24.05.2023

Von den Fehlern der Ampel profitiert die AfD stärker als die CDU

Die AfD liegt in der jüngsten INSA-Umfrage bei 17 Prozent, deutlich vor den Grünen mit 14 Prozent. Das allein sagt nicht viel. 2018 hatte die in Teilen rechtsextreme Partei monatelang 17 Prozent und mehr erreicht. Dennoch blieb sie bei der Bundestagswahl 2021 mit 10,3 Prozent unter ihren 12,6 Prozent von 2017.

An den jüngsten Umfrageergebnissen für die AfD gibt etwas anderes zu denken. Die Zahl derer, die diese zerstrittene Partei mit ihrem häufig ausfällig werdenden Personal grundsätzlich nicht wählen würde, ist stark gesunken: von 70 Prozent Ende 2020 auf jetzt nur noch knapp 54 Prozent. Das bedeutet: Immer weniger Wähler sehen in der Rechtsaußenpartei weiterhin ein „Schmuddelkind“, mit dem man lieber nicht spielen will. Dazu passt, dass INSA das Potential der AfD inzwischen mit 25 Prozent angibt. Zum Vergleich: Die Grünen zu wählen können sich knapp 30 Prozent der Deutschen vorstellen, die FDP gut 25 Prozent, die Linke rund 14 Prozent.

Nun entspricht es den Regeln des parteipolitischen Konjunkturverlaufs, dass die Opposition zwischen den Wahlen stärker wird, weil sie von den Fehlern der Regierenden lebt. Doch fällt auf, dass im Jahr zwei der Ampel die CDU/CSU mit 28 Prozent bei INSA vergleichsweise wenig von der Schwäche der Regierungsparteien profitiert und die Linke gleich gar nicht. All der Ärger über Habecks Heizungshammer, den ungeregelten Zustrom von Flüchtlingen und die identitätspolitischen Experimente der Ampel – Gendergaga eingeschlossen – schlägt sich überwiegend auf dem AfD-Konto nieder. Wer zudem der Meinung ist, wir sollten wegen der Ukraine uns nicht mit Putin überwerfen, fühlt sich ebenfalls von der AfD bestens vertreten. Letzteres erklärt deren Umfragewerte von 20 plus in den ostdeutschen Ländern.

Gewinne der CDU/CSU sind relativ bescheiden

Das demoskopische Hoch der AfD fällt aus zwei Gründen aus dem Rahmen. Die Schwäche der Ampel-Koalition kommt nicht in erster Linie der größten Oppositionsfraktion, der CDU/CSU, zugute, sondern der deutlich kleineren AfD. Was noch bedenklicher ist: Die AfD ist durch ihre Zugehörigkeit zum parlamentarischen System nicht pragmatischer und professioneller geworden, wie das beispielsweise bei der Linken alias PDS alias SED der Fall war. Im Gegenteil: Die AfD hat sich in den Parlamenten weiter radikalisiert, trägt Ausländerfeindlichkeit und Rassismus noch offener zur Schau. Es gibt keinen nennenswerten innerparteilichen Gegensatz mehr zwischen nationalkonservativen Bürgerlichen und Rechtsradikalen. Der formal aufgelöste „Flügel“ hat die Partei übernommen.

Verglichen mit der wachsenden Zustimmung zur AfD sind die Gewinne der CDU/CSU relativ bescheiden. Irgendwie scheint die Union eingemauert zu sein im Umfragekorridor zwischen 28 und 30 Prozent. Ob erste Umfragen, die sie bei 31 bis 33 Prozent zeigen, von Dauer sind, muss sich noch zeigen. Sie verzeichnet in jedem Fall einen Zugewinn gegenüber den katastrophalen 24,1 Prozent bei der letzten Bundestagswahl. Gleichwohl kommt die Union im besten Fall heute auf das schlechteste Wahlergebnis der Ära Merkel, den 32,9 Prozent von 2017. Es gelingt CDU und CSU nur bedingt, vom wachsenden Unmut über die Ampel zu profitieren.

Union leidet unter Merkels Erbe

Die Union leidet eben unverändert unter Merkels Erbe. Wer 16 Jahre die Kanzlerin gestellt hat, kann seine Verantwortung für den keineswegs optimalen Zustand des Landes nicht leugnen. Das zeigen auch Umfrageergebnisse, wonach die von der Ampel enttäuschten Wähler von der Union in der Regierung auch keine wesentlich bessere Politik erwarten. Natürlich hat die SPD als Dauerregierungspartei seit 1998 (einzige Ausnahme: 2009-2013) ebenfalls ihren Beitrag dazu geleistet, dass hierzulande alles scheinbar perfekt und bürokratisch geregelt ist, während immer weniger funktioniert – von der zerbröselnden Infrastruktur über den Sanierungsfall Bahn bis zu einem nur eingeschränkt leistungsfähigen Gesundheitssystem. Doch gelingt es den Sozialdemokraten, sich in der neuen Ampel-Konstellation als quasi jungfräuliche Kanzlerpartei darzustellen, frei von allen politischen Sünden der Vergangenheit. Ihre schlechten Umfragewerte sind nicht dem Ballast aus der GroKo-Zeit geschuldet; sie beruhen auf dem aktuellen Regierungshandeln.

Dennoch ist die Union von den 40 Prozent weit entfernt, die der seit knapp eineinhalb Jahren amtierende CDU-Vorsitzende Friedrich Merz als Ziel ausgegeben hatte. Ohnehin sind 40 Prozent-Ergebnisse in einem Sechs-Parteien-System kaum noch zu erreichen, zumal ein wachsender Anteil von Protestwählern seine Stimmen an Splitterparteien verschenkt, die zusammen auf 8 bis 10 Prozent kommen. Vor allem aber konnte Merz seine Ankündigung, die AfD zu halbieren, nicht wahrmachen. Im Gegenteil: Die AfD würde, wenn am Sonntag Bundestagswahl wäre, noch besser abschneiden als zu Zeiten von Angela Merkel.

Es kann niemanden überraschen, dass der anhaltende Zustrom von Flüchtlingen – mit und ohne Aussicht auf Asyl oder Duldung – der AfD in die Karten spielt. Wenn selbst grüne Kommunalpolitiker beklagen, sie wären am Ende ihrer Möglichkeiten, wirkt das wie ein Konjunkturprogramm für die AfD. Die CDU kann zwar kritisieren, dass der Bund den Gemeinden nicht ausreichend hilft, aber letztlich wurden die Weichen unter der Kanzlerschaft Merkels falsch gestellt. Wenn dann die Ex-Kanzlerin von führenden Unionspolitikern wie dem nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Hendrik Wüst oder dem bayerischen Regierungschef Markus Söder (CSU) mit Preisen überhäuft wird, schütteln selbst bürgerliche Wähler den Kopf und sehen in der AfD eine Alternative. Diese Wähler versprechen sich von ihrer Hinwendung zur AfD keine Lösung. Doch wollen sie wenigstens auf diese Weise ihrem Ärger über die „Wir-schaffen-das“-Euphorie mit ihren bis heute anhaltenden Folgen freien Lauf lassen.

Die AfD profitiert auch von einem stark veränderten Meinungsklima. Wenn die Hälfte der Menschen angibt, nicht mehr alles sagen zu dürfen, was sie meinen, dann ist das ebenso Wasser auf die Mühlen der AfD wie das ganze Spektrum von Identitätspolitik, Political Correctness, Cancel Culture und „Wokeness“. Hier zeigen Söder und die CSU klare Kante gegen Linksgrün, was ihnen den Umfragen zufolge nicht schlecht bekommt. Die Bayern kämpfen dezidiert gegen die Grünen, während die CDU selbst dort – siehe Schleswig-Holstein - mit ihnen koaliert, wo es auch für Schwarz-Gelb gereicht hätte.

„Modernisierung“ ist für die CDU kein Allheilmittel 

Dabei darf man nicht vergessen, dass alle die „Merkelianer“ in der CDU, die 2021 Armin Laschet erst zum Parteivorsitzenden und dann zum Kanzlerkandidaten machten, in Partei und Fraktion immer noch wichtige Ämter bekleiden. Sie und viele andere CDU- Politiker sind vielfach von der Angst getrieben, von den Medien als nicht modern bezeichnet zu werden. Also tragen sie, nicht zuletzt in den Kommunen, häufig eine linksgrüne Politik mit, was der Konkurrenz freilich besser gefällt als ihren eigenen Wählern.

Die „Sombrero“-Affäre in Mannheim zeigte deutlich, wie sich eine „zeitgeistige“ CDU verhält. Als die Leitung der Bundesgartenschau einer Tanzgruppe der Arbeiterwohlfahrt das Tragen bestimmter Kostüme wegen der Gefahr „kultureller Aneignung“ untersagte, konnte sich die örtliche CDU nicht aufraffen, gegen diesen Unsinn Front zu machen. Wenn „moderne Großstadtpartei“ so aussieht, braucht man sich über die AfD-Werte nicht zu wundern.

Dass „Modernisierung“ kein Allheilmittel ist, musste die CDU erst jüngst in Bremen erfahren. Sie präsentierte sich sehr grün und versprach den Bremer Schülern, von denen viele Nachhilfe in Lesen und Schreiben brauchten, ein neues Schulfach: Glücksunterricht. Ausgezahlt hat sich das nicht. Der große Gewinner war die rechtspopulistische Gruppierung „Bürger in Wut“. Die sammelte rechts von der CDU die Stimmen ein, die für die wegen Formfehler von der Wahl ausgeschlossene AfD nicht einheimsen konnte.

Linksgrün hat einen Kulturkampf ausgerufen

Merz hat die CDU/CSU-Bundestagsfraktion erfolgreich auf Opposition umgestellt und die Partei in gewisser Weise befriedet. Aber er achtet peinlich darauf, die „Merkelianer“ in den eigenen Reihen nicht vor den Kopf zu stoßen. Doch will die CDU nicht wahrhaben, dass Linksgrün einen Kulturkampf ausgerufen hat, an dessen Ende ein anderes Land stehen soll. Nicht mehr die alte Bundesrepublik mit einer breiten toleranten Mitte. Die neue BRD soll aus linksgrüner Sicht ein diverses Konglomerat aus unzähligen Minderheiten und vermeintlichen Opfergruppen sein, die alle mit staatlichen Mitteln und Quoten gefördert werden. Diese Gesellschaft wird nach linksgrüner Vorstellung zur multikulturellen Idylle, wenn die „Biodeutschen“ sich endlich daran machen, die fehlende Anpassungsbereitschaft vieler Zuwanderer durch eigene Zugeständnisse auszugleichen. Der Zustand größter Glückseligkeit wäre erreicht, wenn jeder sich auswählen kann, wonach ihm gerade ist – das Geschlecht ebenso wie staatlich alimentierte Selbstverwirklichung oder hoch besteuerte Erwerbsarbeit.

CDU muss wieder Anwalt der Mehrheit werden

Die Gesellschaft ist heute vielfältiger als jemals zuvor. Dennoch gibt es eine Mehrheit. Sie besteht aus Familien und Alleinerziehenden, die arbeiten, ihre Steuern zahlen und sich um ihre Angehörigen kümmern. Diese „Normalbürger“ bilden das Rückgrat unseres Gemeinwesens. Sie wollen, dass Arbeit und Einsatz sich auszahlen. Sie sind weder ideologisch noch extremistisch festgelegt, sondern denken bei politischen Entscheidungen ganz pragmatisch zuerst an deren Auswirkungen für sich. Sie sind keine herzlosen Egoisten, praktizieren Solidarität jedoch eher gegenüber ihrem Umfeld als gegenüber irgendwelchen sozialen Gruppen. Sie sind durchaus bereit, Flüchtlingen zu helfen, die aus Angst um Leib und Leben zu uns gekommen sind, aber nicht solchen, die in Wirklichkeit nach sozialer Sicherheit à la BRD streben. Diese Normalbürger machen sich Gedanken über die Zukunft, aber die Probleme der Gegenwart sind ihnen näher. Sie sind nicht sonderlich an Parteiprogrammen interessiert, sondern wollen in erster Linie vernünftig und effizient regiert werden.

Wenn eine Partei der Anwalt dieser Mehrheit sein kann, dann wohl die CDU. Aber die Partei hat in den langen Regierungsjahren die Fähigkeit verloren, den Menschen Sicherheit zu geben – wirtschaftlich, sozial und kulturell. Dieses Angebot kann die Union den Bürgern aber nicht machen, wenn sie sich auf einen Modernisierungswettlauf mit anderen einlässt, der sich an Minderheiten orientiert. Die CDU kann die „Normalos“ nicht in ausreichend großer Zahl für sich gewinnen, wenn sie stets den Eindruck erweckt, es ginge ihr in erster Linie darum, die Grünen als künftigen Koalitionspartner pfleglich zu behandeln und ja nicht zu vergraulen. Die CDU wird sich mit Blick auf 2025 entscheiden müssen, was sie will: dass die Grünen sie für regierungsfähig halten oder mindestens ein Drittel der Wähler.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 24. Mai 2023)


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