23.12.2021

Mein politischer Wunschzettel

Liebes Christkind,

vor einem Jahr hatte ich gehofft, Weihnachten 2022 werden wir wieder feiern können wie gewohnt: auf Weihnachtsmärkten, mit Freunden und Kollegen, im Kreis der Familie, ganz gleich, wie viele dabei sind. Es ist anders gekommen – leider. Eines ist uns aber geblieben: Wir können Wunschzettel schreiben. Dabei geht es mir nicht um persönliche Geschenke. Als Bürger habe ich vielmehr Wünsche für dieses Land. Für unser Land, in dem die allermeisten gern leben und auch weiterhin gern leben möchten.

Gemeinsam gegen Corona

Dass ich mir vor allem ein möglichst schnelles Ende der Pandemie wünsche, brauchte ich eigentlich nicht aufzuschreiben. Wer wünschte sich das nicht? Aber wie schön wäre es, wenn im Kampf gegen Corona alle an einem Strang zögen. Deshalb wäre es so wichtig, dass die Pandemiebekämpfung nicht als parteipolitisches Tauziehen verstanden wird, sondern als eine gemeinsame Anstrengung aller Demokraten. In der ersten Corona-Welle 2019 arbeiteten alle Parteien – von den Rechtsaußen abgesehen – eng zusammen. Dahin sollten wir wieder kommen – und zwar schnell.

Nicht immer nur auf den Staat warten

Ich wünsche mir, dass wir Bürger – auch in der Pandemie – nicht immer nur darauf warten, was der Staat uns empfiehlt, was er uns vorschreibt oder unter Strafandrohung durchzusetzen versucht. Ich wünsche mir Bürger, die sich aus seriösen Quellen über die Pandemie informieren, selbst ihre Kontakte reduzieren, die sich an Auflagen halten, die sich – auch als Geimpfte – zwischendurch testen lassen. Selbst wer das nur aus Eigennutz macht, verringert die Infektionsrisiken und hilft implizit der Allgemeinheit. Natürlich wünsche ich mir möglichst viele Menschen, die gerade in dieser Pandemie ihre individuelle Verantwortung für die Gesellschaft kennen und entsprechend handeln.

Reden, wann immer es sich lohnt

Unsere Gesellschaft ist nicht in dem Sinne gespalten, dass die eine Hälfte gegen die andere stünde. Aber beim Thema „Impfen oder nicht?“ gibt es doch eine beängstigend große Minderheit, die alle medizinischen Erkenntnisse beiseite schiebt. Diese Gruppe gefährdet somit nicht nur sich, sondern ebenso ihre Mitmenschen und bringt das Gesundheitssystem damit ans Limit.

Mit manchen Querdenkern und Verschwörungstheoretikern kann man allerdings nicht mehr diskutieren. Da lohnt sich kein Dialog. Ich wünsche mir aber, dass wir alle mehr mit denen reden, die das Impfen skeptisch sehen oder ängstlich, aber noch nicht verbohrt sind. Vor allem sollten wir auf jede Häme verzichten, wenn bisherige Impf-Gegner sich eines Besseren besinnen. Freuen wir uns lieber über jeden neu Geimpften.

Systemrelevanz muss uns mehr wert sein

Es ist ein Armutszeugnis, dass es einer Pandemie bedurfte, um zu erkennen, wie sehr wir von den Angehörigen „systemrelevanter“ Berufe abhängig sind. Das gilt nicht nur für die seit 20 Monaten besonders belasteten Frauen und Männer im Gesundheitswesen und in den Pflegeeinrichtungen. Das trifft gleichermaßen auf Polizei und Feuerwehr zu. Ich wünsche mir, dass die Politik nicht nur ständig über eine angemessene, das heißt deutlich höhere Bezahlung dieser Beschäftigten redet, sondern – endlich – handelt.

Der Ampel eine Chance geben

Der Regierungswechsel vollzog sich bei uns reibungslos und ohne jeden Zweifel an dessen demokratischer Legitimität – wie wir das hierzulande gewohnt sind. Ich wünsche mir, dass dieses Gefühl der Normalität anhält. Jede neue Regierung hat ihre Chance verdient. Das heißt nicht, dass die Opposition sie mit Samthandschuhen anfassen müsste. Maßstab sollten immer die Ergebnisse von Politik sein, nicht das Parteibuch derer, die diese Ergebnisse herbeigeführt haben.

Nicht alles Bisherige schlecht reden

Zur Politik gehört auch der Streit. Aber verzichtbar ist pauschales Verdammen. Keine Regierung hat nur Fehler gemacht, hat alles falsch gemacht. Das wird bei der neuen Regierung nicht anders sein. Ich wünsche mir, dass unsere Parteien mehr auf die Seriosität ihrer eigenen Argumente und auf ihre eigene Glaubwürdigkeit achten; das gilt besonders für die beiden großen Parteien. In dem knappen Vierteljahrhundert seit 1998 war die SPD nur vier Jahre lang nicht in der Bundesregierung vertreten (2009 – 2013), die CDU/CSU ganze sieben Jahre lang (1998 – 2005). Mein großer Wunsch: Keine Seite soll ernsthaft behaupten, der Zustand dieses Land sei nicht das gemeinsame Werk von Schwarz und Rot.

Corona und Klima sind nicht alles

Sich zu wünschen, dass die Bundesregierung in der Klimapolitik aufs Tempo drückt, wäre überflüssig; das wird Rot-Grün-Gelb schon in Angriff nehmen. Wünschen muss man sich vielmehr, dass die Verbindung von Ökologie und Ökonomie keine Leerformel ist, sondern Handlungsanleitung. Wünschen möchte ich mir auch, dass die Politik neben Corona und dem Klimawandel andere wichtige Politikfelder nicht vernachlässigt. Zum Beispiel die ungeregelte Zuwanderung, die mangelnde Integrationsbereitschaft vieler Zuwanderer, die Clan-Kriminalität und die Ausweitung der Parallelgesellschaften. Nicht zu vergessen weitere Großbaustellen: das brüchige Fundament der Rentenversicherung, der Wohnungsbau, die marode Infrastruktur und die Versorgungssicherheit nach dem Ausstieg aus Kohle und Kernkraft.

Cancel culture canceln

Die Demokratie lebt vom Diskurs. Deshalb ist es per se undemokratisch, bestimmte Meinungen und Ansichten als „falsch“ zu brandmarken und von der öffentlichen Diskussion auszuschließen. Ich wünsche mir, dass die Medien – nicht zuletzt die öffentlich-rechtlichen – hier ihrer Funktion als Forum für unterschiedliche Positionen nachkommen. ARD und ZDF dürfen nicht als Vorzensur im Sinne der Political Correctness agieren.

Die Mehrheit nicht vergessen

Wir sind keine homogene Gesellschaft, sondern eine vielfältige. In ihr haben unterschiedliche Minderheiten ihren Platz – mit allen Rechten und Pflichten. Ich wünsche mir aber, dass die Politik und die Meinungsmacher in den Medien den Zusammenhalt der Nation wichtiger nehmen als die Befindlichkeiten einzelner Gruppen. Mancher, der für sich einen Opferstatus reklamiert, strebt in Wirklichkeit nach Privilegien. Ich wünsche mir für 2022, dass die „Normalos“ mit ihren Anliegen wieder stärker ins öffentliche Bewusstsein rücken.

Diese „Normalbürger“ wollen, dass Arbeit und Einsatz sich auszahlen. Sie sind weder ideologisch noch extremistisch festgelegt, sondern denken bei politischen Entscheidungen ganz pragmatisch zuerst an deren Auswirkungen für sich. Sie sind keine herzlosen Egoisten, praktizieren Solidarität jedoch eher gegenüber ihrem Umfeld als gegenüber irgendwelchen sozialen Gruppen. Sie machen sich Gedanken über die Zukunft, aber die Probleme der Gegenwart sind ihnen näher. Sie sind nicht sonderlich an Parteiprogrammen interessiert, sondern wollen in erster Linie vernünftig und effizient regiert werden. Ich wünsche mir, dass diesen Bürgern mehr Respekt entgegengebracht wird, denn sie bilden das Rückgrat unseres Gemeinwesens.

Liebes Christkind,

ich gebe zu, dass mir kein besserer Schluss einfällt als zu Weihnachten 2020. Ja, es ist ein bisschen viel, was ich mir so wünsche. Aber wann, wenn nicht an Weihnachten, darf man noch träumen, hoffen und wünschen. In diesem Sinne: Frohes Fest!

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 23. Dezember 2021)


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