27.03.2023

Verdi und Eisenbahner streiken gegen die kleinen Leute

Dieser Montag wird ein historischer Tag. Noch nie haben zwei Gewerkschaften – Verdi und die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG – den Nah-, Fern- und Flugverkehr in fast ganz Deutschland lahmgelegt. Die Beschäftigten bei der Deutschen Bahn, bei S-Bahnen und U-Bahnen, an Flughäfen, in kommunalen Häfen ebenso wie bei der Autobahngesellschaft sowie in der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung sorgen seit Mitternacht für einen Lockdown fast wie zu Zeiten von Corona.

Deshalb können Millionen Arbeitnehmer nicht oder nur unter erschwerten Umständen zur Arbeit kommen, Pflegekräfte und Krankenschwestern nicht in Kliniken und Heime, müssen viele Schüler zu Haus bleiben, schaffen es Lehrer nicht in ihre Schule und Erzieher es nicht in ihre Kitas, können Bürger wichtige Arzttermine nicht wahrnehmen, müssen Geschäftstermine abgesagt werden und lassen sich Waren nicht ausliefern.

Wer wenig Geld hat, ist der Verlierer

Die Verlierer bei diesem sogenannten Warnstreik stehen schon fest: Es sind die Bürger mit wenig Geld. Immerhin haben die Gewerkschaften ihre Maßnahmen mit einigen Tagen Vorlauf angekündigt. Wer heute von Frankfurt nach München muss, der nimmt das Auto. Oder er ist bereits am Sonntag mit dem Zug gefahren und hat am Zielort ein Hotelzimmer gebucht. Wohl dem, der hat; wohl dem, der kann.

Menschen ohne Auto haben diese Option nicht. Wer seinen Arbeitsplatz wegen zu großer Entfernung nicht zu Fuß erreichen kann, ist eben der Dumme. Da werden die kampfeslustigen Gewerkschaftsfunktionäre nur müde lächeln. Ebenso wenig kann und will sich nicht jeder einen Hotelaufenthalt leisten, um am Montag wichtige Termine wahrzunehmen, seien es berufliche oder private.

Die Besserverdienenden können sich eher helfen

Pech (oder aus ihrer Sicht: Glück) haben Schüler, die nicht von Mama oder Papa zum Unterricht chauffiert werden können. Ebenso gekniffen sind Alleinerziehende, die sich um den eigenen Nachwuchs kümmern müssen, statt ihrem Beruf nachzugehen. Denn nicht allen steht die Möglichkeit des Homeoffice zur Verfügung. Die finanziell Bessergestellten hingegen können eher eine Kinderbetreuung organisieren – und bezahlen.

Was Verdi stolz als „Megastreiktag“ feiert, ist eine Zumutung für fast alle anderen. Streiks im öffentlichen Dienst sind nämlich mit Arbeitskämpfen in der Wirtschaft nicht zu vergleichen. Bei einem „normalen“ Streik versuchen die Arbeitnehmer, den Arbeitgeber durch den verursachten Produktionsausfall zu schädigen. Die simple Idee dahinter: Ohne Produktion kein Umsatz, ohne Umsatz kein Gewinn. Das bekommen dann die Anteilseigner zu spüren, denn weniger Gewinn führt zu einer geringeren Ausschüttung.

Durch den Streik verursachte Verluste trägt der Steuerzahler

Verluste Im öffentlichen Dienst gibt es jedoch keine bösen Kapitalisten, die man durch Produktionsausfälle schädigen und somit zu höheren Lohnabschlüssen zwingen könnte. Das Geld, das beispielsweise die Deutsche Bahn durch den „Megastreik“ verliert, fehlt dem Staat. Dasselbe gilt ebenso für die Flughäfen in Frankfurt oder München.

Bei der Fraport AG besitzen das Land Hessen und die Stadt Frankfurt die Mehrheit der Aktien, der Münchener Airport gehört dem Bund, Bayern und der Stadt München. Der Schaden, den Verdi hier anrichtet, geht letztlich zu Lasten der Steuerzahler. Es mag grotesk klingen, trifft aber zu: Die Streikenden im öffentlichen Dienst streiken zu einem gewissen Grad gegen sich selbst.

An der Grenze zum politischen Streik

Zweifellos steht das im Grundgesetz garantierte Streikrecht auch dem öffentlichen Dienst zu. Warnstreiks sind ein legitimes Mittel, die Gegenseite zu Zugeständnissen zu bewegen. Heute stehen aber nicht etwa die Straßenbahnen in der einen Stadt still und die Busse in einem anderen Landkreis still. Mit ihrem Großkampftag zu Land, zu Wasser und in der Luft bewegen sich Verdi und die EVG gefährlich nahe an der Grenze zwischen legalem Kampf um Geld und dem grundgesetzwidrigen politischen Streik.

Bei politischen Streiks à la Frankreich geht es eben um mehr als um Lohnprozenten und Arbeitszeitregelungen. Da wird für eine grundsätzlich andere Politik gekämpft. Natürlich haben wir keine französischen Verhältnisse. Doch scheint Verdi das Spiel mit dem Feuer zu lieben.

Erst Anfang März kam es zu einer gezielten Kooperation mit „Fridays for Future“. Auch heute wollen die Klimaaktivisten beim „Megastreik für die Verkehrswende“ in 20 Städten „mit auf der Straße sein.“ Verde und die EVG können mit Unterstützung der Klima-Kleber von der Letzten Generation rechnen, die nach Informationen von „BILD“ wichtige Straßen blockieren wollen. Nein, mit einem normalen Arbeitskampf hat das nichts zu tun.

Verdi und EVG nehmen die Bürger als Geiseln

Verdi und die EVG können – Warnstreiks hin, längerer Ausstand her – ihre Arbeitgeber, anders als etwa die IG Metall, nicht direkt schädigen. Folglich versuchen sie, völlig Unbeteiligten das Leben schwer zu machen. Dahinter steckt das zynische Kalkül, die betroffenen Bürger würden den Politikern die Hölle heiß machen, damit diese den Forderungen der Gewerkschaften nachgeben. Mit anderen Worten: Verdi und EVG nehmen die Bürger als Geiseln.

Niemand wird abstreiten wollen, dass die Beschäftigten im öffentlichen Dienst unter der Inflation zu leiden haben. Das gilt besonders in den unteren Gehaltsgruppen. Das kann aber kein Grund sein, das Land weitgehend lahmzulegen. „Die Verdi-Mitglieder streiken für mehr Geld, für Respekt und Anerkennung ihrer Arbeit,“ verkündet die Gewerkschaft. Aber sie lässt es an jeglichem Respekt fehlen gegenüber unbeteiligten Bürgern, vor allem gegenüber solchen mit wenig Geld, deren Interessen Gewerkschaften besonders im Blick haben sollten. Wie immer der Megastreiktag ausgehen mag: Die kleinen Leute sind die großen Verlierer.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 27. März 2023)


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