23.01.2023

Berliner Wiederholungswahl: Ihr Völker der Welt, schaut lieber nicht auf diese Stadt!

In knapp zwei Wochen dürfen die Berliner nochmals wählen. Ob die vom Gericht verfügte Wiederholung der Pannenwahl im Ausland - von den OECD-Wahlbeobachtern einmal abgesehen - auf großes Interesse stößt? Vorsorglich möchte man schon mal rufen: „Ihr Völker der Welt, schaut lieber nicht auf diese Stadt.“ Denn es ist zu peinlich, was der rot-grün-rote Senat bisher geleistet hat.

Gleichwohl: Der Berliner an sich scheint sich so an eine dysfunktionale Verwaltung, an eklatanten Wohnungsmangel, an eine „Fahrad, Fahrrad, über alles“-Verkehrspolitik und an marode Schulen gewöhnt zu haben, dass er zu einem „Weiter so“ entschlossen zu sein scheint. Das ist der spezielle Berliner Humor: Zwei Drittel der Bürger wollen einen anderen Senat, aber mehr als die Hälfte will Umfragen zufolge Rot-Grün-Rot abermals eine klare Mehrheit bescheren. Berliner Mengenlehre eben.

Der Unmut über den „Failed State“ lässt sich allenfalls daran ablesen, dass die CDU laut Umfragen mit 23 Prozent stärkste Kraft werden könnte - vor den Grünen mit 20 und der SPD mit 18 Prozent. Da zugleich die Linke abermals mit einem zweistelligen Ergebnis rechnen kann, dürfte es für eine Neuauflage des Linksbündnisses bequem reichen - dann wohl mit einer grünen Regierenden Bürgermeisterin.

Franziska Giffey praktiziert „Sozialismus light“

Für Linksgrün fügt sich in der Hauptstadt manches bestens zusammen. Multi-Kulti-Träumer im alten Westen, Lifestyle-Linke in Mitte und DDR-Nostalgiker im Ostteil finden den unter Franziska Giffey praktizierten „Sozialismus light“ allemal besser als den angeblich herzlosen Neoliberalismus, der unter einem CDU/FDP-Senat die Berliner Luft kälter werden ließe. Dabei verdrängen diese Berliner gekonnt, dass es um diese Stadt noch viel schlechter aussähe, wenn der Berliner Schlendrian nicht von solchen Ländern vor dem Bankrott bewahrt würde, in denen ausgerechnet „Kapitalisten“ ständig das Bruttosozialprodukt steigerten - allen voran Bayern, Baden-Württemberg und Hessen. Aber das Denken in ökonomischen Zusammenhängen war bekanntlich noch nie die Stärke von Linken.

Gute Chancen für eine Fortsetzung von Linksgrün

Falls es bis zum Wahltag am 12. Februar nicht mehr zu großen Verschiebungen kommt, werden die Grünen ihren bisherigen Koalitionspartnern eine Fortsetzung der „bewährten“ Koalition anbieten - mit der derzeitigen Bürgermeisterin und Grünen-Spitzenkandidatin Britta Jarasch an der Spitze. Die CDU wiederum würde versuchen, eine Deutschlandkoalition mit SPD und FDP zu schmieden. Ein Jamaika-Bündnis mit Grünen und FDP kann man ausschließen. Erstens könnten die Grünen dann nicht den „Regierenden“ stellen. Und zweitens kommt für die sehr linken Berliner Grünen eine Koalition mit der aus ihrer Sicht stets unter Nazi-Verdacht stehenden CDU ohnehin nicht in Frage.

Für die SPD auf dem dritten Platz wäre die Lage komplizierter. Mit der einst so hochgejubelten Franziska Giffey hatte die Partei Willy Brandts schon 2021 ihr bisher schlechtestes Ergebnis erzielt. Ein weiteres Abrutschen bedeutete folglich das Aus für Giffey. Dann würde die SPD eben als Juniorpartner der Grünen im Roten Rathaus verbleiben. Wer in Thüringen sich mit der Rolle eines Steigbügelhalters der Linken alias SED begnügt, der würde in Berlin ebenfalls lieber mitregieren als nicht zu regieren. Denn eine Berliner SPD ohne Posten und Pfründe übersteigt die Phantasie der meisten Genossen.

Wahlsieger würde zum Verlierer

Es ist also gut möglich, dass der mutmaßliche Wahlsieger CDU faktisch zum Verlierer wird. Denn die SPD wird lieber mit Grünen und Linken weitermachen, als mit CDU und FDP einen Neustart zu versuchen. So grotesk es auch sein mag: Die CDU könnte nur dann auf eine Regierungsbeteiligung hoffen, wenn sie auf Platz drei hinter den Grünen und der SPD landete. In diesem Fall würde die SPD wohl lieber eine Deutschlandkoalition anführen als lediglich Juniorpartner der Grünen zu sein.

In Berlin zeigt sich der strategische Vorteil von SPD und Grünen. Beide Parteien haben keine Skrupel, mit der Linkspartei zu koalieren, während für die CDU - aus guten Gründen - die AfD, das Linke-Pendant am rechten Rand, als Partner nicht in Frage kommt. Das zählt zu den Berliner Besonderheiten beziehungsweise Rätseln: Selbst im Westteil, der einstigen Frontstadt, stoßen viele Menschen sich nicht daran, dass die umbenannte SED es bis heute nicht über sich bringt, ihre geliebte DDR das zu nennen, was sie war - ein Unrechtsstaat.

Weit links von der Mitte

In Berlin spiegelt sich die Veränderung der politischen Landschaft des letzten Jahrzehnts wider. Die CDU hat sich in der Ära Merkel selbst nachhaltig geschwächt, weil sie modern sein wollte und Platz gemacht hat für eine Rechtsaußenpartei, mit der Demokraten nicht koalieren können. Die Grünen wiederum, die sich aus machtpolitischen Gründen gelegentlich bürgerlich geben, sind im Kern eine linke Partei. Die Wirtschaft gängeln, die „Reichen“ schröpfen, Schulden als bequemes Finanzierungsmittel sehen, Wohnungsnot mit Mietendeckel und Verstaatlichung bekämpfen, das Meinungsspektrum im identitätspolitischen Sinn verengen, Gleichmacherei statt Chancengleichheit anstreben, die Familie mit heterosexuellen Eltern zu einem von vielen Partnerschaftsmodellen zu degradieren - bei all diesen Themen wären sich die Grünen mit der SPD und der Linken auch im Bund sofort einig - und in Berlin sind sie es schon.

Wenn die Meinungsforscher sich nicht völlig täuschen, wird in der Hauptstadt auch weiterhin zusammen regieren, was zusammen gehört - weit links von der Mitte.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 25. Januar 2023)


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