26.05.2021

Habeck bringt die grünen Pazifisten auf die Palme

Der Wonnenmonat Mai ist für die Grünen eher ein Pannenmonat. Der anfängliche Hype um die Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock ist abgeebbt. Unglückliche Fernsehauftritte, Zweifel an der wissenschaftlichen Qualifikation der „Völkerrechtsexpertin“ und dubiose Prämien aus der Parteikasse an die Vorzeigefrau und ihren Co-Vorsitzenden Robert Habeck ließen selbst das Heer ihrer medialen Bewunderer etwas skeptischer werden. Jetzt steht den Grünen noch eine Auseinandersetzung über die Außenpolitik ins Haus.

Ausgelöst hat das Habeck mit seinem Vorstoß, der Ukraine für den Widerstand gegen die russische Militärintervention Abwehrwaffen zu liefern. Der Wunsch der Kiewer Führung nach „Defensivwaffen“ sei „berechtigt“, sagte er nach einem Gespräch mit Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew. Der Widerspruch kam prompt. Der ehemalige Parteivorsitzende der Grünen, Jürgen Trittin, hielt dagegen: „Waffenexporte in die Ukraine würden unserem Grundsatz widersprechen, dass wir keine Waffen in Kriegsgebiete exportieren.“ Und: „Jede Abwehrwaffe kann auch offensiv genutzt werden.“

Trittin ist nicht irgendwer bei den Grünen. Er ist der Hoffnungsträger jenes Teils der Partei, denen der „Realo“-Kurs des Duos Baerbock/Habeck ohnehin zu weit geht. Sie setzen darauf, dass ein Mann vom innerparteilichen Gewicht Trittins bei möglichen Koalitionsverhandlungen darauf achten würde, dass nicht allzu viele grüne Grundsätze auf dem Weg zur Regierungsmacht abgeworfen werden wie unnötiger Ballast.

Habecks Äußerungen passen nicht zum Entwurf des grünen Wahlprogramms, in dem es klar und deutlich heißt: „Keine deutschen Waffen in Kriegsgebiete und Diktaturen“. Ohnehin waren sich die Grünen in der Regierungszeit von Angela Merkel stets darin einig, dass deutsche Unternehmen zu viele Waffen in die „falschen“ Länder exportierten. Noch schärfer als sie kritisierte in der Vergangenheit allenfalls die Linkspartei deutsche Waffenexporte. Allerdings sind die Grünen schon lange nicht mehr die pazifistische Partei, als die sie vor mehr als vier Jahrzehnten angetreten sind. Zur Erinnerung: Den ersten ausländischen Kampfeinsatz bestritt die Bundeswehr 1999 im Kosovo-Krieg – maßgeblich befördert vom Grünen-Außenminister Joschka Fischer und abgesegnet von der rot-grünen Bundestagsmehrheit.

Was Habeck bewegt haben mag, zwei Wochen vor dem Programmparteitag der Grünen im Juni gegen die parteiinterne Glorifizierung des Pazifismus zu verstoßen, bleibt offen. Gut möglich, dass ihm seine ukrainischen Gesprächspartner sehr deutlich vor Augen geführt haben, mit welcher Brutalität Zar Putin sich möglichst viele ehemalige GUS-Staaten untertan machen will. Das könnte Eindruck auf ihn gemacht haben. Ebenso wenig ist auszuschließen, dass Habeck auf deutschem Boden wieder zurückrudert und „Verteidigungswaffen“ neu definiert – als Geräte zum Aufspüren und Entschärfen von Minen zum Beispiel. Im Zweifel wird der Parteitag an dem festhalten, was im Programmentwurf bereits steht: keine Waffenexporte in Krisengebiete – ganz gleich, wer wen angreift oder überfällt.

Habecks Fronteinsatz in der Ukraine hat ihm nicht nur Kritik aus den eigenen Reihen eingebracht, sondern auch Spott vom möglichen Koalitionspartner SPD. Fraktionschef Rolf Mützenich bemerkte süffisant, „der ehemalige Landesumweltminister“ Habeck verkenne „das komplexe Krisenmanagement in der Region“, seine Aussagen seien „kontraproduktiv und gefährlich.“ Habecks Trost: Der SPD-Mann hat ihm seine Vergangenheit als Umwelt- und Landwirtschaftsminister in Schleswig-Holstein nicht so brutal abwertend unter die Nase gerieben wie Baerbock bei einem gemeinsamen Fernsehinterview im November. Sie sagte damals. „Vom Hause her kommt er Hühner, Schweine, Kühe melken. Ich komm eher aus’m Völkerrecht, ja, da kommen wir aus ganz anderen Welten im Zweifel.“

Im Pannenmonat Mai sind Habeck und Baerbock aber vereint in derselben Welt – im rauen Wahlkampfalltag, in dem jede Aussage hin- und hergewendet und nach Möglichkeit negativ interpretiert wird, selbst von den sogenannten Parteifreunden. Ob Goethe an die Kurzlebigkeit politischer Hypes gedacht hat, als er sein Mai-Gedicht schrieb: „Leise wallt und drängt die Welle / sich am reichen Ufer hin, / Und wie reingewaschen helle, / schwankend hin und her und hin, / spiegelt sich das junge Grüne.“ Wie auch immer: So ein hin und her schwankendes junges Grün“ kann schnell recht alt aussehen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 26. Mai 2021)


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