27.05.2022

Bürgergeld der Ampel: mehr Geld ohne Gegenleistung

In der Sozialpolitik will die Ampel die Weichen neu stellen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil wird im Sommer einen Gesetzentwurf für das neue Bürgergeld vorlegen, das die heutigen Hartz-IV-Leistungen ersetzen soll. Noch in der zweiten Jahreshälfte solle die „sehr große“ Reform im Parlament beraten und beschlossen werden, kündigte Heil kürzlich an.

Die Ampel-Parteien haben sich in der Tat eine sehr große Reform vorgenommen. Das beginnt schon bei der Wortwahl. Bisher hieß die wichtige Sozialleistung, die Arbeitslosen nach dem Auslaufen des regulären Arbeitslosengelds zusteht, amtlich Arbeitslosengeld II. Im allgemeinen Sprachgebrauch war indes von Hartz IV die Rede.

Bürgergeld klingt netter als ALG II

Doch dieser Begriff ist negativ besetzt. Da hat die Kampagne von ganz links („Hartz IV ist Armut per Gesetz“) gewirkt. Zudem wollen SPD und Grüne nicht mehr daran erinnert werden, dass die sozialpolitisch umstrittenen, beschäftigungspolitisch aber sehr erfolgreichen Hartz-Gesetze ihr Werk sind. Hartz IV wird also durch das viel freundlicher klingende Wort Bürgergeld ersetzt.

Doch es bleibt nicht bei verbaler Kosmetik. „Das Bürgergeld soll die Würde des und der Einzelnen achten,“ heißt es im Koalitionsvertrag. Was sich nur mit „wir werden den Regelsatz erhöhen“ übersetzen lässt. SPD, Grüne und FDP wollen überdies die bisherige Sanktionspraxis grundlegend verändern. Bisher galt, dass die Bezieher von Hartz IV-Leistungen sanktioniert werden können, wenn sie Termine beim Jobcenter nicht wahrnehmen, eine angebotene Arbeit ablehnen oder sich weigern, eine Aus- oder Weiterbildung zu absolvieren.

Dies war Teil des Grundprinzips des „Fördern und Fordern“: Der Staat hilft Arbeitslosen, fordert aber von ihnen eigene Anstrengungen, wieder einen Job zu bekommen. Im Koalitionsvertrag ist vage von „Mitwirkungspflichten“ die Rede. Dass diese milder ausfallen werden als in der Vergangenheit, kann unterstellt werden.

Wie groß und wie teuer die Wohnung ist, spielt keine Rolle mehr

In welche Richtung Heils „sehr große Reform“ gehen soll, hat die Koalition erst vor kurzem gezeigt. Mit der Ampel-Mehrheit wurden im Bundestag die Sanktionen für unkooperative Hartz IV-Empfänger fast ganz ausgesetzt. Zudem wurden besondere Regelungen, die seit Beginn der Pandemie gelten, bis Mitte nächsten Jahres verlängert. So werden die Vermögensverhältnisse der Antragsteller nicht mehr sorgfältig überprüft. Außerdem übernimmt das Amt die Miete unabhängig davon, wie groß oder wie teuer die Wohnung ist.

Diese aktuellen Beschlüsse nehmen bereits wichtige Elemente des künftigen Bürgergelds vorweg. So heißt es im Koalitionsvertrag: „Wir gewähren in den ersten beiden Jahren des Bürgergeldbezuges die Leistung ohne Anrechnung des Vermögens und anerkennen die Angemessenheit der Wohnung. Wir werden das Schonvermögen erhöhen und dessen Überprüfung entbürokratisieren, digitalisieren und pragmatisch vereinfachen.“

Zwei Jahre Auszeit auf Kosten des Staates?

Man kann das so verstehen: Ein Arbeitsloser kann sich nach Auslaufen des Arbeitslosengelds relativ einfach eine Auszeit von maximal zwei Jahren nehmen, finanziert mit dem neuen Bürgergeld. Die Höhe seines Vermögens spielt in dieser Zeit keine Rolle. Die Miete wird auch für eine große Wohnung vom Staat übernommen. Und wegen der „Mitwirkungspflichten“ bei der Arbeitssuche muss sich der Bürgergeldempfänger in spe wohl keine allzu großen Gedanken machen.

Denn aktuell droht als Höchststrafe ein Abzug von zehn Prozent oder 45 Euro, wenn sich ein Leistungsempfänger mehr als einmal weigert, Beratungs- oder Vermittlungstermine bei Jobcenter wahrzunehmen. Bei der Weigerung, eine angebotene Stelle anzunehmen, droht derzeitig kein Geldabzug. Und es spricht nichts dafür, dass die Parteien, die das jetzt beschlossen haben, künftig wieder zu einer rigoroseren Politik des Forderns zurückkehren. Bisher konnte der Regelsatz von derzeit 449 Euro im Monat (ohne Wohnungskosten) um bis zu 30 Prozent gekürzt werden.

Auf dem Weg zum bedingungslosen Grundeinkommen

Im Grunde kann man beim geplanten Bürgergeld von einem „bedingungslosen Grundeinkommen auf Zeit“ sprechen. Linke und Grüne sehen in „Staatsknete für alle“ schon lange eine Alternative zu Hartz IV. Nach diesem Konzept stehen jedem Erwachsenen vom Staat Monat für Monat 1000 oder 1200 Euro zu, ob er arbeiten will oder nicht. Da gilt dann das abgewandelte Bibelwort: „Sie säen nicht und ernten nicht. Und der Sozialstaat ernährt sie doch.“

Vor der Bundestagswahl hat keine der heute regierenden Parteien sich klar für dieses umstrittene und im Grunde nicht zu finanzierende Grundeinkommen ausgesprochen. Die Grünen zeigten im Wahlprogramm jedoch ihre Sympathie, in dem sie Modellprojekte zum bedingungslosen Grundeinkommen in Aussicht stellten. Zugleich versprachen sie Hartz IV durch eine „Garantiesicherung“ zu ersetzen. Diese sollte „ohne Sanktionen das soziokulturelle Existenzminimum“ garantieren.

Die SPD wiederum kündigte an, die „Grundsicherung“ grundlegend zu überarbeiten und zu einem Bürgergeld zu entwickeln. Der Begriff Hartz IV wurde sorgfältig vermieden. Den Beziehern des Bürgergelds sollen „Mitwirkungspflichten“ auferlegt werden – bei Abschaffung „sinnwidriger“ und „unwürdiger“ Sanktionen. Da für SPD-Linke nahezu jeder Aspekt des „Forderns“ sinnwidrig oder unwürdig sein dürfte, lässt sich erahnen, wie sanft diese Mitwirkungspflichten ausfallen werden.

Vom Bürgergeld-Konzept der FDP bleibt nichts

Oberflächlich betrachtet, sind die Freien Demokraten die Gewinner der angestrebten Sozialreform. Für ein Bürgergeld treten sie schon seit vielen Jahren ein. Das „Liberale Bürgergeld“ hat freilich mit dem von Minister Heil zu erwartenden Vorschlag nichts zu tun.

Im FDP-Wahlprogramm hieß es dazu: „Wir wollen steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. Selbst verdientes Einkommen soll geringer als heute angerechnet werden. So möchten wir das Steuer- und Sozialsystem verbinden.“ Zu dieser Abstimmung von Steuer- und Sozialsystem sind SPD und Grüne jedoch nicht bereit.

Das zu erwartende rot-grün-gelbe Bürgergeld wird also mit dem liberalen Konzept außer dem Namen nichts gemein haben: mehr finanzielle Förderung unter weitgehendem Verzicht auf Forderungen an die Leistungsempfänger. Die Ampel unter Führung von Hubertus Heil wird die Hartz IV-Reformen beerdigen. Und ausgerechnet die eigentlich marktwirtschaftlich orientierte FDP wird als Sargträger dabei sein.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 27. Mai 2022)


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