wenn er beispielsweise schwerwiegende Fehler der Regierung offenlegt oder gute und durchdachte Alternativen vorschlägt.

Bei Friedrich Merz, als Fraktionsvorsitzender der CDU/CSU im Parlament der Gegenspieler von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), ist bisweilen eher das Gegenteil der Fall. Schon mehrfach sind die eigenen Parteifreunde erschrocken, wenn Merz beispielsweise sich in einer Weise mit der AfD beschäftigte, die den eigenen Generalsekretär zu mitternächtlicher Stunde zu einem Dementi veranlasst.

Ganz so schlimm wie bei dem Merzschen Sommerinterview zur AfD war es an diesem Wochenende nicht. Doch dürften viele Mittelständler und Manager verwundert die Augen gerieben haben, als Merz in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ verkündete, bei der von ihm angestrebten steuerlichen Entlastung des Mittelstandes sei es „nicht entscheidend, ob der Spitzensatz bei 42 oder 45 Prozent liegt.“

Die Aussage war „ein typischer Merz“. Denn Merz ließ offen, was er eigentlich genau vorhat. Falls die CDU/CSU daran festhält, den Solidaritätszuschlag auch für die „Reichen“ abzuschaffen, dann hätten wir eine andere Gefechtslage als bei einer Beibehaltung dieser einst zum „Aufbau Ost“ eingeführten Abgabe.

„Keine höhere Einkommensteuer“

Reichtum im Sinne des „Soli“ beginnt bei einem zu versteuernden Jahreseinkommen von 65.500/131.000 Euro (Ledige/Verheiratete). Sollte der Soli-Zuschlag in Höhe von 5,5 Prozent auf die Einkommensteuer wegfallen, könnten diese Steuerzahler mit einer leichten Erhöhung des Spitzensteuersatzes von derzeit 42 Prozent sicher gut leben. Bliebe der Soli dagegen erhalten, hätte ein erhöhter Spitzensteuersatz eine ganz andere Wirkung. Denn der Soli würde dann auf die erhöhte Steuerlast fällig.

Ungeachtet solcher Überlegungen überrascht die Nonchalance, mit der ausgerechnet der Wirtschaftsexperte Merz eine „heilige Kuh“ der Union schlachtet. „Keine Steuererhöhungen“ lautete seit Erhards Zeiten das Unions-Mantra. Selbst Friedrich Merz würde seiner Intimfeindin Angela Merz nicht vorwerfen, sie sei eine Steuererhöhungs-Kanzlerin gewesen. Merkel hat als Preis für das Kanzleramt der SPD zwar 2005 die Einführung der sogenannten Reichensteuer von 45 Prozent zugestanden. In allen späteren Wahlkämpfen hat Merkel aber an dem CDU-Grundsatz „keine höhere Einkommensteuer“ festgehalten.

Lob von Kevin Kühnert

Nun wird die „Reichensteuer“ erst von 277.000/544.000 Euro an erhoben. Die 45 Prozent von Merz müssten dagegen viel früher einsetzen, wenn damit die Entlastungen im mittleren Einkommensbereich finanziert werden sollen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hat dem Oppositionsführer vorgerechnet, um den Steuersatz für kleinere und mittlere Einkommen mit einem höheren Spitzensteuersatz zu finanzieren, müsste dieser bei Einkommen von 80.000/160.000 Euro an stolze 57 Prozent betragen.

SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, ein erklärter Fan von deutlich höheren Steuern für „Reiche“, hat Merz für seine Initiative ausdrücklich gelobt. Wichtiger – und unangenehmer – dürfte für den CDU-Vorsitzenden dagegen eine Wortmeldung aus den eigenen Reihen sein. Johannes Winkel, Vorsitzender der Jungen Union und ein Merz-Mann, hat seinen Parteivorsitzenden deutlich kritisiert. Mit einer Anhebung des Spitzensteuersatzes verschlechterte Deutschland im internationalen Wettbewerb um die klügsten Köpfe seine Chancen. Ähnliches hätte wohl auch Merz gesagt, wenn „sein“ Vorschlag von SPD oder Grünen gekommen wäre.

Erklärungsbedürftig ist zudem eine Merz-Äußerung zu einer Ergänzung des Umlageverfahrens in der gesetzlichen Rentenversicherung durch die „Aktienrente“. Den Einstieg dazu hat die FDP in der Ampel durchgesetzt. Bei der „Aktienrente“ soll der Bund Kredite aufnehmen, das Geld am Aktienmarkt investieren und mit den Renditen die Rentenkasse stabilisieren. Dass ausgerechnet Merz, von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender der deutschen Tochter der US-Fondgesellschaft Blackrock, dies ablehnt, überrascht dann doch.

Eine weitere, kapitalgedeckte Säule in der Altversorge hält März durchaus für notwendig. Das bezieht sich wohl auf die private Altersvorsorge. Merz: „Aber in der gesetzlichen Rente hat das nichts zu suchen. Was die Regierung mit ihrer Aktienrente macht, Spekulieren auf Pump, das sind Hedgefonds-Methoden.“ Dieses Vokabular benutzen normalerweise linke, staatsgläubige Rentenpolitiker. Aus dem Mund eines CDU-Vorsitzenden ist das dagegen ungewohnt.

Eloquenter Kritiker der Ampel

Als Merz sich 2018 daranmachte, den CDU-Vorsitz zu erringen, waren es vor allem die Mittelständler und der Wirtschaftsflügel der Partei, die ihn unterstützten. Von dem Sauerländer erwarteten sie einen wieder erkennbaren Kurs der nach 16 Jahren Merkel inhaltlich entkernten CDU – wertkonservativ und marktwirtschaftlich. Bisher hat er da nicht viel geliefert.

Merz führt seit nunmehr eineinhalb Jahren Partei und Fraktion. Im Parlament hat er sich als eloquenter Kritiker der Ampel profiliert. Doch ein neues Profil einer Nach-Merkel-CDU ist noch nicht zu erkennen. Im Gegenteil: Die an der Arbeit am Grundsatzprogramm beteiligte Fachkommission „Wohlstand“ hat kürzlich ein Papier veröffentlicht, das ebenfalls Steuererhöhungen nicht ausschließt, bei der Einkommensteuer wie bei der Erbschaftsteuer. Darin heißt es: „Die CDU ist auch künftig die Partei der möglichst niedrigen, aber hinreichend hohen Steuern – und damit nicht per se die Partei der Steuersenkungen oder Steuererhöhungen.“

Das klingt nach einem kräftigen „Sowohl als auch“ und wäre zweifellos ganz im Sinne Merkels. So jedenfalls hatten sich die „Merzianer“ die Zeitenwende in der CDU nicht vorgestellt. Aber vielleicht erklärt der Oppositionsführer demnächst, was er mit seinen Aussagen zu Steuererhöhungen konkret gemeint hat. Im nachträglichen Erklären hat er bekanntlich Übung.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 5. September 2023)


» Artikel kommentieren

Kommentare



Drucken
Müller-Vogg am Mikrofon

Presse

01. November 2023 | Hauptstadt – Das Briefing

Ampel-Krise

» mehr

Buchtipp

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

konservativ?! Miniaturen aus Kultur, Politik und Wirtschaft

» mehr

Biografie

Dr. Hugo Müller Vogg

Hugo-Müller-Vogg

» mehr