29.12.2021

Bundespräsidentenwahl: Über Frauen wird geredet – und am Ende ein Mann gewählt

Bei 15 Bundespräsidentenwahlen seit 1949 standen nur acht Frauen auf dem Stimmzettel. Gewählt wurde keine von ihnen. Aus einem einfachen Grund: CDU/CSU, SPD und FDP, die bisher alle zwölf Präsidenten stellten, nominierten nur dann eine Frau, wenn diese allenfalls eine Außenseiterchance hatte. Bei sicheren Mehrheiten vertraute man das protokollarisch höchste Amt im Staat lieber einem Mann an.

Bei der nächsten Präsidentenwahl am 13. Februar 2022 spricht ebenfalls alles für „the same procedure as every five years“. Frank-Walter Steinmeier, 2017 von der SPD, den Grünen und der FDP gerne und der Union eher widerwillig gewählt, möchte im Amt bestätigt werden. Falls die Ampel-Parteien es wollen, darf er im Schloss Bellevue bleiben. SPD, Grüne und FDP stellen nämlich 778 der insgesamt 1472 Mitglieder der Bundesversammlung. Das sind 37 mehr, als zur absoluten Mehrheit von 737 Stimmen notwendig sind – ein beruhigendes Polster.

Göring-Eckardt sah sich schon als Schlossherrin

Bei dieser Rechnung gibt es allerdings ein kleines Fragezeichen: Die Grünen haben noch nicht offiziell erklärt, dass sie Steinmeiers Wiederwahl unterstützen werden. Der hat nämlich aus Sicht der so sehr auf „Frauen-Power“ setzenden Öko-Partei das falsche Geschlecht. Zudem konnte sich die Grüne Karin Göring-Eckardt schon als erste Bundespräsidentin fühlen, solange Schwarz-Grün vor der Bundestagswahl als die wahrscheinlichste Konstellation galt. Doch mit dem Absturz der CDU/CSU in der Wählergunst war dieser Traum ausgeträumt.

Für die Grünen ist bei der Besetzung politischer Ämter das richtige Geschlecht bisweilen wichtiger als alle anderen Kriterien. Das haben sie mit der missglückten Kanzlerkandidatur von Annalena Baerbock hinreichend demonstriert. Aber die Grünen können jetzt nicht einfach eine Gegenkandidatin zu Steinmeier nominieren. Das würde von ihren Koalitionspartnern zu Recht als äußerst unfreundlicher Akt bewertet. Man kann sich leicht ausmalen, welche Seelenqualen es den Feministen unter den grünen Männern bereitet, neben einem Kanzler (männlich), einem Chef des Bundesverfassungsgerichts (männlich) und einem Bunderatspräsidenten (männlich) weiterhin einen Mann an der Spitze des Staates zu sehen.

CDU spielt plötzlich den Frauen-Anwalt

In dieser Wunde bohrt nun die CDU, die von Frauenförderung immer viel weniger gesprochen hat als Grüne oder SPD, aber immerhin die bisher einzige Frau ins Kanzleramt gebracht hat. Hendrik Wüst, Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, hat sich als erster CDU-Politiker für eine Gegenkandidatin zu Steinmeier ausgesprochen. Seine Begründung: "Wir haben einen Kanzler, der von zwei Männern vertreten wird. Es wird auch einige Anhängerinnen und Anhänger der Ampel-Parteien geben, die sich mehr Vielfalt gewünscht hätten."

Für Wüsts Vorschlag hat der designierte CDU-Vorsitzende Friedrich Merz Sympathie gezeigt. Unterstützt wird Wüst unter anderem von der nordrhein-westfälischen Bundestagsabgeordneten Serap Güler. Als mögliche Kandidatin wird in der CDU gelegentlich die frühere Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer gehandelt. Güler schwebt indes eine Kandidatin vor, die auch bei anderen Parteien Unterstützung fände. Güler: "Es müsste eine Frau sein, die parteiübergreifend akzeptiert wird und keine Alibikandidatin, nur um eine Frau ins Rennen zu schicken". Mit einer Alibikandidatin hat die Union bereits Erfahrungen gesammelt. 1999 wurde die damalige thüringische Wissenschaftsministerin Dagmar Schipanski ins aussichtlose Rennen gegen Johannes Rau (SPD) geschickt. Fünf Jahre später, als die CDU/CSU zusammen mit der FDP eine Mehrheit hatte, wurde Horst Köhler nominiert – und gewählt.

Parteibuch schlägt Geschlecht

Sollte die Union nun plötzlich „Frauen, Frauen über alles“ nicht nur intonieren, sondern dies auch ernst meinen, müsste sie sogar offen sein für eine weibliche Bewerberin aus einer anderen Partei. Wie wär‘s also mit schwarzer Unterstützung für Göring-Eckardt, sozusagen als Zeichen der Hoffnung für künftige schwarz-grüne Zeiten? Dies scheiterte jedoch schon an simpler Mathematik: Union und Grüne verfügen zusammen nur über 678 Stimmen. Und dass Feministen beiderlei Geschlechts aus den Reihen der SPD zu einer grünen Kandidatin überlaufen würden, darf wohl ausgeschlossen werden. Da gilt im Zweifelsfall: Parteibuch schlägt Geschlecht.

Gülers Vorstellung von einer parteiübergreifend akzeptierten Kandidatin hat zwar Charme, aber kaum Aussicht auf Verwirklichung. In der Union ist zu hören, die durch Corona einer breiten Öffentlichkeit bekannt gewordene Medizinethikerin Professor Christiane Woopen könnte eine solche Kandidatin sein. Aber warum sollen SPD und FDP wieder von Steinmeier abrücken? Sicher nicht, um die CDU als Partei der Frauenförderung erscheinen zu lassen. Ganz abgesehen davon gibt es in der Union derzeit niemand mit Prokura, um irgendjemandem eine Nominierung anzutragen.

Glaubwürdig sind die Rufe nach einer Präsidentin nicht

Frau oder nicht Frau: Steinmeier hatte bereits im Mai angekündigt, sich noch einmal zur Wahl stellen zu wollen. Das war insofern ungewöhnlich, als noch nie ein Bundespräsident sich selbst zur Wiederwahl vorgeschlagen hat – und das zu einem Zeitpunkt, als noch alles für eine schwarz-grüne oder eine jamaikanische Mehrheit in der Bundesversammlung sprach. Gleichfalls höchst ungewöhnlich wäre es, wenn zum ersten Mal ein amtierender Präsident in offener Feldschlacht abgewählt werden würde.

So fortschrittlich Forderungen nach einer ersten Frau im Staat klingen mögen: Glaubwürdig sind sie allesamt nicht. Nicht nur die Union hat das Problem, dass sie nur einmal eine Zählkandidatin aufgestellt hat. Die SPD hatte sich 1979, als mit Annemarie Renger zum ersten Mal eine Frau auf dem Stimmzettel stand, nicht anders verhalten. Die zweimalige Kandidatur von Gesine Schwan (2004 und 2009 gegen Horst Köhler) scheiterte ebenfalls – wie prognostiziert – jeweils bereits im ersten Wahlgang. Und die Grünen? Die hätten, wenn es ihnen mit diesem Anliegen ernst gewesen wäre, in den Koalitionsverhandlungen das Thema Bundespräsidentin klären können. Aber so wichtig war es ihnen dann auch nicht.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 28. Dezember 2022)


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