31.05.2022

Mit Bouffier tritt ein konservativer Modernisierer ab

Mit Bouffier verlässt ein Politiker die Bühne, der in seiner Person die Wandlung der CDU stärker verkörpert als jeder andere Politiker. Als hessischer Innenminister war die Bezeichnung „Schwarzer Sheriff“ für Bouffier ein Ehrentitel. Als Regierungschef und stellvertretender CDU-Vorsitzender trug er die Politik Angela Merkels solidarisch mit. Mit der Bildung der ersten schwarz-grünen Koalition in einem Flächenland eröffnete er seiner Partei neue Machtperspektiven. Und bei alldem schaffte er es, im positiven Sinn als treuer Parteisoldat zu gelten. Das macht ihm in der Partei keiner nach.

Bouffier war an vorderster Front mit dabei, als der konservative Landesverband mit Roland Koch die Sozialdemokraten ausgerechnet im „roten Hessen“ 1999 als Regierungspartei ablöste. Als er 2010 Koch nachfolgte, war er einer von insgesamt neun Ministerpräsidenten aus den Reihen von CDU und CSU, die allesamt ohne grüne Koalitionspartner regierten. Heute stellt die Union nur noch sechs Länderchefs, von denen allein Markus Söder in Bayern noch eine Mehrheit ohne Grüne hat. Unter Bouffier wurde die einst als konservativer Kampfverband oder Stahlhelm-Fraktion geschmähte Hessen-CDU zum Schrittmacher für eine aus CDU-Sicht vor zehn Jahren allenfalls als Notlösung denkbare Farb- und Machtkonstellation.

Koch wurde respektiert, Bouffier gemocht

Bouffiers Stärke ist seine freundliche, den Menschen zugewandte Art. Selbst als der sechs Jahre jüngere Roland Koch in der Partei die unumstrittene Nummer eins war, bekam „Buffi“ auf Parteitagen fast immer ein paar Stimmen mehr. Der eher kühle Koch wurde respektiert, weil er die Partei nach acht langen Oppositionsjahren wieder in die Regierung geführt hatte. Bouffier hingegen wurde gemocht – als Kumpel, als einer, der mit Leuten einfach „konnte“, als Sympathieträger auch über Parteigrenzen hinweg. Sein grüner Vize-Regierungschef Tarek Al-Wazir lobte ihn jetzt als einen Politiker, „der sich immer an der Sache und nicht nur an der Wirkung nach außen orientiert und im Zweifelsfall das Land über die Partei gestellt hat.“

Als Bouffier mit Al-Wazir 2013 die erste Koalition bildete, war das keine Liebesheirat. Bouffier schaffte es, dass seine anfänglich skeptische CDU ebenso mitzog wie die nicht minder kritischen Grünen. Seitdem hat Schwarz-Grün das Land solide und erfolgreich regiert – und das dank der ausgleichenden Art des Ministerpräsidenten – ohne öffentlich ausgetragene Koalitionsstreitereien, ohne Koalitionskrisen. Unter Schwarz-Grün konnte sich die Wirtschaft ebenso entfalten wie vorher unter Schwarz-Gelb. Selbst der von den Grünen einst bekämpfte Ausbau des Frankfurter Flughafens, der Job- und Wachstumsmotor des Landes, ging planmäßig weiter.

Absturz auf 27 Prozent wegen Merkel

Eines konnte Bouffier freilich nicht: Die Landespartei und sich von dem unter Angela Merkel zunehmend negativen Bundestrend abzukoppeln. So stürzte die CDU bei der Landtagswahl 2018 – nicht zuletzt wegen Merkels Flüchtlingspolitik und des erbitterten Streits zwischen CDU und CSU - auf 27,0 (2013: 38,3) Prozent ab, während die Grünen auf 19,8 (11,1) Prozent zulegten. Daraufhin kündigte Merkel ihren Rückzug vom Parteivorsitz an. In Hessen reichte es knapp für eine Fortsetzung von Schwarz-Grün.

Das schlechteste Ergebnis seit 1954 ging an Bouffier nicht spurlos vorbei. Im Jahr darauf erkrankte er zudem an Hautkrebs; es war nicht klar, ob er sich davon erholen würde. Hinzu kamen weitere Ereignisse, die für Bouffier wie Tiefschläge wirkten: Die Ermordung des nordhessischen Regierungspräsidenten Walter Lübcke, eines engen Freundes, die rassistisch motivierte Mordnacht von Hanau, die neun Menschen mit Migrationshintergrund das Leben kostete, schließlich der Selbstmord des hessischen Finanzministers Thomas Schäfer, der als Kronprinz Bouffiers galt. Die Pandemie war eine zusätzliche gewaltige Herausforderung für den gesundheitlich angeschlagenen Ministerpräsidenten.

Bouffier ist damals sichtlich gealtert. Aber der ehemalige Leistungssportler biss sich durch, obwohl ihm die Folgen eines lange zurückliegenden schweren Autounfalls zunehmend zu schaffen machten. Seine Stellung in der Partei war zu stark, als dass er offen aufgefordert worden wäre, Platz für einen Nachfolger zu machen. Aber nach dem schlechten Abschneiden der Hessen-CDU bei der Bundestagswahl 2021 (22,8 nach 30,9 Prozent) wollten immer mehr in der Partei wissen, ob Bouffier bei der Landtagswahl im Herbst 2023 noch einmal antreten werde. Kein CDU-Politiker von Gewicht forderte seinen Rückzug; aber die Partei verlangte Klarheit.

Im Bund setzte Bouffier auf AKK und Laschet

In der Bundes-CDU büßte Bouffier, der auf Parteitagen stets sehr gut abschnitt, ebenfalls an Rückhalt ein. Er hatte sich zwei Mal gegen Friedrich Merz als Parteivorsitzenden positioniert und sich zudem in der Frage der Kanzlerkandidatur eindeutig auf die Seite Armin Laschets geschlagen. „Im Nachhinein gesehen hätten wir mit Markus Söder wahrscheinlich ein besseres Ergebnis erzielt“, räumte er jetzt ein. Auf dem letzten Bundesparteitag hatte er auf eine erneute Kandidatur für das CDU-Präsidium verzichtet.

Hätte Bouffier in Hessen noch einmal antreten wollen, die Partei hätte es ihm nicht verwehrt; es hätte keinen Aufstand gegeben. Aber er spürte, dass es Zeit für einen Wechsel war. Zudem wollte er – anders als Merkel – seinem Nachfolger die Chance geben, sich bis zur Wahl in der Staatskanzlei zu bewähren und zumindest von einem kleinen Amtsbonus zu profitieren.

Bouffier hätte gerne eine weibliche Nachfolgerin installiert, doch drängte sich im Kabinett und an der Spitze der Fraktion keine Frau auf. So soll nun auf seinen Vorschlag hin Landtagspräsident Rhein am Dienstag zum Ministerpräsidenten und Anfang Juli zum CDU-Landesvorsitzenden gewählt werden. Fraktion und Partei sind ihm dabei so geschlossen gefolgt, wie das in der hessischen Union lange Zeit üblich war.

Rhein reiht sich ein neben Wüst und Günther

Der fünfzigjährige Jurist Rhein verkörpert nicht nur in Hessen einen Generationenwechsel. Er vergrößert zugleich im Bund die Riege jüngerer CDU-Politiker in der ersten Reihe, zu denen auch die Wahlgewinner von Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, Daniel Günther (48) und Hendrik Wüst (46) zählen. Rhein ist von seiner politischen Karriere her bestens auf das neue Amt vorbereitet: Dezernent in Frankfurt, unter anderem für Polizei und Wirtschaft, Innenminister und Wissenschaftsminister im Land, seit Januar 2019 Landtagspräsident. In dieser Funktion hat Rhein, der in früheren Jahren ähnlich wie Bouffier für einen starken Staat eintrat, sich bald als verbindlicher, nach Konsens strebender Politiker profiliert. Für einen angehenden Landesvater keine schlechte Ausgangslage.

Volker Bouffier gibt seinem potentiellen Nachfolger also eine ordentliche Starthilfe, ganz anders als Merkel dies bei Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet gemacht hat. Aber zunächst einmal muss Rhein im Landtag 69 von 137 Stimmen bekommen. Das erscheint aussichtsreich, da die Grünen großen Wert darauf legen, ein verlässlicher Koalitionspartner zu sein. In den Oppositionsparteien SPD, Linke und FDP könnte mancher Abgeordnete für Rhein stimmen, weil er bei vorgezogenen Landtagswahlen um sein Mandat fürchten müsste.

Am Montagabend wird Bouffier im feierlichen Rahmen vor dem Biebricher Schloss in Wiesbaden mit einer Serenade verabschiedet. Am nächsten Tag erklärt er dann vor dem Landtag seinen Rücktritt als Regierungschef. Nach der Abstimmung über seinen Nachfolger wird er auch sein Landtagsmandat niederlegen. Bouffier als Ministerpräsidenten a.D. in der letzten Reihe sitzend – dies ist für ein „zoon politicon“ wie Bouffier keine Alternative. Auch ohne Mandat oder Parteiamt wird Bouffier sich künftig zu Wort melden, wann immer er es für angebracht hält. Was die Engländer über Militärs sagen, gilt auch für politische Urgesteine: „Old soldiers never die; they just fade away. (Alte Soldaten sterben nie, sie verblassen einfach.)“

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 30. Mai 2022)


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