05.01.2023

Renten-Hampelei der Ampel: Wahnsinn mit Methode

Die Unternehmen schlagen Alarm. Es fehlen zurzeit 1,8 Millionen Fachkräfte. Das ist im Alltag zu spüren. Auf einen Handwerker muss man noch länger warten als früher, in Krankenhäusern müssen Betten wegen Personalmangels leer bleiben, Restaurants öffnen später und schließen früher.

Alarm schlagen müsste neben den Unternehmen auch die Politik. Wenn nämlich weniger produziert wird und weniger Dienstleistungen angeboten werden, dämpft das das Wirtschaftswachstum ebenso wie die Steuereinnahmen. Eine Abwärtsspirale.

Das Paradoxe daran: Die Regierung hilft kräftig mit, den Fachkräftemangel zu vergrößern. Sie hat mit der „Rente mit 63“ den früheren Ausstieg aus dem Arbeitsleben geradezu befördert. Denn von dieser Segnung profitieren nur Arbeitnehmer mit 45 Beitragsjahren. Das sind in der Regel männliche Facharbeiter, die überdurchschnittlich bezahlt wurden und ohnehin überdurchschnittlich hohe Rentenansprüche haben.

Hinzuverdienst-Möglichkeiten für Rentner ausgeweitet

Seit Jahresbeginn bietet die Ampel einen zusätzlichen Anreiz zum Wechsel von der Vollzeit-Arbeit in den Teilzeit-Ruhestand. Wer früher in Rente geht, darf jetzt unbegrenzt hinzuverdienen. Das war bisher erst nach Erreichen der Regelaltersgrenze möglich. Die Folge wird sein, dass viele Arbeitnehmer ihre Vollzeitstelle aufgeben, früher in Rente gehen, um anschließend in Teilzeit weiter zu arbeiten.

Das belastet die Rentenkasse, weil die Abschläge bei Frühverrentung von 3,6 Prozent pro Jahr nach Meinung vieler Experten zu niedrig sind. Und es belastet die Betriebe, weil gerade Mitarbeiter mit großer Erfahrung nicht mehr bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter von derzeit 65 Jahren und 11 Monaten durcharbeiten. Sie werden vielmehr ihre gekürzte Rente kassieren und sich gleichzeitig so viel hinzuverdienen, dass sie den gewohnten Lebensstandard beibehalten können. Dafür reichen dann vielleicht 10 oder 15 Stunden pro Woche, statt 38 oder 40.

Halten wir also fest: Die Ampel hält vor allem auf Drängen der SPD an der „Rente mit 63“ eisern fest; die FDP musste da – wider besseres Wissen – mitmachen. Eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit, von vielen Ökonomen gefordert, schließt sie kategorisch aus. Zugleich fördert sie die Tendenz zur Frühverrentung. Dies alles vergrößert zudem den Arbeitskräftemangel.

Renten-"Strategie" der Ampel ist nicht logisch

Wie immer man diese Renten-„Strategie“ der Ampel nennen mag – logisch ist sie nicht. Die Unlogik wird noch dadurch gesteigert, dass Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kürzlich gefordert hat, „den Anteil derer zu steigern, die wirklich bis zum Renteneintrittsalter arbeiten können.“ Wer Finanzmathematik studiert hat, dürfte Schwierigkeiten haben, da mitzukommen. Eher hilft eine langjährige Ausbildung in parteipolitischer Taktik, um diesen Widersprüchen einen Sinn abzugewinnen. Motto: Wir malen uns die Rentenwelt, wie es uns gefällt.

Das rentenpolitische „Hü und Hott“ der Ampel belastet nicht nur den Arbeitsmarkt. Es verdüstert obendrein den wegen der Überalterung unserer Gesellschaft nicht allzu rosigen Ausblick auf die Finanzlage der Rentenkasse. Weniger Berufstätige müssen halt immer mehr Rentner finanzieren. Und jeder Anreiz zum früheren Renteneintritt vergrößert das Dilemma.

Dabei basiert die gesetzliche Rentenversicherung auf einem einfachen Prinzip: Je mehr man als Berufstätiger einzahlt, umso mehr bekommt man als Ruheständler. Wer jedoch vor dem gesetzlichen Renteneintrittsalter (von 2031 an 67 Jahre) die Arbeit einstellen möchte, der muss mit weniger Geld auskommen.

Geltende Abschlagsregelung laut Rentenexperten zu niedrig

Dieser Abschlag ist deshalb gerechtfertigt, weil ein freiwilliger Frührentner bis zu fünf Jahre länger Rente kassiert, zugleich fünf Jahre lang nicht mehr in die Rentenkasse einzahlt. Die geltende Abschlagsregelung von 3,6 Prozent pro Jahr und bis zu 18 Prozent für fünf Jahre ist jedoch nach Meinung vieler Rentenexperten zu niedrig veranschlagt. Um die Verluste der Rentenversicherung auszugleichen, müsste die Rente pro Jahr um mehr als 4 Prozent gekürzt werden. Das aber wäre höchst unpopulär.

Politik – gerade auch die Rentenpolitik – sollte jedoch stets mit dem Betrachten der Wirklichkeit beginnen. Und die Menschen nehmen, wie sie sind. Wenn der Staat mit Blick auf eine SPD-nahe Klientel den abschlagsfreien Ruhestand mit 63 anbietet, dann greift der Normalbürger zu. An die Folgen für Arbeitsmarkt und Rentenkasse denkt er verständlicherweise nicht. Nicht anders werden viele die Option auf Rente plus unbegrenzten Zuverdienst sehen – als Chance auf mehr Freizeit ohne eigene finanzielle Einbußen.

Die rot-grün-gelbe Regierung beklagt den Fachkräftemangel und will ihn mit einer erleichterten Zuwanderung bekämpfen. Zugleich fördert sie mit viel Geld den vorzeitigen Ausstieg aus dem Arbeitsleben und beklagt den Hang zur Frühverrentung. Als Shakespeare seinen „Hamlet“ schrieb, konnte er die Renten-Hampelei der Ampel nicht erahnen. Aber sein Satz, „Ist dies schon Wahnsinn, so hat es doch Methode“, trifft den Kern der Sache. Leider.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 5. Januar 2023)


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