16.07.2021

Die Macher und die Twitterer

Die schrecklichen Nachrichten und geradezu apokalyptischen Bilder aus Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz reißen nicht ab. Sie führen uns unfassbare Zerstörungen und unsagbares menschliches Leid vor Augen, konfrontieren uns mit steigenden Todeszahlen und Berichten von zerstörten Existenzen. Wie bei allen Katastrophen ist auch hier in erster Linie der Staat gefordert. Die Menschen brauchen Hilfen. Diese können nur die Politik, genauer: die Regierungen im Bund und in den betroffenen Ländern gewähren.

Das rückt zwangsläufig zwei Kanzlerkandidaten in den Blickpunkt. Dass Armin Laschet (CDU) sich an die von der Flutkatastrophe heimgesuchten Orte begibt, versteht sich von selbst. Sein Platz als nordrhein-westfälischer Ministerpräsident ist jetzt in den überschwemmten Regionen. Dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) seinen Urlaub unterbrach und nach Rheinland-Pfalz fuhr, wurde von rheinland-pfälzischen SPD-Politikern so erklärt: Der Vizekanzler habe die in Washington weilende Kanzlerin vertreten. Ganz abgesehen davon: Als Herr über die Finanzen kommt Scholz in den nächsten Tagen bei der Krisenhilfe ohnehin eine wichtige Rolle zu.

„In der Krise zeigt sich der Charakter“. Dieses Wort von Altkanzler Helmut Schmid ist und bleibt aktuell. Die Politik kann keine Wunder bewirken. Aber die Menschen können zu Recht erwarten, dass die politisch Verantwortlichen Präsenz zeigen, am Schicksal der Betroffenen Anteil nehmen und handeln. Daran werden sie gemessen. Das zeigte sich bei der Oderflut im Bundestagswahlkampf 2002, als Kanzler Gerhard Schröder (SPD) die Gummistiefel anzog, während sein Herausforderer Edmund Stoiber (CSU) zu lange zögerte, ehe er seinen Urlaub unterbrach. Auch dürfte Laschet bewusst sein, wieviel Sympathien seine Vorgängerin Hannelore Kraft (SPD) verspielte, als sie 2014 während einer Unwetterkatastrophe im Münsterland eine Woche lang im Urlaub nicht erreichbar war.

Man muss das ganz nüchtern betrachten. In Krisen haben es die Regierenden leichter als die Opposition. Sie können handeln, können Tatkraft beweisen, sich als Helfer in der Not profilieren – sofern sie keine Fehler machen. So gesehen bietet die Flutkatastrophe eine zusätzliche Gelegenheit für Laschet und Scholz, sich gegenüber Annalena Baerbock von den Grünen oder Christian Lindner (FDP) als Macher zu präsentieren. Zudem sind Union und SPD als Noch-Regierungspartner zur Zusammenarbeit geradezu verdammt, wenn sie den betroffenen Menschen und Kommunen helfen wollen.

Annalena Baerbock, die in der Wählergunst stark abgefallene grüne Aspirantin auf die Kanzlerschaft, kann sich jetzt nicht als Retterin in Szene setzen; als Abgeordnete auf den Oppositionsbänken fehlen ihr dazu die Mittel. Dennoch kann diese Naturkatastrophe ihr indirekt zugutekommen. Zum einen interessiert sich jetzt niemand mehr für geschönte Lebensläufe und zusammenkopierte Bücher. Was aus Sicht der Grünen noch wichtiger ist: Weil diese Katastrophe auch auf den Klimawandel zurückzuführen ist, rückt sie das Kernthema der Grünen in den Mittelpunkt – die Klimapolitik.

Wer sich in den sogenannten sozialen Netzwerken umschaut, kann erkennen, dass Umweltaktivisten bereits auf den Wellen der „Todes-Flut“ (Bild) zu reiten versuchen. Der Grünen- Abgeordnete Konstantin von Notz hat einen geschmacklosen Tweet über die angebliche Schuld der anderen Parteien schnell wieder gelöscht. Die den Grünen nahestehende „Fridays for future“-Bewegung oder die radikale Umweltschutzbewegung „Extinction Rebellion“ verbreiten hingegen krude Thesen über die „Schuld“ der deutschen Politik, natürlich insbesondere die von Laschet, an der Erderwärmung mit all ihren Folgen. Die Ausfälle des Grünen-Politikers Oliver Krischer, der Laschet für die Hitzetoten in Kanada verantwortlich machte, waren wohl nur ein Vorgeschmack auf das, was uns in diesem Wahlkampf noch droht.

Es lässt sich wohl nicht leugnen, dass es ein Zusammenhang zwischen der zunehmenden Häufigkeit extremer Wetterlagen und dem Klimawandel gibt. Aber selbst wenn Deutschland bereits klimaneutral wäre, sähe die weltweite Großwetterlage nicht anders aus. Die Bundesrepublik Deutschland ist jedenfalls nicht das Land, das die Erderhitzung entscheidend befördert. Was immer wir in der Klimapolitik auch tun: Ein deutscher Allleingang bewirkt nichts, und ein konzertiertes europäisches Vorgehen führt ebenfalls nicht zu einer weltweiten Verbesserung der Lage. Ohne globale Anstrengungen, ohne ein Mitwirken von China, den USA, Indien und Russland, sind nationale Lösungen beruhigend fürs Gewissen, bewirken aber keine nachhaltige Trendumkehr.

Übrigens: Man mag sich nicht vorstellen, die vielen Rettungsfahrzeuge, die zurzeit zum Einsatz kommen, würden ausnahmslos von Elektromotoren angetrieben. Dann stünden in den überschwemmten Gebieten alle Räder still, weil dort die Stromversorgung zusammengebrochen ist. Was zeigt, dass wir aus dieser Katastrophe nur lernen können. Aber das erfordert nüchterne Analysen – selbst in einem Superwahljahr.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 16. Juli 2021)


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