08.09.2021

Besser irgendwie mitregieren als kräftig opponieren?

Dass die CDU/CSU kein Abonnement aufs Kanzleramt hat, haben sie bei der Union schon immer gewusst – aber kaum noch geglaubt. Zurzeit schließen jedoch selbst große Optimisten nicht mehr aus, dass die Union nach 16jähriger Regierungszeit auf den Oppositionsbänken landen könnte – wie 1998 nach der Ära Kohls oder 1969 nach Adenauer, Erhard und Kiesinger.

Inzwischen macht sich mancher Unionist in Berlin und München Gedanken darüber, ob man im Falle eines Falles nicht auch als Juniorpartner in einer Deutschlandkoalition (SPD, Union, FDP) oder mit „Kenia“ (SPD, CDU, Grüne) wenigstens halbwegs glücklich werden könnte. So würde das kein Politiker formulieren. In diesen Kreisen spricht man bei einer solchen Konstellation eher davon, man werde sich nicht der Verantwortung entziehen, das Land unter einem SPD-Kanzler Olaf Scholz mitzugestalten. Die Kernwähler mobilisieren

Noch hat die CDU/CSU nicht kapituliert. Die kämpferische Rede Armin Laschets am Dienstag im Bundestag zeigte, dass der Mann inhaltlich und rhetorisch besser ist, als er medial dargestellt wird. Wenn es gelänge, wenigstens die eigene Kernwählerschaft so zu mobilisieren, dass die CDU/CSU knapp vor der SPD ins Ziel gelangte, wäre auch das eine Niederlage – aber eine mit Perspektive. Jamaika mit Grünen und FDP wäre dann doch möglich.

Den von den desaströsen Umfrageergebnissen traumatisierten Unionisten hat jetzt der FDP-Chef etwas Hoffnung gemacht. Christian Lindner erinnerte den sehr siegesgewissen Olaf Scholz im Bundestag süffisant daran, dass man eine Wahl gewinnen und am Ende doch ohne Koalitionspartner dastehen könne. Er spielte damit auf die Bundestagswahl 1976 an, als Helmut Kohl trotz glänzender 48,6 Prozent nicht Kanzler wurde, weil die FDP ihrem damaligen Koalitionspartner SPD die Treue hielt. Folglich regierten der Zweite und der Dritte munter weiter – bis 1982.

Erneuerung in der Opposition?

Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Aber die CDU kann nicht ausschließen, deutlich hinter die SPD zurückzufallen. Dann wird sie vor der Frage stehen, ob sie ihre Abwahl mit Stil akzeptiert und in die Opposition geht oder ob sie sich der SPD als Juniorpartner in einem Dreier-Bündnis anbietet. Angeblich ist die Opposition eine Heilquelle, der eine Partei nach einiger Zeit schöner und kräftiger denn je entsteigt. Das ist der CDU zweimal gelungen: in den 1970er-Jahren mit Kohl und in den 2000er-Jahren mit Angela Merkel. Nur hatte der Heilungsprozess in der alten Bundesrepublik 14 Jahre gedauert, im vereinten Deutschland immerhin sieben Jahre.

Mit der Erneuerung in der Opposition ist das aber so eine Sache. Die SPD beispielsweise erholte sich während der schwarz-gelben Regierungszeit zwischen 2013 und 2017 von 23 auf 25,7 Prozent, erreichte aber nie wieder die 34,2 Prozent von 2005 – und das war schon ihr bis dahin schlechtestes Wahlergebnis. Dass das Oppositionsdasein nicht unbedingt Flügel verleiht, wissen auch die bayerischen Genossen. Die haben dort seit 1957 nicht mehr regiert und sind inzwischen bei 9,7 Prozent gelandet. Erneuerung sieht anders aus.

Mancher bleibt auch ewig der Opposition

Erneuerung in der Regierung ist aber auch kein Selbstläufer. In Baden-Württemberg glaubte die einst dominierende CDU, sie könnte als Juniorpartner der Grünen wieder an bessere Zeiten anknüpfen. Was für ein Irrtum. 2011 war die CDU trotz ihrer 39 Prozent von Grünen und SPD in die Opposition geschickt worden. In diesem Frühjahr erreichte sie nach fünf Jahren als Juniorpartner der Grünen gerade noch 24,1 Prozent.

Aus all dem lassen sich keine sicheren Schlüsse ziehen, was mehr Erfolg verspricht: Profilierung als zweite Kraft in der Regierung oder als starke Opposition. Das hängt stets von den jeweiligen Umständen ab und nicht zuletzt von den handelnden Personen. Zweifellos kann man aber auch als Juniorpartner Politik mitgestalten, wie die SPD in der vergangenen Legislaturperiode gezeigt hat. Fragt sich nur, ob Olaf Scholz und die SPD als stärkste Fraktion gegenüber der CDU/CSU zu so vielen Zugeständnissen bereit wären, wie das umgekehrt bei Merkel und der Union zwischen 2071 und 2021 der Fall war. Die Erfahrung aus zwölf Jahren GroKo zeigt auch, dass Erfolge und Misserfolge fast nur der Kanzlerpartei zugerechnet werden. Davon hat die CDU/CSU lange profitiert. Jetzt aber schlagen Fehler in der Corona-Politik oder das Afghanistan-Desaster bei ihr negativ zu Buch.

Bei einem Absturz auf 20 Prozent bleibt eigentlich nur die Opposition

Nach den Prinzipien der politischen Hygiene gäbe es für die CDU/CSU beim einem Absturz von 32,9 Prozent auf knapp über oder unter 20 Prozent nur einen Weg: ab in die Opposition. Das wäre in vielerlei Hinsicht schmerzhaft. Aber es böte auch die Chance, sich von den Ländern aus neu zu formieren. Denn auf eine Konstante im Wählerverhalten ist Verlass: Dieselben Wähler, die einer neuen Regierung ins Amt verhelfen, strafen die sie tragenden Parteien bei den nächsten Landtagswahlen gnadenlos ab.

Eines ist sicher: Sollte die CDU/CSU desaströs abschneiden, wird es in den beiden Schwesterparteien wie auch zwischen ihnen hitzige Diskussionen darüber geben, was schiefgelaufen und wer dafür verantwortlich ist. Auch werden nicht wenige dafür plädieren, der von Merkel inhaltlich entkernten Union wieder zu mehr Profil zu verhelfen, was zu heftigen Richtungsstreit zwischen Konservativen und Modernisierern führen dürfte. Schließlich wäre es keine angenehme Perspektive, sich auf den Oppositionsbänken ständig der Avancen der Rechtsaußen-Partei AfD erwehren zu müssen.

„Macht nutzt den ab, der sie nicht besitzt.“ Was vor einigen Monaten noch undenkbar war, erscheint jedenfalls nicht mehr ausgeschlossen: Eine Kanzler ohne CDU-Parteibuch und die CDU/CSU auf den Oppositionsbänken. Ob das das Ende der CDU als Volkspartei bedeutete, ist offen. Sicherlich würde sich aber bestätigen, was der frühere italienische Ministerpräsident Giulio Andreotti über die angebliche Erneuerung in der Opposition gesagt hat: „Macht nutzt den ab, der sie nicht besitzt.“

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 8. September 2021)


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