05.11.2014 | Frankfurter Allgemeinen / Zeitung für Frankfurt

In Gedankenlabyrinthen

„Wer eine Strickjacke von unten zuknöpft und versehentlich das unterste Knopfloch auslässt, der wird zu keinem schönen Ergebnis kommen. So ähnlich muss man es sich vorstellen, wenn Petra Roth ins Erzählen oder Philosophieren kommt. Da geht es schon einmal kreuz und quer und kraus und verquer durch das Reich der Wörter, Begriffe und Gedankenlabyrinthe. So war es am Montagabend auch beim Frankfurter Podium, zu dem seit 27 Jahren der Unternehmer Heinz-Jürgen Lorenz in seine Systemhausgruppe in Rödelheim einlädt. Der Zuschauerraum war bis zum letzten Platz besetzt, das Publikum freundlich und sehr aufmerksam. Auf dem Podium neben der früheren Oberbürgermeisterin saß Hugo Müller-Vogg, ehemaliger Mitherausgeber dieser Zeitung und ein Publizist, der keinem Konflikt aus dem Wege geht. In seinen Tagen bei der F.A.Z. hatte Petra Roth manchen kritischen Kommentar aus seiner Feder über sich ergehen lassen müssen, aber am Montag verstanden die beiden sich ziemlich gut.

Müller-Vogg begann beim Privaten und der Frage, ob Petra Roth nach 18 Jahren mit Sekretärinnen und Referenten resozialisierbar war für ein bürgerliches Leben. Klar, sagte sie; zwar tue sie sich mit dem RMV-Fahrkartenautomaten noch immer schwer, aber sie komme allein gut klar am Flughafen, laufe 25 Minuten zu Fuß zum Gate 58 nach Bremen. Auch könne sie ihren Navigator, ihr iPhone und ihr iPad bedienen – „ich komm’ zurecht“.

Und wie war das, so plötzlich ohne Amt und Beschäftigung zu sein? Gar kein Problem, sie hatte so viele Anschlusstermine, dass der Übergang gleitend war. Petra Roth berichtete von den „sieben Positionen“, mit denen sie sich beschäftige, „drei, dreieinhalb Tage pro Woche“, unter anderem ist sie Aufsichtsratsvorsitzende der Thüga und steht einem Beirat der ING Diba vor. Sonst macht sie auch noch viel Urlaub und hat ihr Augenmerk geschärft: „Sie glauben gar nicht, wie bewusst ich die Natur wahrnehme.“

Dies war sozusagen der gemütliche Teil. Denn immer wieder kam Frau Roth im freien Assoziationsstrom („Lärm ist anerkannt als Krankheit“) auf das Allgemeine und Politische zu sprechen, etwa auf die Banken, die ihrer Ansicht nach bald überflüssig werden. Tatsächlich meinte sie offenbar die Bankfilialen, aber das war nicht so genau auszumachen. Auch ihre Ansicht zur nachlassenden Wahlbeteiligung mäandrierte ein wenig. Aber wahrscheinlich bemerkt dergleichen nur der Journalist, der mitschreibt und den Kuli immer wieder absetzen muss.

Das Publikum folgte dem engagierten Dialog der beiden mit erkennbarem Interesse, denn Petra Roth hatte auch viel Interessantes zu berichten oder zu bewerten. So fand sie, dass Volker Bouffier die schwarz-grüne Koalition gut eingefädelt habe und ihr etwas Modellhaftes für die Bundespolitik gebe. Und er habe in Tarek Al-Wazir einen ebenso verlässlichen Partner gefunden, wie sie ihn in Jutta Ebeling angetroffen habe: „Ich muss sagen, die Grünen haben mich in all den Jahren nicht einmal enttäuscht.“ Und fügte etwas später hinzu: „Man kann keine Politik machen mit Menschen, denen man nicht vertraut.“ Und das ist nun wirklich ein Satz, den man einer Frau abnehmen darf, die 18 Jahre lang an der Spitze einer der vitalsten deutschen Städte stand. Warmer Schlussapplaus.“

Quelle: Peter Lückemeier in der „Frankfurter Allgemeinen/Zeitung für Frankfurt“ vom 5. November 2014