25.04.2021

Die CDU/CSU hat einen Kandidaten, aber noch kein Programm

Die CDU/CSU hat den Start in den Wahlkampf mit einem unproduktiven Gezerre um die Kanzlerkandidatur verstolpert. 22 Wochen vor dem Wahltag steht jetzt wenigstens fest, mit wem sie das Kanzleramt verteidigen will – aber nicht mit was. Soll heißen: Der Kanzlerkandidat Armin Laschet und die Union müssen möglichst bald den Wählern sagen, warum sie ihnen die Geschicke der Bundesrepublik anvertrauen sollen. Mit dem in der Vergangenheit erfolgreichen „Weiter so, Deutschland!“ lässt sich dieser Wahlkampf kaum bestreiten. Nicht, weil das Land generell schlecht dastünde. Doch Laschet selbst hat schon bei seiner Wahl zum CDU-Vorsitzenden ein „Jahrzehnt der Modernisierung“ ausgerufen. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn es in den letzten Jahren bei uns bisweilen nicht so behäbig zugegangen wäre.

Die Union war und ist die Partei der Wirtschaftskompetenz und der Sicherheit, außen- wie innenpolitisch. Gerade auf dem Gebiet der inneren Sicherheit kann Laschet auf die Erfolge seiner nordrhein-westfälischen Landesregierung im Kampf gegen kriminelle Clans verweisen, die bayerische Sicherheitsbilanz braucht ebenfalls keinen Vergleich zu scheuen. Da sind CDU und CSU gegenüber SPD und Grünen im Vorteil.

Die Wirtschaft braucht einen Innovationsschub

In der Wirtschaftspolitik braucht das Land allerdings einen Innovationsschub. Die Versäumnisse bei der Digitalisierung sind durch Corona sehr deutlich aufgedeckt worden – in der öffentlichen Verwaltung wie in den Schulen. Die Regionen mit langsamen Internet-Verbindungen sind seit Ausbruch der Pandemie gleich doppelt gestraft. Die digitale Infrastruktur kann nicht „der Markt“ ausbauen und verbessern. Da muss die Union sagen, wie sie sich ein deutlich besseres Zusammenspiel von Staat und Wirtschaft vorstellt.

Wenn wir im Sommer das Schlimmste der Pandemie überstanden haben, könnten zwei Wahlkampfthemen alle anderen überlagern: der Neustart der Wirtschaft und die Klimapolitik. Die wirtschaftlichen Fragen werden die Menschen – Arbeitnehmer wie Arbeitslose, Selbständige wie Manager – schon deshalb stark beschäftigen, weil die meisten von ihnen durch Kurzarbeit, Homeoffice, Insolvenzen und Arbeitsplatzverlust unmittelbar betroffen sind, mit teilweise erheblichen Auswirkungen auf ihre Familien. Das Klimathema wiederum werden die Grünen in den Mittelpunkt ihrer Kampagne stellen, kräftig unterstützt von Organisationen wie „Fridays for Future“, von den Medien massiv und überaus positiv begleitet.

Ökologischen Umbau sozial abfedern

Die CDU/CSU kann beim Thema Ökologie nur bedingt punkten; da haben die Grünen – zu Recht – einen uneinholbaren Vorsprung. Deshalb muss die Union den ökologischen Umbau der Wirtschaft verbinden mit einem Konzept zur Absicherung der davon betroffenen Arbeitnehmer. Wie das geht, hat Laschet beim Kohlekompromiss gezeigt, während für die auf großstädtische Wähler in Dienstleistungsberufen fixierten Grünen das Schicksal von um ihre Jobs fürchtenden Kumpeln oder Facharbeitern in der Automobilindustrie eher von sekundärer Bedeutung ist. Wenn sich die Union irgendwo klar und deutlich von den Grünen abgrenzen kann, dann hier: bei der Verbindung von ökologischem Umbau, Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und sozialer Abfederung unumgänglicher Brüche.

In der CDU wird derzeit an einem „Deutschlandplan“ gearbeitet. Die Förderung des Unternehmergeistes („Ein Land der Macher und Macherinnen“) und ein Belastungsmoratorium der Wirtschaft werden darin ebenso Platz finden wie, als Lehre aus der Pandemie, eine Stärkung nationaler Arzneimittelproduktion oder der Aufstieg Deutschlands zum Wasserstoffland Nummer eins. So wichtig dies auch alles ist, für die meisten Wähler dürften im wirtschaftlichen Bereich drei andere Themen im Vordergrund stehen: Steuern, Wohnungen und Renten.

Kein Geld für Steuersenkungen

Bei der CDU weiß man, dass angesichts der durch die Pandemiebekämpfung drastisch angestiegenen Verschuldung kein Raum für Steuersenkungen bleibt. Doch kann sich die Union hier gegenüber Grünen und SPD profilieren, indem sie Steuererhöhungen ebenso ausschließt wie eine einmalige Vermögensabgabe oder die Wiedereinführung der Vermögensteuer.

Dieser Wahlkampf wird mehr denn je von der Forderung nach Umverteilung geprägt sein, von links-grünen Appellen an weitverbreitete Neidkomplexe. Die CDU/CSU wird, ebenso wie die FDP, bei den Bürgern für wirtschaftliche Vernunft werben müssen: Durch Steuererhöhungen sind noch nie Produkte entwickelt, Märkte erschlossen und Arbeitsplätze geschaffen worden. Dabei wird die Union den Bürgern klar machen müssen, dass „die oberen fünf Prozent“, die die SPD viel stärker belasten will, schon bei Einkünften von 70.000 Euro im Jahr beginnen, also viele treffen, die sich keineswegs „reich“ fühlen. Zudem wäre es höchst kontraproduktiv, wenn die Finanzkraft der besonders innovativen Familienunternehmen durch eine Vermögensteuer geschwächt würde.

Mehr Wohnungen statt Mietendeckel

Für viele Menschen, vor allem für junge Paare und Familien, ist die Suche nach einer erschwinglichen Wohnung schwierig geworden, vor allem in den Ballungsräumen. Grüne, SPD und Linke fordern unisono einen bundesweiten Mietendeckel. Das Verfassungsgericht hat den Berliner Mietendeckel für verfassungswidrig erklärt, weil gesetzliche Mietpreisbeschränkungen in die Kompetenz des Bundes fallen und nicht in die der Länder. Über die Frage, ob auch ein bundeseinheitlicher Mietendeckel die Rechte der Vermieter verfassungswidrig einschränken würde, hat Karlsruhe nicht entschieden.

Ganz unabhängig von verfassungsrechtlichen Fragen müssten die Unionsparteien eine Alternative zur staatlichen Mietpreisdeckelung anbieten. Die kann nur darin bestehen, den Wohnungsbau kräftig anzukurbeln, und zwar von Eigenheimen und Eigentumswohnungen ebenso wie von privat finanzierten Mietwohnungen und nicht zuletzt im sozialen Wohnungsbau. Mietpreisbreme und Mietendeckel sind nichts anderes als Instrumente zur Mangelverwaltung und zur Begünstigung derer, die bereits einen Mietvertrag haben. Die marktwirtschaftliche Alternative kann nur heißen: bauen, bauen, bauen – durch private Investitionen und ebenso durch staatliche.

Es fehlt ein Rezept gegen Altersarmut

Die Renten werden im kommenden Wahlkampf ebenfalls eine Rolle spielen. Die derzeitige Rentnergeneration ist, von Ausnahmen abgesehen, bestens versorgt. Doch viele Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen und solche, die längere Zeit arbeitslos waren, werden im Alter mit wenig Geld auskommen müssen, manche sogar in die Altersarmut abrutschen. Zudem steht unser Rentensystem längst nicht mehr auf festem Grund. Immer weniger Arbeitende müssen aus demografischen Gründen immer mehr Ruheständler finanzieren, immer mehr Rentner werden in Zukunft Grundsicherung beantragen müssen. Angesicht der demografischen Schieflage in der Rentenversicherung bietet sich bei steigender Lebenserwartung als ein Ausweg die Verlängerung der Lebensarbeitszeit an, also die Verschiebung des Renteneintritts auf den 69. oder 70. Geburtstag. Das wäre die logische Konsequenz, wenngleich keine sehr populäre. Ob die CDU/CSU den Mut aufbringen wird, das ehrlich zu sagen, darf bezweifelt werden. Schließlich verspricht die grüne und rote Konkurrenz den Rentnerhimmel auf Erden, also höhere Renten für alle, ohne zu sagen, wie das zu finanzieren wäre.

Will sich die Union nicht auf einen unseriösen Überbietungswettbewerb einlassen und am Prinzip festhalten, dass der eine höhere Rente erhält, der länger gearbeitet und höhere Beiträge eingezahlt hat, muss sie sich etwas einfallen lassen. Es liegen durchaus seriöse Vorschläge auf dem Tisch, die gesetzliche, beitragsfinanzierte Rente durch einen kapitalgedeckten Fonds zu ergänzen. Dieser Fonds unter staatlicher Aufsicht würde einen Teil der Rentenbeiträge sowie freiwillige Zuzahlungen der Arbeitnehmer am Kapitalmarkt anlegen und mit den dort erzielten Renditen die „normale“ Rente aufstocken. Was die Norweger mit ihrem staatlichen Pensionsfonds schaffen, müsste in Deutschland ebenso möglich sein. Allerdings gilt auch hier wie auf vielen anderen Politikfeldern: Für neue Ideen braucht man auch Mut.

„Wo ist denn das Fleisch?“

In den USA gehört Frage, „Where is the beef?“, zum Standardrepertoire der Wahlkämpfer aller Parteien. Dabei handelt es sich um eine Anspielung auf einen berühmten Werbespot, in dem zwischen den beiden Brötchen-Hälften eines „Burgers“ die Fleischeinlage fehlte. Grüne und SPD haben ihre Wahlprogramme bereits erarbeitet, CDU/CSU sind da im Rückstand. Das hat mit der wegen Corona mehrfach verschobenen Wahl des neuen Vorsitzenden zu tun, zudem mit der viel zu langen offenen Frage nach dem Kanzlerkandidaten. Letztere Frage ist nunmehr beantwortet, die Antwort auf Frage nach dem „Fleisch“ dagegen noch offen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 24. April 2021)


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