05.07.2021

Ein „totes Pferd“ namens WerteUnion

Die WerteUnion, eine Vereinigung von konservativen Mitgliedern der Unionsparteien, war und ist seit ihrer Gründung im April 2018 vor allem eines: eine Produzentin von Schlagzeilen. Politischen Einfluss hatte und hat der Zusammenschluss von gerade mal 4000 von insgesamt 560.000 Mitgliedern von CDU und CSU aber nie. Versuche, als offizielle Gliederung der CDU anerkannt zu werden, hatten nie Aussicht auf Erfolg. Kanzlerkandidat Armin Laschet betont immer wieder, die CDU habe mit diesem Verein nichts zu tun.

Gleichwohl hat es diese Organisation unter ihrem bis Mai amtierenden Vorsitzenden Alexander Mitsch verstanden, sich mit scharfer Kritik an der Politik Angela Merkels und der Bundes-CDU („verheerender Linksruck“) von sich reden zu machen. Nach der Wahl Laschets zum CDU-Vorsitzenden kündigte er aber seinen Rückzug an. Seine Begründung: „Durch die Entscheidung der CDU-Funktionäre gegen Friedrich Merz als Parteivorsitzenden und den nicht erkennbaren Willen des neuen Vorsitzenden zu einer Kurskorrektur sehe ich kaum noch Chancen auf eine dringend notwendige Politikwende.“

Seit Neuestem macht das selbsternannte Sprachrohr wertkonservativer und wirtschaftsliberaler Wähler mit internem Zoff auf sich aufmerksam. In Rheinland-Pfalz legten jetzt die Mitglieder des Landesvorstandes geschlossen ihre Ämter nieder, in Baden-Württemberg kündigte die Führungsmannschaft fast ausnahmslos ihren Rücktritt an. Der bayerische Landesverband trat aus dem Bundesverband aus, benannte sich in „Konservativer Aufbruch für Werte und Freiheit“ um und will sich ganz auf Bayern und die CSU konzentrieren.

Immer wieder Streit um die fehlende Abgrenzung zur AfD

Streit hatte es unter diesen Bannerträgern der „alten CDU“ immer wieder gegeben. Dabei ging es meistens um die Abgrenzung gegenüber der AfD, in der manche Werte-Unionisten einen potentiellen Koalitionspartner der CDU sehen. Diese Auseinandersetzung hat sich in den fünf Wochen seit der Wahl des Ökonomieprofessors und Fondsmanagers Max Otte zum Bundesvorsitzenden deutlich verschärft. Die jüngsten Rücktritte erfolgten aus Protest gegen Otte und seinen Kurs. Die Baden-Württemberger werfen ihm eine „Annäherung an völkische und nationalistische Themen“ vor. Ihr stellvertretender Landesvorsitzender Oliver Kämpf sagte, der Name sei zerstört. „Die WerteUnion ist wie ein totes Pferd, von dem man absteigen muss.“ Der bisherige rheinland-pfälzische Landesvorsitzende Peter Scholze sprach von einer „toxischen“ Wirkung Ottes auf die „Wahrnehmung und Akzeptanz“ der WerteUnion.

Otte, seit 1991 CDU-Mitglied, ist in den vergangenen Jahren wiederholt durch seine Nähe zur AfD aufgefallen. Bei der Bundestagswahl 2017 hat er nach eigenen Angaben die AfD gewählt. Das begründete er unter anderem so: „Programmatisch steht die AfD dafür, was ein anständiges CDU-Mitglied vor 30 Jahren als seine Position gesehen hat. Die AfD lebt das Parteiprogramm der CDU – viel mehr als die CDU selbst.“

Später organisierte er dreimal das „Neue Hambacher Fest“ auf dem Hambacher Schloss im rheinland-pfälzischen Neustadt. Es geriet stets zu einem Aufmarsch von AfD-Fans. Zu den ausschließlich dem rechten Rand zuzuordnenden Rednern zählten der AfD-Ko-Vorsitzende Jörg Meuthen und der inzwischen aus der SPD ausgeschlossene Autor Thilo Sarrazin.

Bis Januar 2021 war Otto zudem Vorsitzender des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung. Dort wollte er nach eigenen Angaben eine „Klammer im bürgerlichen Lager, zwischen der AfD auf der einen und der CDU/CSU auf der anderen Seite“, sein. Die Stiftungsvorsitzende, die ehemalige CDU-Abgeordnete Erika Steinbach, warf Otte vor, er habe der Stiftung mit seiner Einmischung in AfD- Richtungskämpfe geschadet.

Selbst Maaßen geht auf Distanz zu Otte


Die CDU hat trotz all dieser Umtriebe Ottes nie den Versuch unternommen, ihn aus der Partei auszuschließen. Vor zwei Jahren hatte selbst die WerteUnion die CDU aufgefordert, Ottes Mitgliedschaft wegen rechtslastiger Äußerungen zu beenden. Das hinderte eine knappe Mehrheit aber nicht, ihn Ende Mai zum Nachfolger Mitschs zu wählen. Nach Ottes Wahl gingen mehrere Landesverbände auf Distanz. Selbst das prominenteste Mitglied der WerteUnion, der frühere Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen, fühlte sich in der WerteUnion plötzlich nicht mehr wohl. „Ich werde genau beobachten, wie sich die WU entwickelt und lasse daher meine Mitgliedschaft ruhen,“ ließ er die Öffentlichkeit wissen. Er verfolge die Entwicklung der Werte-Union mit Sorge.

Die WerteUnion selbst reagierte auf die Rücktrittsserie am Sonntag mit einer Presseerklärung, in der sie sich „starken Zulauf“ bescheinigt. Nach Darstellung Ottes sollen Vorstandsmitglieder aus Baden-Württemberg und Bayern seit Herbst letzten Jahres mit ehemaligen Mitgliedern der AfD über die Gründung einer neuen Partei gesprochen haben. Otte: „Etliche davon treten nun aus. Gleichzeitig können wir aber mehr Eintritte verzeichnen. Die WerteUnion wird gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen.“

Mit Otte an der Spitze wird die WerteUnion auch in Zukunft für Schlagzeilen sorgen. Nur ihr kaum messbarer Einfluss innerhalb der CDU wird sich sicher nicht erhöhen. Beim Bundesparteitag und auf den Landesparteitagen gibt es so gut wie keine Delegierten aus ihren Reihen. Der bisherige Vorsitzende Mitsch hat sogar seinen Sitz als Beisitzer im CDU-Kreisverband Rhein-Neckar verloren. Sein Versuch, als Kandidat für die baden-württembergische Landtagswahl nominiert zu werden, scheiterte kläglich.

WerteUnion bringt die CDU/CSU in Misskredit

Während die WerteUnion es versteht, viel Lärm um Wenig zu machen, findet eine andere konservative Formation in der CDU kaum Aufmerksamkeit – der Berliner Kreis. Das vom früheren hessischen Justizminister und Fraktionsvorsitzenden Christean Wagner gegründeten Netzwerk konservativer CDU-Abgeordneter hat beispielsweise aus seiner Ablehnung der Euro-Rettungspolitik oder der unkontrollierten Aufnahme von Flüchtlingen nie einen Hehl gemacht. Aber anders als bei der WerteUnion legte der Kreis immer Wert auf eine klare Abgrenzung gegenüber der AfD. Auch deshalb gab es keinerlei formelle Zusammenarbeit des Berliner Kreises mit der WerteUnion. Bei Otte wird die Distanz noch größer werden.

Für die CDU sind die Querelen in der WerteUnion nicht hilfreich. Sobald Otte und seine Mitstreiter von „diktaturähnlichen Zuständen“ raunen und andere AfD-Parolen übernehmen, gerät die gesamte CDU/CSU in Misskredit. Die Ironie der Geschichte: Hätte die CDU-Spitze vor zwei Jahren auf die WerteUnion gehört, wäre Otte längst kein CDU-Mitglied mehr. Und die CDU hätte kein Abgrenzungsproblem gegenüber Mitgliedern, die besser heute als morgen dorthin gehen sollten, wo sie ideologisch hingehören – in die AfD.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 5. Juli 2021)


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