28.11.2021

Merz gegen Röttgen gegen Braun: Die Kandidaten für den CDU-Vorsitz wollen alles dasselbe – fast!

Die CDU sucht mal wieder einen Vorsitzenden – zum dritten Mal in drei Jahren. Drei Kandidaten werben in der ersten Mitgliederbefragung der CDU auf Bundesebene um die Zustimmung der 400.000 Mitglieder – Helge Braun, Friedrich Merz und Norbert Röttgen. Braun steht für die Merkel-Union, Merz für „CDU pur“ und Röttgen positioniert sich als liberaler Christdemokrat. Wer sie beim parteiinternen Wahlkampf beobachtet, dem fällt indes die große Übereinstimmung in vielen Fragen auf. Deutliche Unterschiede gibt es nur in zwei wichtigen Punkten: bei der Einstellung zur Frauenquote wie zur Verbindung von Partei- und Fraktionsvorsitz.

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Das haben nur die allerwenigstens der rund 400.000 CDU-Mitglieder gemacht, was viele Journalisten tun mussten: Sich die drei Pressekonferenzen der drei Bewerber um den CDU-Vorsitz anzuschauen, ihre Briefe an alle Parteimitglieder zu lesen und sich zudem noch drei Mal bei „CDU live“ einzuloggen, als die Kandidaten sich jeweils 90 Minuten lang einzeln den Fragen der Basis stellten.

Nach gut acht Stunden Kandidaten-„Watching“ drängt sich ein überragender Eindruck auf: Helge Braun, Friedrich Merz und Norbert Röttgen tun alles, um sich möglichst wenig von einander zu unterscheiden. Alle drei sind sich in vier Zielen einig:

- die Partei braucht einen Neuanfang; ihr Profil muss wieder erkennbarer werden;
- die drei ideologischen Wurzeln der Partei – christlich-sozial, liberal, konservativ – müssen gepflegt werden;
- die Parteiarbeit ist zu modernisieren, die Mitgliedschaft ist viel stärker einzubinden;
- die CDU braucht dringend mehr weibliche Mitglieder und mehr Frauen in Führungspositionen.

Ruf nach einem Neuanfang

Nun wird niemand bestreiten, dass die CDU nach 16 langen Merkel-Jahren inhaltlich entkernt und von dem, was man Kampagnenfähigkeit nennt, weit entfernt ist. Beim Thema Neuanfang hat es Helge Braun, der noch amtierende Kanzleramtsminister, am schwersten; schließlich gehört er seit langem zum „Team Merkel“. Er redet da auch nicht lange um den heißen Brei herum. Als Regierungspartei habe die CDU Kompromisse eingehen müssen. Deshalb sei die eigene Position oft nicht mehr erkennbar gewesen.

Da tun sich die beiden anderen leichter. Merz hatte nie ein Regierungsamt inne, Röttgen war nur ein von Merkel geschasster Kurzzeit-Umweltminister (2009 – 2012). Wenn Merz der „bürgerlichen Mitte eine Heimat geben“ will, muss man wohl das Wort „wieder“ mitdenken. Dabei setzt er auf die CDU-Klassiker wie Freiheit und Verantwortung, Solidarität und Subsidiarität, Sicherheit und Ordnung. Merz will die CDU wieder zu der Partei machen, die wirtschaftspolitisch als die kompetenteste gilt. Und die „Zukunftsfähigkeit des Sozialstaats“ liegt ihm ebenfalls am Herzen.

Der Außenpolitiker Röttgen überrascht hingegen mit seinem Auftritt als Anwalt der kleinen Leute. Die CDU muss seiner Meinung nach „die Alltagssorgen der Menschen, die unsere Gesellschaft tragen, annehmen und verstehen.“ Auch Braun will als CDU-Vorsitzender „die hart arbeitende Bevölkerung mit ihren Alltagssorgen“ in den Mittelpunkt der Politik stellen. Es liegt auf der Hand, warum Röttgen und Braun plötzlich wie Sozialpolitiker auftreten: Sie wollen sich so von Merz, dem „Wirtschaftsliberalen“, absetzen, auch wenn sie das so nicht sagen.

Drei Wurzeln – fast eine Meinung

Verbal einig sind sich die drei Aspiranten, wenn es darum geht, die Wurzeln der CDU zu beschwören. Merz braucht gar nicht eigens zu betonen, dass das Bürgerlich-Konservative seiner Meinung nach in der Vergangenheit zu kurz gekommen ist. Röttgen, der bisher seinen Ruf als progressiver, liberaler Christdemokrat sorgfältig gepflegt hat, outet sich plötzlich als Anwalt des unter Merkel kaum gepflegten konservativen Tafelsilbers. Der neue Röttgen „verbürgt sich“ sogar, dass die CDU „die demokratische, politisch legitime Heimat der Konservativen sein“ werde. Dazu passt, daß die von ihm als Generalsekretärin ausersehene Hamburger Bundestagsabgeordnete Franziska Hoppermann sich selbst als konservativ bezeichnet.

Braun will ebenfalls alle drei Wurzeln der Partei düngen. Die von ihm als Parteimanagerin ausersehene Serap Güler, bisher Staatssekretärin für Integration in Nordrhein-Westfalen, steht in vielen Fragen eher links von der Mitte. Die Tochter türkischer Gastarbeiter ging bisher keinem Streit aus dem Weg, wenn CDU-Mitglieder ihrer Meinung zu weit rechts standen. Das hatte beispielweise zur Folge, dass sie CDU-Politiker auf Twitter rigoros blockierte, wenn diese sie ihr zu widersprechen wagten. Das hat sie jetzt schnell rückgängig gemacht. Braun jedenfalls schätzt ihre „Power und Empathie“ und traut sich zu, die unterschiedlichen Flügel in der Partei zusammenzubringen. Da habe er in den 18 Jahren als Kreisvorsitzender in Gießen auch stets geschafft.

Parteiarbeit modernisieren und digitalisieren

Die CDU ist nicht nur inhaltlich nicht im besten Zustand; dasselbe gilt auch organisatorisch. Darin sind sich alle drei einig, auch wenn die beiden anderen die Union nicht so drastisch wie Merz als „insolvenzgefährdeten, politischen Sanierungsfall“ darstellen. Übereinstimmend wollen alle die Parteiarbeit modernisieren und digitalisieren. Braun will in der von ihm angestrebten „Mitmachpartei“ nach jeder Sitzung des Bundesvorstandes ein Vorstandsmitglied allen interessierten Mitgliedern per Videochat die Beschlüsse erläutern und Fragen beantworten lassen.

Merz will für mehr Entscheidungen „bottom up“ statt wie bisher „top down“ sorgen und zudem Strukturen, die auch Parteimitgliedern mit kleinen Kindern die Mitarbeiter leichter ermöglichen. Röttgen verspricht eine „Kampagnenfähigkeit 7 Tage in der Woche, 24 Stunden am Tag unter den digitalen Bedingungen von heute“. Das alles liegt nicht weit auseinander, ließe sich sogar kombinieren.

Bei der Frauenquote scheiden sich die Geister

Wer nach Unterschieden sucht, wird in der Frauenfrage fündig. Alle drei rufen nach mehr Frauen – in der Mitgliedschaft wie bei den Mandatsträgern. Doch schon bei ihrer jeweiligen Mannschaftsaufstellung werden die Unterschiede sichtbar. Röttgen tritt gemeinsam mit zwei Frauen an: Güler als Generalsekretärin und der stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Nadine Schön als Chefin der Programmkommission. Röttgen hat Hoppermann nominiert.

Merz versucht die Frauenfrage auf trickreiche Weise zu lösen. Sein designierter Generalsekretär Mario Czaja, ein ausgewiesener Sozialpolitiker aus Osterberlin, soll mit der baden-württembergischen Abgeordneten Christina Stump eine Stellvertreterin bekommen. Was Merz ein „breites, gesamtdeutsches Integrationsangebot“ nennt, hat nur einen Nachteil: Die Position einer stellvertretenden Generalsekretärin müsste auf dem Parteitag erst noch geschaffen werden.

Es gibt freilich einen gewichtigeren Unterschied in der Frauenfrage: Röttgen und Braun sind Befürworter einer Frauenquote, Merz hält von Quoten indes nicht viel. Er sucht – bisher vergeblich – nach einem besseren Instrument zur Förderung und Beförderung von CDU-Frauen als die Quote.

Alle Macht in eine Hand?

Eines ist sicher: Keiner der Bewerber will ein Übergangsvorsitzender werden, ein „Trümmermann“, der die Partei neu aufstellt und dann an jemand anderen übergibt. Jeder hält sich für kanzlertauglich, versucht aber, das zu verbergen. Für Röttgen steht die K-Frage erst in drei Jahren an, Braun hält es sogar für „Quatsch“, schon heute darüber zu sprechen. Beide würden der Merz’schen Ansicht nicht widersprechen, dass ein CDU-Chef grundsätzlich in der Lage sein muss, „auch das Amt des Bundeskanzlers zu übernehmen“. Aber Merz verschanzt seine Ambitionen hinter der Formel, die Frage stelle sich „jetzt nicht“.

Noch eine Übereinstimmung: Im Grundsatz sind sich die Kandidaten einig, dass Parteivorsitz und Fraktionsvorsitz in eine Hand gehören. Grundsätzlich, das heißt in normalen Zeiten. „Wir haben ja keine normale Situation“, stellt Röttgen nüchtern fest. Braun sieht das genauso, weshalb beide keine Ambitionen haben, Ralph Brinkhaus von der Fraktionsspitze zu verdrängen.

Merz schließt Griff nach Fraktionsvorsitz nicht aus

Merz hingegen schließt nichts aus und lässt damit alles offen: die Entscheidung stehe jetzt nicht an. Was zutrifft, weil Brinkhaus bis April gewählt ist. Allerdings könnte ein Parteivorsitzender Merz, sofern er einen guten, überzeugenden Start hat, auch nach dem Fraktionsvorsitz greifen.

Die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wiederum könnte ihm dieses Amt gar nicht verwehren, ohne den frisch gekürten Parteichef schwer zu beschädigen. Auch müsste Merz die CSU-Abgeordneten in der Unionsfraktion für sich gewinnen, was angesichts der nicht stimmigen „Chemie“ zwischen ihm und CSU-Chef Markus Söder schwierig werden könnte. Es wäre in jedem Fall ein riskantes Unterfangen.

Merz führt in allen Umfragen

Hätten die Mitglieder schon 2018 und Anfang 2021 entscheiden können, wäre Merz längst Parteivorsitzender. Denn er verkörpert stärker als seine Konkurrenten den Wunsch der Basis nach einem Parteichef, der klare Kante zeigt. Dieser Wunsch dürfte in Opposition zu Rot-Grün-Gelb beziehungsweise „Linksgelb“ noch stärker geworden sein.

Alle Umfragen zeigen, dass Merz der Favorit ist – in der Bevölkerung insgesamt wie bei den CDU-Wählern. Seriöse Umfragen unter den 400.000 Mitgliedern gibt es nicht. Da diese aber als konservativer eingeschätzt werden als die CDU-Wählerschaft, spricht sehr viel für ein starkes Abschneiden von Merz.

Bei den drei Video-Chats mit den Kandidaten hielt sich das Interesse der Mitglieder in Grenzen. Laut CDU-Homepage wurden bei dem Livestream mit Merz 13.995 Teilnehmer registriert, bei Röttgen 3.549 und bei Braun 1.417. Die Moderatorin der Gespräche sprach bei Merz indes von 10.000, bei Röttgen von 6000; bei Braun sagte sie zur Beteiligung gar nichts. Ob dahinter Absicht steckte oder ob das ein Beleg für die notwendige digitale Aufrüstung des Parteiapparats war? In diesem Punkt dürfte das Kandidaten-Trio ganz sicher unterschiedlicher Meinung sein.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 27. November 2021)


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