13.05.2022

Krach im Verteidigungsausschuss legt Bruchstellen in der Ampel offen

Eine Koalition ist keine Liebesheirat. Zur Koalition gehört stets der Kompromiss. Jede Partei muss das Gefühl haben, von den anderen ernst genommen zu werden. Andernfalls platzt dem einen oder anderen der Kragen.

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) scheint jedenfalls die FDP-Mitglieder im besonders wichtigen Verteidigungsausschuss nicht ernst genommen zu haben. Auf ihre präzisen Fragen hin soll der Kanzler den „Scholzomat“ angeworfen und Sprechblasen abgesondert haben. Deshalb haben die FDP-Mitglieder nach einer Stunde demonstrativ das Gremium verlassen. Was für ein Eklat!

Dass ein verärgerter Abgeordnete eine Sitzung vorzeitig verlässt, kommt schon mal vor. Aber dass gleich mehrere Abgeordnete einer Regierungspartei den eigenen Regierungschef so desavouieren, das hat es in Berlin noch nicht gegeben.

Der verteidigungspolitische Sprecher der FDP, Marcus Faber, begründete das in der ARD so: Leider seien „sehr viele Fragen“ von Scholz „nicht beantwortet“ worden. „Deswegen haben wir als Freie Demokraten um kurz nach 9 entschieden, dass wir die Sitzung jetzt verlassen.“

Wenn die Mitglieder einer Regierungsfraktion den Regierungschef so behandeln, wie man das allenfalls von wütenden Oppositionsabgeordneten erwarten könnte, stehen die Zeichen auf Sturm. Nach 155 Ampel-Tagen spürt man immer mehr, wie dünn das Eis ist, auf dem die rot-grün-gelben Partner sich bewegen. Es sind nicht nur grundlegende Differenzen über Steuern und Schulden zwischen FDP und SPD oder recht unterschiedliche Auffassungen zwischen FDP und Grünen in der Klimapolitik.

Den kleinsten der drei Partner nervt offenbar zusehends, wie Scholz das Thema Ukraine behandelt. Nicht vergessen ist sein stures Festhalten an Nord Stream 2. Ebenso wenig vergessen ist, wie rüde Scholz die „Jungen und Mädels“ abfertigte, die nach schweren Waffen für die Ukraine riefen. Das betraf vor allem das „Mädel“ Marie-Angnes Strack-Zimmermann, die in der FDP sehr geschätzte und sehr einflussreiche Vorsitzende des Verteidigungsausschusses. Wenn Scholz dann noch vom Verteidigungsausschuss erwartet, dieser habe selbst für Plattitüden dankbar zu sein, war das einigen zu viel.

In der FDP-Spitze, wo angesichts schlechter Umfragezahlen und Wahlergebnisse ohnehin Nervosität herrscht, schrillten die Alarmglocken. Bei allem Ärger über Scholz: Eine von der FDP verursachte schwere Koalitionskrise würde niemandem helfen, am allerwenigsten den Freien Demokraten.

Quasi als Friedensangebot an die SPD stellte sich Strack-Zimmermann demonstrativ an die Seite des Kanzlers. Sein Auftritt sei „erstmal ein Superaufschlag“ gewesen, sagte sie im TV-Sender „Welt“. Die Atmosphäre sei gut gewesen. Scholz habe angeboten, „auch wiederzukommen“, und sie finde das sinnvoll.

Der aufmüpfige Faber musste ebenfalls die Notbremse ziehen: Plötzlich sah er alles ganz anders, begründete den eigenen Auszug aus der Sitzung mit Anschlussterminen, entschuldigte sich für den falsch entstandenen Eindruck und will in der Fraktionssitzung am Dienstag anbieten, von seinem Posten zurücktreten. Sehr glaubwürdig ist das alles nicht.

Der Vorfall im Verteidigungsausschuss zeigt: Von der von FDP-Chef Christian Lindner bei der Regierungsbildung gepriesenen „Zäsur in der politischen Kultur“, von dem besonders vertrauensvollen und fairen Umgang miteinander, ist nichts mehr zu spüren. Die Ampel leuchtet noch. Die drei Farbsignale blinken jedoch immer häufiger gleichzeitig oder durcheinander. Offenbar liegt eine handfeste Funktionsstörung vor. Der Reparaturbedarf ist offensichtlich.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 13. Mai 2022)


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