20.03.2023
Wahlrechtsreform: Ampel-Ultras gegen die CSU
Man kann es drehen und wenden, wie man will: Die CSU könnte – neben der Linken – der große Verlierer der von der Ampel durchgesetzten Wahlrechtsreform sein. Das war bei den Rednern von SPD, Grünen und FDP im Bundestag deutlich heraushören, dass ihnen dieser Aspekt der „Operation Bundestagsverkleinerung“ geradezu diebische Freude bereitet. Schließlich sind schon viele Vorstöße zur Wahlrechtsreform an der CSU gescheitert. Nicht im Bundestag, sondern im Vorfeld. Denn die eigenständige und sehr selbstbewusste CSU mit ihren spezifischen Interessen hat bisher verhindert, dass die Union sich mit SPD, FDP und Grünen auf einen gemeinsamen Reformvorschlag einigen konnte.
Der Ärger über und der Zorn auf die CSU motivierte den FDP-Wahlrechtsexperten Konstatin Kuhle zu einem CSU-Bashing der besonderen Art. „Die CSU macht aus jeder Diskussion über die Verkleinerung des Bundestags eine Diskussion über die CSU“, rief er ins Plenum. Um dann gegenüber der CSU den Oberlehrer zu geben: „Ich will Ihnen eines sagen: Sie müssen damit klarkommen, dass es auf der Welt und in diesem Land auch mal einen einzigen Tag gibt, an dem es nicht um die CSU geht, sondern um dieses Land. Und das ist heute der Tag, an dem der Deutsche Bundestag verkleinert wird. Einen Tag! Einen Tag“. In den Reihen der Koalitionspartner wurde gejubelt und geklatscht, als hätte der VfL Bochum gerade die Münchener Bayern mit 7:0 vom Platz gefegt.
Dieser Teil der Kuhle-Philippika war – mit Verlaub – kompletter Unsinn. Denn die rot-grün-gelbe Mehrheit unter der Reichstagskuppel denkt nicht im Traum daran, sich jeden Tag mit der CSU, ihren Vorstellungen und Forderungen zu befassen. Warum auch? Die Ampel hat eine Mehrheit und sucht keineswegs intensiv nach Gemeinsamkeiten mit CDU und CSU. Wenn man nicht gerade eine Zwei-Drittel-Mehrheit braucht wie beispielsweise für das Bundeswehr-Sondervermögen, macht es vor allem den Freien Demokraten sichtlich Spaß, dem früheren Koalitionspartnern CDU und CSU zu zeigen, wo oben und unten ist.
Der CSU geht es in Berlin wie Bayern München bei Auswärtsspielen
Die Zielrichtung der Wahlrechtsreform, nämlich die Linke zu eliminieren und die CSU nach Möglichkeit nachhaltig zu schwächen, offenbarte neben machtpolitischen Überlegungen tiefsitzende Antipathien gegen die „Mia san mia“-Attitüde der CSU. Das kommt nicht von ungefähr. Selbst gegen die in den letzten Jahren kräftig gestutzte Bayern-Union haben die Ampel-Parteien im Freistaat nicht den Hauch einer Chance. CSU-Chef Markus Söder hat den bayerischen Grünen bereits klargemacht, dass Schwarz-Grün für ihn nach der Landtagswahl im Oktober nicht in Frage kommt. Eine Ampel-Koalition ist in Bayern noch unwahrscheinlicher. Den letzten Umfragen zufolge muss die „Volkspartei“ SPD im Freistaat hoffen, wenigstens zweistellig abzuschneiden, während die FDP bei drei Prozent tief in der Todeszone herumkrebst.
In gewisser Weise geht es der CSU außerhalb des Freistaats wie dem FC Bayern München. Bei jedem Auswärtsspiel wird der Rekordmeister gnadenlos ausgepfiffen und mit „Zieht den Bayern die Lederhosen aus“-Gesängen begrüßt. Wenn dann – was meistens der Fall ist – der Heimmannschaft die Hose ausgezogen wird, steigert sich der Ärger über die Münchener Fußballstars zur Wut. Die Stimmung in den Reihen der Ampel bei der Wahlrechtsdebatte ähnelte der eines Spiels gegen die Bayern. Hätte nur noch gefehlt, dass Kuhle „Zieht dem Söder die Lederhose aus“ angestimmt hätte.
Bekanntlich herrscht selbst unter dem weiß-blauen Himmel am Fuß der bayerischen Berge nicht nur eitel Freud‘ und Sonnenschein. Doch im Ländervergleich braucht Bayern keinen Vergleich zu scheuen, nicht beim Pro-Kopf-Einkommen, nicht bei den Beschäftigtenzahlen, nicht bei der Attraktivität für IT-Unternehmen, nicht in der Forschung. nicht in der Bildung und nicht bei Sozialleistungen. Zudem sähe es ohne die bayerischen Milliarden, die über den Länderfinanzausgleich umverteilt werden, in anderen Regionen schlechter aus. Wenn die CDU Beispiele für eine erfolgreiche Unionspolitik anführt, dann ist Bayern immer dabei. Bei der SPD käme hingegen niemand auf die Idee, das von 1966 bis 2017 (mit nur fünfjähriger Unterbrechung) von der SPD dominierte Nordrhein-Westfalen als sozialdemokratisches Musterland anzupreisen.
Doch ist es in der Politik wie im wahren Leben: Die Erfolgreichen werden gelegentlich bewundert, aber noch öfter beneidet. Der Neid wird noch beflügelt, wenn Erfolgreiche gerne besserwisserisch und breitbeinig auftreten, was bei führenden CSU-Politikern häufiger vorkommt, als dem politischen Klima guttut. Hinzu kommt, dass die politische Konkurrenz, aber ebenso mancher CDU-Landesfürst, der CSU ihre Sonderrolle neiden, nämlich je nach Bedarf mal als Teil der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, mal als selbständige Partei zu agieren. Die anderen Parteien wiederum stören sich, dass die „Regionalpartei CSU“ beispielsweise in Fernsehrunden „der im Bundestag vertretenen Parteien“ als gleichberechtigt neben den bundesweit vertretenen Parteien auftritt.
Die CSU provoziert „als bayerische Partei mit bundespolitischem Anspruch und europäischer Verantwortung“ nicht nur die politischen Wettbewerber. Sie hat der CDU im Laufe der Jahrzehnte ebenfalls viel Ärger bereitet; schon Helmut Kohl wusste ein Lied davon zu singen. In der CDU denkt noch mancher mit großer Wut an den CSU-Beitrag zur Demontage des Kanzlerkandidaten Armin Laschet zurück. Gleichwohl war die Eigenständigkeit der bayerischen „Schwester“ für die CDU bei Bundestagswahlkämpfen von Vorteil. Das konservativere, kantigere, populistischere Programm der CSU bewegte außerhalb des Freistaats viele Wähler, ihr Kreuz bei der CDU zu machen. Sie gehen nämlich davon aus, in Berlin würden die Bayern – wie einst in Bonn – die CDU schon auf dem rechten Kurs halten. Eher liberal eingestellte bayerische Wähler vertrauten darauf, die CSU werde im Bund notfalls von der CDU eingehegt. Alles in allem eine Win-win-Situation für beide.
Solche Wahlrechtsveränderungen erinnern fatal an Viktor Orbán
Die Wahlrechts-Modellierer von SPD, Grünen und FDP wussten also sehr wohl, was sie taten, als sie die Grundmandatsklausel strichen. Wenn das Gesetz vor dem Verfassungsgericht Bestand hat, könnte es 2025 passieren, dass die CSU die meisten der 46 bayerischen Wahlkreise gewinnt, aber keinen einzigen Abgeordneten nach Berlin schicken kann, wenn sie es bei den Zweitstimmen nicht zugleich auf 5,0 Prozent bringt. Zur Erinnerung: 2021 waren es 5,2 Prozent, 2017 noch 6,2 Prozent.
Was eine Eliminierung der CSU via Wahlrecht bedeutete, liegt auf der Hand: Die CDU hätte so gut wie keine Chance mehr, im Bundestag die stärkste Fraktion zu stellen. Selbst in der Ampel scheint einigen zu dämmern, dass solche Wahlrechtsveränderungen fatal an Viktor Orban und seine „illiberale Demokratie“ erinnern. Es ist also nicht ausgeschlossen, dass die Koalition der Union anbietet, das Wahlrecht noch so abzuändern, dass CDU und CSU eine Listenverbindung eingehen können. Das ist nach geltendem Recht nicht möglich. Dann würde die CSU indirekt zum 16. Landesverband der CDU deklassiert, was ihre Stellung innerhalb der Union nachhaltig schwächen würde.
Für die CSU bildet die Eigenständigkeit jedoch den Markenkern. Ohne dieses Alleinstellungsmerkmal wäre sie eine andere Partei und nicht mehr die „genialste Erfindung der Bundesrepublik“ (Söder). Dann könnte sie bayerische Interessen in der Bundespolitik nicht mehr effektiver vertreten als die Landesverbände anderer Parteien. Genau das hat ihr in Bayern vor allem gegenüber der SPD zu einem deutlichen Wettbewerbsvorteil verholfen.
Die Regierungsparteien verfolgt das vernünftige Ziel, den Bundestag zu verkleinern. Die Ampel-Ultras tun das auf eine Weise, die der CSU – und damit auch der CDU – den größtmöglichen Schaden zufügen soll. Mit der Streichung der Grundmandatsklausel haben die rot-grün-gelben Wahlrechtsmatadoren – siehe Kuhle – ihren Aversionen gegen Bayern und die CSU freien Lauf gelassen. Die Aktion „Zieht dem Söder die Lederhose aus“ macht ihnen sichtlich Spaß. Auf die Euphorie könnte jedoch am 8. Oktober die Ernüchterung folgen – wenn die bayerischen Wähler sich an die FC Bayern-Hymne halten: „Stern des Südens, du wirst niemals untergehen, weil wir in guten wie in schlechten Zeiten zueinander stehen.“ Schaun mer mal.
(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 20. März 2023)
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