29.06.2021

Baerbock hat sich abermals in Misskredit gebracht

Nein, das ist keine Neuauflage der Plagiatsaffäre der Ex-Doktores Karl-Theodor zu Guttenberg oder Franziska Giffey. Annalena Baerbock hat nicht geschummelt, um sich einen akademischen Grad zu erschleichen, sie hat nicht gegen eine eidesstaatliche Erklärung gegenüber einer staatlichen Hochschule verstoßen. Sie hat auch nichts Unrechtes getan, um gezielt die Auflage ihres Buchs „Jetzt. Wie wir unser Land erneuern“ in die Höhe zu treiben.

Die Vorwürfe eines Plagiatsforschers gegen die Spitzen-Grüne sind harmloser. Auf den 240 Seiten, auf denen sie sich als Vordenkerin zu präsentieren versucht, hat ein Plagiatsforscher recht viele Stellen entdeckt, die Autoren verschiedener Websites, Organisationen oder Medien wie „Tagesspiegel“ und „Spiegel“ verfasst haben, von der Kanzlerkandidatin aber als eigene Erkenntnisse zu Papier gebracht wurden. Die macht sich Baerbock einfach zu eigen – ohne jeden Hinweis auf die wahren Autoren.

Ob sie mit diesem geistigen Diebstahl gegen das Urheberrecht verstoßen hat, mögen Gerichte klären. Das ist unter politischen Aspekten unerheblich. Denn unabhängig von allen juristischen Fragen, hat sich Baerbock auf andere Weise selbst geschadet. Sie hat sich abermals selbst in Misskredit gebracht.

Wer sich mit einem Abschluss nach einjährigem Master-Studiengang als Völkerrechtlerin ausgibt, wer den eigenen Lebenslauf mit windigen Angaben aufplustert, wer immer nur dann etwas einräumt, wenn es nicht mehr zu verheimlichen ist wie bei den Nebeneinkünften, der macht sich nicht nur angreifbar. Der kann nicht das aufbauen, was beim Streben nach höchsten Ämtern unabdingbar ist: Vertrauen. Aber genau darauf wäre eine Spitzenkandidatin ohne jede Regierungs- oder Verwaltungserfahrung angewiesen.

Als Angela Merkel (CDU) 2013 das Kanzleramt gegen Peer Steinbrück (SPD) verteidigte, lautete ihr entscheidender Satz im TV-Duell an die Adresse des Publikums: „Sie kennen mich.“ In der Tat, die Wähler wussten, woran sie bei „Mutti“ waren. Winfried Kretschmann plakatierte denselben Satz im baden-württembergischen Landtagswahlkampf und bescherte den Grünen mit fast 33 Prozent ihr mit Abstand bestes Ergebnis. Annalena Baerbock kann schon deshalb so nicht für sich werben, weil sie viel zu kurz bundespolitisch aktiv ist. Von ihr konnten sich viele Bürger noch kein Bild machen. Bei der Kanzlerkandidatin Baerbock schauen jetzt viele genauer hin. Aber was sie sehen, fördert nicht das Zutrauen zu ihr als Person und das Vertrauen in ihre Managementfähigkeiten.

Mit dem Buch wollte Baerbock sich als Staatsfrau präsentieren. Im Nachwort von „Jetzt“ dankt sie mehreren Frauen und Männern für deren Zuarbeit, „zumal“, wie sie schreibt, „mit der Entscheidung der Kanzlerkandidatur im April plötzlich alles ganz schnell gehen musste“. Mit anderen Worten: Als Eile angesagt war, blieb die Sorgfalt auf der Strecke. Und das in Zeiten, in der jeder Politiker stets damit rechnen muss, dass seine Texte mit der entsprechenden Plagiats-Software überprüft werden. Wenn dann die „Abschreiberitis“ bekannt wird, hat das nichts mit „Rufmord“ zu tun, wie die Grünen jammern, sondern mit dem berechtigten Interesse an Spitzenpolitikern.

Übrigens: John F. Kennedy und die Demokraten versuchten bei der Präsidentschaftswahl 1960 die Vertrauenswürdigkeit des republikanischen Gegenkandidaten Richard M. Nixon in Frage stellen. Also druckten sie Plakate mit einem Foto Nixons und der Frage „Würden Sie von diesem Mann einen Gebrauchtwagen kaufen?“ Bei der grünen Kanzlerkandidatin könnten ihre politischen Gegner jetzt plakatieren: „Würden Sie von dieser Frau ein Buch kaufen?“

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 29. Juni 2021)


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