23.03.2023

Der Staat ist ein gefräßiges Raubtier

„Steuern sind ein erlaubter Fall von Raub“. Nein, das hat nicht irgendein herzloser Neoliberaler von sich gegeben. Das schrieb der Kirchenlehrer Thomas von Aquin (1224–1274) schon vor achthundert Jahren. Was ja auch stimmt: Jedes Gemeinwesen ist gezwungen, seinen Bürgern Geld abzunehmen, ob diese wollen oder nicht. Denn ohne Steuern ist kein Staat zu machen. Fragt sich nur, wie brutal der „Räuber Staat“ zuschlägt.

In Deutschland ist der Staat ein gefräßiges Raubtier, gieriger als seine Artgenossen in vielen anderen Staaten. Die Steuerquote, also der Anteil der Steuern an der gesamten Wirtschaftsleistung, ist 2022 auf 24,5 Prozent gestiegen – ein neuer Höchststand. Das heißt, der Staat beansprucht ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts für sich. 1991, dem ersten Jahr nach der Wiedervereinigung, lag diese Quote noch bei 22,0 Prozent. Dabei sind die hohen Sozialabgaben noch gar nicht mitgerechnet.

Spannungen wegen Steuererhöhungen

Dessen ungeachtet rufen die Politiker von links bis ganz links – Grüne, SPD und Linkspartei – ständig nach höheren Steuern. Es gibt kein Problem, das sich aus deren Sicht nicht mit höheren Steuersätzen oder einer neuen Vermögensteuer lösen ließe. Das führt in der Ampel-Koalition zu heftigen Spannungen. Dabei heißt die Gefechtslage: Rot-Grün gegen FDP.

Bundesfinanzminister Christian Lindner und die FDP weigern sich beharrlich, an der Steuerschraube zu drehen oder die Schuldenbremse aufzuheben. Aus gutem Grund: Beides waren Voraussetzungen für eine Koalition der Freien Demokraten mit den zwei linken Parteien SPD und Grüne. Allerdings sind die Ausgabenwünsche der roten und grünen Minister viel höher als das, was ohne Steuererhöhungen oder noch höhere Schulden finanziert werden kann. Deshalb hat der Finanzminister die Eckwerte für den Bundeshaushalt 2024 noch nicht vorgelegt.

Wo Lindner recht hat, hat er recht

Es geht für Lindner nicht nur darum, dass die FDP zu ihren finanzpolitischen Wahlversprechen steht, zumal wenn die Partei sich ein „Umfallen“ nicht leisten kann. Doch in der Sache hat Lindner völlig recht. Seine Aussage, „der Staat hat kein Einnahmeproblem, wir haben ein massives Ausgabeproblem“, lässt sich mit Zahlen belegen.

Der deutsche Fiskus kann in der Tat nicht über zu spärlich tröpfelnde Steuerquellen klagen. Das Steueraufkommen, also die Summe aller Steuereinnahmen von Bund, Ländern und Gemeinden, betrug 1991 – im Jahr eins nach der Wiedervereinigung – 338 Milliarden Euro. 2022 war diese Summe auf 888 Milliarden Euro angestiegen. Das ist ein Zuwachs um 550 Milliarden Euro beziehungsweise um 163 Prozent. Was wiederum einem durchschnittlichen jährlichen Plus von gut 3,5 Prozent entspricht. Da die Inflationsrate in diesen 31 Jahren fast immer unter 3 Prozent und teilweise sogar weit darunter lag, hatten die Finanzminister und Kämmerer Jahr für Jahr real mehr in der Kasse.

Nun sind die Steuereinnahmen über drei Jahrzehnte hinweg nicht gleichmäßig angestiegen. Wegen der Finanzkrise blieben sie 2009 und 2010 deutlich unter dem Wert von 2008. Auch 2020, im ersten Corona-Jahr, nahmen die Finanzämter weniger ein als im Vorjahr. Gleichwohl ähnelt unser Steuersystem einer Maschine, die immer mehr Geld zusätzlich ausspuckt, solange die Wirtschaft auch nur ein wenig wächst. Ein Plus von 163 Prozent in 31 Jahren! Wenn das kein Beweis für sprudelnde Steuerquellen ist, was dann?

Fiskus profitiert bei jeder Gehaltserhöhung überproportional

Einen entscheidenden Beitrag zu immer höheren Steuereinnahmen leistet die Lohn- und Einkommensteuer, die ein gutes Drittel zum Steueraufkommen beiträgt. Weil der Steuersatz mit steigendem Einkommen progressiv ansteigt, profitiert der Fiskus bei jeder Gehaltserhöhung überproportional. Zudem werden immer mehr Arbeitnehmer mit dem Höchststeuersatz von 42 Prozent belastet, jährlich etwa 150.000 zusätzlich.

Mussten im Jahr 2000 erst 1,6 Millionen Steuerzahler beziehungsweise gemeinsam veranlagte Paare den Höchstsatz entrichten, so waren es im Jahr 2018 nach Angaben der Bundesregierung (neuere offizielle Angaben liegen nicht vor) rund drei Millionen. Inzwischen dürften es mehr als 3,5 Millionen sein, knapp neun Prozent aller Einkommensteuerpflichtigen. Diese neun Prozent zahlen übrigens mehr als 50 Prozent des gesamten Aufkommens an Lohn- und Einkommensteuer.

Selbst die Befürworter von Steuererhöhungen profitieren von Lindners harter Linie

Ja, Steuern sind ein erlaubter Fall von „Raub“. Aber das Recht des Staates, seine Bürger zur Kasse zu bitten, entbindet ihn nicht von der Verpflichtung, mit dem Geld der Steuerzahler sorgfältig umzugehen. Der Ruf nach noch höheren Steuern fällt vielen Politikern sehr leicht, die Durchforstung der Ausgabenseite ist da viel schwieriger.

Doch seltsamerweise findet der Ruf nach Steuererhöhungen mehr Beifall als der Ruf nach geringeren staatlichen Zuwendungen oder nach der Abschaffung von Subventionen. Das kommt daher, dass sehr viele nicht wissen, dass sie – steuerlich gesehen – selbst zu den „Reichen“ zählen, die aus linksgrüner Sicht stärker geschröpft werden müssten. Regierten SPD und Grüne allein, würden diese Bürger das das bereits am eigenen Geldbeutel spüren. So profitieren selbst die Befürworter von Steuererhöhungen davon, dass Finanzminister Lindner hart bleibt. Denn eines ist sicher: Die Steuereinnahmen steigen und steigen – selbst ohne jede Erhöhung.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 23. März 2023)


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