02.12.2021

Merz, Röttgen oder Braun: Wahlkampfendspurt im Bällebad

Vermisst Norbert Röttgen in der CDU wirklich jene Flügelkämpfe, wie sie einst zwischen dem national-konservativen Alfred Dregger und dem sozial-progressiven Heiner Geißler ausgefochten wurden? Falls nicht, war sein Bedauern über die seiner Meinung nach zu geringe ideologische Spannbreite in seiner Partei gut vorgetragen.

Röttgens Klage passte indes nicht so recht zu Stil und Inhalt der Talkshow, in der sich die drei Bewerber um den CDU-Vorsitz am Mittwochabned der Parteibasis wie der Öffentlichkeit präsentierten, zu verfolgen im TV-Sender „Phoenix“ wie im „Livestream“ der Partei. Denn dort ging so harmonisch zu, als hätten Röttgen und seine Konkurrenten Friedrich Merz und Helge Braun nichts anders im Waffenarsenal als Wattebäusche, um sich gegebenenfalls damit zu bewerfen.

Optisch ist die Partei schon erneuert

Die CDU gilt – nicht zu Unrecht – als eine in die Jahre gekommene Männerpartei: Durchschnittsalter 55 Jahre, Frauenanteil: 25 Prozent. Die von der Bundesgeschäftsstelle zugelassenen 25 Parteimitglieder, die aufgrund ihrer eingereichten Fragen ausgewählt worden waren, verkörperten dagegen das, was alle drei Chef-Kandidaten anstreben: eine eher junge, zur Hälfte weibliche Parteibasis mit überproportional vielen Parteifreunden mit Migrationshintergrund. Eine geschickte Inszenierung.

Die drei Kandidaten inszenierten sich ebenfalls: Merz als besonders freundlich, Röttgen jugendlich-dynamisch (als einziger ohne Krawatte) und Braun als optimistischer junger Kohl. Alle drei waren gleichermaßen friedlich. Man musste schon genau aufpassen, um wenigstens ein paar inhaltliche Differenzen herauszuhören. Fazit: Die Mitglieder haben die Wahl zwischen drei Politikern, die sich eher im Stil als in ihren Positionen unterscheiden.

Das ging schon los, als sie von der Moderatorin eingangs zur Pandemie befragt wurden. Röttgen bekannte, sich zu einer Impflicht „durchgerungen“ zu haben. Merz, früher eher ablehnend, geht ebenfalls davon aus, dass die Impflicht kommt. Braun mahnte zum Impfen und forderte „einheitliche, für jeden verständliche Maßnahmen.“ Die hatte allerdings die scheidende Regierung Merkel/Scholz mit dem Kanzleramtsminister Braun im Gerangel mit den Ministerpräsidenten auch nicht zustande gebracht.

Übereinstimmung statt großer Kontroversen

Die CDU – vom Wähler gedemütigt und in der Ära Merkel inhaltlich entkernt – braucht eine Generalüberholung. Auch darin sind sich die Kontrahenten einig. Hier die (unvollständige) Liste ihrer Übereinstimmungen: die Partei braucht einen Neuanfang, aber keine Doppelspitze; die aktuelle Mitgliederbefragung ist sinnvoll, soll aber keine Dauereinrichtung werden; das christliche Menschenbild unterscheidet die CDU von allen anderen Wettbewerbern; zwischen CDU und CSU darf es nie wieder so giftig zugehen wie vor der Bundestagswahl; die Parteiarbeit muss modernisiert und digitalisiert werden; die Mitglieder sollen viel stärker eingebunden werden; die CDU braucht mehr Frauen, mehr junge Leute und mehr Menschen mit Migrationshintergrund. Und die nicht nur als Mitglieder, sondern auch als Mandatsträger.

Falls CSU-Chef Markus Söder zugeschaut haben sollte, könnte er etwas gelernt haben: Man kann auch konkurrieren, ohne sich persönlich zu attackieren. Merz, Röttgen und Braun stimmten sich mehr als einmal ausdrücklich zu. Das dürfte die Wahlentscheidung für die Abstimmenden nicht leichter gemacht haben.

Röttgen setzt ganz auf die Klimakarte

Wenn einer der drei Kandidaten mit einem Thema besonders hervorstach, dann Röttgen. Der ehemalige, von Angela Merkel bald geschasste Umweltminister, setzt ganz auf das Thema Klima. Er will die CDU „zur besten Klimapartei“ machen, und die müsse der Vorsitzende verkörpern. Ein kleiner Seitenhieb auf Merz, den man an der Parteibasis eher als Wirtschaftsexperten schätzt. Wobei die Merzschen Attacken auf die Ampel vielen Mitgliedern gut gefallen dürften: Der neuen Koalition gehe es um zu viel Ausstieg. Er sei für mehr Einstieg in neue, klimaschonende Technologien wie die Wasserstofftechnik.

Ein kleines Scharmützel entwickelte beim Thema Bildungspolitik. Röttgen will als CDU-Vorsitzender der „bildungspolitischen Kleinstaaterei“ den Kampf ansagen. Merz klärte ihn auf: Der Föderalismus in der Bildungspolitik lasse sich nur über eine Änderung des Grundgesetzes abschaffen. Und dazu brauche man eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Kaum noch umstritten: die Frauenquote

Bei diesem Triell war Florett angesagt, nicht schwerer Säbel. Selbst das CDU-Reizthema Frauenquote führte nicht zu einem heftigen Schlagabtausch. Braun und Röttgen sind entschieden für eine Einführung. Merz ist und bleibt skeptisch. Er deutete an dieser Front jedoch seinen Rückzug an: Wenn der Partei nichts Besseres zur Förderung von Frauen einfalle, dann sei er ebenfalls für eine Quote. Nach Macho-Merz klang das nicht. Die Regie hatte sich ein interessantes Finale einfallen lassen. Jeder der Kandidaten sollte ein von ihm ausgewähltes Foto präsentieren. Das Foto als Programm, ein interessanter Versuch.

Merz als Teamplayer

Merz zeigte ein Bild von sich zusammen mit seinen Kandidaten für die Position des Generalsekretärs, dem ostdeutschen Sozialpolitiker Mario Czaja, und der als Stellvertreterin vorgesehenen Christina Stumpp aus Baden-Württemberg. Seine Botschaft an die Mitglieder: Als Vorsitzender werde ich nicht der starke Mann sein, der alles alleine macht. Mit mir bekommt ein „gesamtstaatliches, die ganze Partei integrierendes“ Team.

Röttgen als gefühliger Familienvater

Röttgen hielt ein Foto seiner Familie in die Kamera. Überraschend für einen, der sich gerne als kühlen Analytiker mit intellektuellem Touch inszeniert. Sein Kommentar: „Man sieht meine Frau, unsere Tochter und mich. Es gibt auch ein Leben außerhalb der Politik. Familie ist Kraftquelle. Familie erdet. Und wenn man mal in Zweifel gerät, warum machst du das? Dann schaue ich in die Augen meiner Tochter und weiß, warum ich Politik mache.“ Andre Rieu hätte sicher die schmachtende Untermalung liefern können.

Braun strebt nach „40 Prozent plus“

Helge Braun werden nur Außenseiterchancen eingeräumt. Der geschäftsführende Kanzleramtsminister hat dagegen anzukämpfen, mit dem Niedergang der CDU in der Endphase der Ära Merkel in Verbindung gebracht zu werden. Das konterte er mit einem Foto vieler junger CDU-Mitglieder, die am Wahlabend 2013 die damals erreichten 41,5 Prozent bejubelten. Es war das einzige von vier Wahlergebnissen Merkels in der einst üblichen CDU-Kategorie „40 Prozent plus“. Seine doppelte Botschaft: Ich will die CDU zurück zu alter Stärke führen. Aber es geht weniger um mich, als um euch.

Das Triell bildete das Finale von unzähligen virtuellen Formaten, in denen die Kandidaten sich der Parteibasis vorgestellt hatten. Vom kommenden Samstag an können die Mitglieder ihr Votum abgeben. Rund 120.000 haben Briefwahl beantragt; die anderen haben die Möglichkeit zur Briefwahl.

Mehr „beauty contest“ als harter Richtungskampf

Nimmt man das Triell zum Maßstab, handelt es sich bei der Mitgliederbefragung eher um einen Schönheitswettbewerb als um eine harte Richtungsentscheidung. Merz sucht einen Ausgleich zwischen Ökonomie, Ökologie und Sozialem, Röttgen setzt alles auf die Klimakarte. Braun ist der Optimist und erhofft sich von einer „Mitmachpartei“ die notwendigen Impulse zur Erneuerung der CDU.

Eine Prognose sei gewagt: Mit ihrer Partei sehr Unzufriedene dürfen ich von Merz neuen Schwung erhoffen. Wer auf eine grüne CDU setzt, der hat mit Rötten den passenden Kandidaten. Für treue Merkelianer ist dagegen Braun der richtige Mann.

Und so geht’s weiter. Vom 4. bis 16. Dezember wird abgestimmt. Am 17. Dezember liegt das Ergebnis vor. Gegebenenfalls findet vom 29. Dezember bis 12. Januar ein Stichentscheid statt. Was immer die Mitglieder auch beschließen mögen: Ratifiziert werden kann das Ergebnis erst auf dem virtuellen CDU-Parteitag am 21./22. Januar. Das muss der CDU erst einmal jemand nachmachen: Eine Abstimmung, die sich – theoretisch – über einen Jahreswechsel hinzieht. Wenn das keine Erneuerung ist?

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 2. Dezember 2021)


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