17.09.2022

Beim Bürgergeld verstößt die FDP gegen ihre Prinzipien – notgedrungen

Nach dem „Struckschen Gesetz“ kommt „kein Gesetz aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist.“ Wenn diese Weisheit des früheren SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck (+2012) noch gilt, dann könnte es am Entwurf des Bürgergeld-Gesetzes noch Veränderungen geben. Doch dürfte es sich allenfalls um kleinere Korrekturen handeln.

An den Grundzügen dessen, was die Ampel-Koalition als Nachfolgeregelug für Hartz IV plant, wird es keine wesentlichen Abstriche geben. Das bedeutet: mehr Geld für mehr Bezieher dieser Transferleistung, viel höhere Freibeträge beim sogenannten Schonvermögen, Mietübernahme selbst bei teuren Wohnungen, faktischer neunmonatiger Verzicht auf Sanktionen, wenn ein Leistungsempfänger partout weder arbeiten noch sich weiterbilden will.

Das Gegenteil von Fordern und Fördern

Und der Clou des Ganzen: Wer sich aufrafft, eine abgebrochene Berufsausbildung wieder aufzunehmen oder sich weiterzubilden, der bekommt zusätzlich 150 Euro im Monat. Eine Prämie für eigentlich selbstverständliches Verhalten, das ist genau das Gegenteil von „Fordern und Fördern.

Mit allen diesen Maßnahmen wird der Abstand zwischen dem Netto von Arbeitnehmern mit niedrigen Einkommen und den Bezügen der Bürgergeldempfänger noch geringer als bisher. Da wird mancher versucht sein, das Arbeiten einzustellen, statt wegen ein paar Euro mehr 40 Stunden zu schuften.

„Gratismentalität“ auch am Arbeitsmarkt?

Ist das wirklich „das beste Deutschland, das es je gegeben hat“, wie es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier vor zwei Jahren formuliert hat? Ein Land, in dem für Menschen mit geringer Qualifikation und in schlecht bezahlten Dienstleistungsberufen „Stütze plus etwas Schwarzarbeit“ eine lohnende Alternative bieten? Und das alles unter Mitwirkung der FDP, die doch immer sehr lautstark fordert, Leistung müsse sich wieder lohnen? Wird da nicht die „Gratismentalität“, die FDP-Chef Christian Lindner bei der Forderung nach einer Verlängerung des 9-Euro-Tickets beklagt hatte, im Sozialsystem befördert?

Dass ausgerechnet die Freien Demokraten hier mitmachen, dürfte viele ihrer Anhänger verwundern und enttäuschen. Denn das vom sozialdemokratischen Arbeitsminister Hubertus Heil konzipierte Bürgergeld ist genau das Gegenteil liberaler, marktwirtschaftlicher Politik.

FDP-Bürgergeld hat mit diesem Bürgergeld nichts gemein

Nun muss man wissen, dass die FDP schon seit vielen Jahren für ein „Liberales Bürgergeld“ eintritt. In ihrem Wahlprogramm hieß es dazu: „Wir wollen steuerfinanzierte Sozialleistungen wie das Arbeitslosengeld II, die Grundsicherung im Alter, die Hilfe zum Lebensunterhalt oder das Wohngeld in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammenfassen, auch im Sinne einer negativen Einkommensteuer. Selbst verdientes Einkommen soll geringer als heute angerechnet werden.“

Mit diesem Konzept hat die Ampel-Variante indes nichts gemein. Was die FDP mitträgt, ist klassische rot-grüne Sozialpolitik, im Koalitionsvertrag mit schwülstigem Wortgeklingel garniert: „Das Bürgergeld stellt die Potenziale der Menschen und Hilfen zur nachhaltigen Integration in den Arbeitsmarkt in den Mittelpunkt und ermöglicht gesellschaftliche Teilhabe.“ Gesellschaftliche Teilhabe durch einen – zumindest zeitweiligen – Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt? Da müssen sich bei jedem Marktwirtschaftler die Nackenhaare sträuben.

Eine Koalition ist kein Wunschkonzert

Gleichwohl: Die FDP ist in einer Dreier-Koalition der kleinste Koalitionspartner. Zudem regiert sie mit zwei linken Parteien, für die Umverteilung Vorrang vor dem Erwirtschaften hat. Es dürfte kaum einen Freien Demokraten geben, der das rot-grün-gelbe Bürgergeld aus Überzeugung mitträgt. Aber das Koalitionsleben ist eben kein Wunschkonzert.

FDP hat noch Schlimmeres verhindert

Man muss sich nur vorstellen, wenn statt der Ampel eine rot-grüne oder gar eine rot-grün-rote Koalition regierte, also ohne FDP aber mit der Linkspartei. Dann würde statt des Bürgergelds ein bedingungsloses Grundeinkommen im Gesetzesblatt veröffentlicht. Denn vielen Sozialdemokraten wie Grünen schwebt vor, dass der Staat jedem Erwachsenen Monat für Monat 1000 oder 1200 Euro zahlt, ob er arbeiten will oder nicht. Da gilt dann das abgewandelte Bibelwort: „Sie säen nicht und ernten nicht. Und der Sozialstaat ernährt sie doch.“

Das Bürgergeld ist ein „Grundeinkommen light“. Sozialpolitische Feinschmecker würden von einem „bedingungsarmen Grundeinkommen“ sprechen. Dabei kann die FDP für sich in Anspruch nehmen, dass es ohne sie anders ausgefallen wäre: deutlich mehr Geld für noch mehr Menschen mit noch weniger Auflagen und Sanktionsmöglichkeiten.

Erfolg der Liberalen: Abbau der „kalten Progression“

Immerhin kann die FDP vorweisen, dass sie jetzt durchgesetzt hat, was SPD und Grüne am liebsten verhindert hätten: den Abbau der „kalten Progression“ für alle (!) Einkommensteuerzahler. Hätte Linksgrün allein entscheiden können, wären genau die, die den größten Teil der Einkommensteuer zahlen, nicht entlastet worden.

Wie so etwas geht, hat die SPD ja bereits in der Großen Koalition vorexerziert und gegen die CDU/CSU durchgesetzt. Deshalb müssen „die Reichen“ weiterhin den Solidaritätszuschlag zahlen. Wobei „Reichtum“ für Olaf Scholz und die SPD bereits bei einem Jahresbrutto von 73.000 Euro (Alleinstehende) beginnt. Von „Respekt“ für Menschen, die sich anstrengen, ist bei dem Genossen Bundeskanzler nichts zu spüren.

Koalition und Kompromiss gehören zusammen

Nein, das neue Bürgergeld ist für die Freien Demokraten kein Ruhmesblatt. Schlimmeres verhindert zu haben reicht nicht aus, um sich als gestaltende Kraft zu profilieren. Aber ohne dieses Bürgergeld wären jetzt beim Abbau der „kalten Progression“ die Fleißigen und Erfolgreichen bestraft worden. Koalition und Kompromiss sind eben zwei Seiten einer Medaille. Die FDP spürt‘s schmerzlich.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 17. September 2022)


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