15.09.2021

Olaf Scholz und Klartext – das passt einfach nicht zusammen

Das war „Klartext, Herr Scholz!“, moderiert Peter Frei die ZDF-Wahlsendung am Dienstagabend ab und fügt hinzu „soweit wie möglich.“ In der Tat: Den Begriff Klartext und den Namen des SPD-Kanzlerkandidaten in einem Satz unterzubringen, ist höchst riskant, sehr irreführend, genaugenommen beides. Wenn Olaf Scholz in diesem Wahlkampf etwas nicht macht, dann heikle Fragen klar und eindeutig beantworten. Sein Wortschatz umfasst zweifellos auch die Worte ja und nein. Aber bei kniffligen Fragen von Olaf Scholz Klartext-Antworten zu bekommen – das ist einfach nicht möglich.

Wer sich und seine Partei aus scheinbar aussichtsloser Lage in die „Pole Position“ gebracht hat, will in den letzten elf Tagen vor der Wahl nichts mehr riskieren, nichts Unbedachtes von sich geben, die gute Ausgangslage nicht durch Fehler gefährden. Aber im Grunde verlangt der „Kein-Klartext-Scholz“ von den Wählern, ihm einfach zu glauben, dass er von allem, was in seinem Verantwortungsbereich passiert, nichts Genaues weiß oder jedenfalls nicht verantwortlich dafür ist. Das gilt zum Beispiel für die Wirecard-Pleite, für die staatsanwaltlichen Ermittlungen bei der Sondereinheit gegen Geldwäsche, für die Ermittlungen gegen seinen Staatssekretär und Wahlkampfmanager Wolfgang Schmidt.

Wirecard: Die Wirtschaftsprüfer haben es verbockt

Beispiel eins: Eine durch die Wirecard-Betrügereien geschädigte Anlegerin will wissen, warum er als Finanzminister ersten Gerüchte über Unregelmäßigkeiten nicht nachgekommen sei? Scholz benennt die Schuldigen: die Wirtschaftsprüfer. Auf das Versagen der ihm unterstellten Bankenaufsicht Bafin geht er nicht ein. Auf die Frage nach seiner Verantwortung für die herben Verluste vieler Kleinanleger und Sparer, die von Wirecard um ihr Vermögen betrogen wurden, weicht er aus. Ein ja oder nein kommt ihm nicht über die Lippen.

Scholz-Staatssekretär Schmidt „twittert viel“

Beispiel zwei: Seinem wichtigsten Vertrauten, Finanzstaatssekretär Schmidt, wird von der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, wichtige Teile des Beschlusses zur Durchsuchung des Finanzministeriums widerrechtlich veröffentlicht zu haben. Der Jurist Scholz sieht sich nicht in der Lage, dazu klar Position zu beziehen, eiert stattdessen herum: „Der Staatssekretär twittert viel“. Aber da er selbst „mit noch ein paar anderen Dingen beschäftigt“ sei, könne er das nicht beurteilen. Ein klassischer Scholz.

Rot-Grün-Rot: Man weiß ja nie…

Beispiel drei: Die Frage nach Rot-Grün-Rot. Er solle endlich mit der Sprache rausrücken, ob er mit der Linkspartei koalieren werde oder nicht, will ein Bürger wissen. Das wüssten viele andere Wähler ebenfalls gerne. Scholz speist den Fragesteller mit seiner Standard-Antwort ab, das entscheide der Wähler. Wobei allenfalls Bürger, die von Politik absolut nichts verstehen, der Ansicht sein dürften, mit dem Wahlergebnis stehe auch die künftige Regierungskoalition fest. Das wird bei dem zu erwartenden neuen Bundestag mit sechs Fraktionen kaum der Fall sein. Aber Scholz will halt die Tür zur Linkspartei keinesfalls zuschlagen. Man weiß ja nie, wen man auf dem Weg ins Kanzleramt noch brauchen könnte. Immerhin räumt Scholz auf Nachfrage ein, dass nicht er allein entscheiden werde, mit wem die SPD im Fall des Falles regiere. Zweifellos werden da führende SPD-Linke wie die Ko-Vorsitzende Saskia Esken und ihr Vize Kevin Kühnert ein Wort mitzureden haben. Dass sie Rot-Grün-Rot nicht gegen den Willen von Scholz zustande bringen würden, versteht sich von selbst. Aber niemand weiß, ob Scholz das sogenannte „progressive Bündnis“ scheitern lassen würde. Denn ja und nein sind für den SPD-Kanzlerkandidaten in dieser Frage unaussprechliche Fremdworte.

Ein Großmeister im Ausweichen

Scholz präsentiert sich im ZDF nicht nur als Klartext-Vermeider; er ist auch ein Großmeister im Ausweichen. Ein Schreinermeister will wissen, wie er nach den Steuererhöhungen unter einem SPD-Kanzler und nach Zahlung der dann wieder erhobenen Vermögensteuer noch weiter investieren kann. Als Antwort erhält er zunächst eine Abhandlung über die aus Scholz‘scher Sicht falschen Steuerpläne der Union. Dann versichert ihm der Finanzminister, Investitionen in Maschinen seien von Steuererhöhungen nicht betroffen, denn die könne man abschreiben. Was Scholz großzügig verschweigt: Wenn die notwendigen Finanzmittel für Investitionen fehlen, helfen auch keine höheren Abschreibungssätze.

Nie sollst Du mich befragen …

Als Olaf Scholz sich 2011 daran machte, die zerstrittene Hamburger SPD wieder zur stärksten Partei zu machen, verkündete er, „wer Führung bestellt, der kriegt sie auch.“ So hat er auch die Hansestadt regiert. Zehn Jahre später kann man bei Scholz zwar Antworten bestellen, bekommt sie aber nur auf einfache Fragen: Mindestlohn von 12 Euro als Antwort auf soziale Ungerechtigkeit, Grundsicherung gegen Altersarmut, eine verschärfte Mietpreisbremse gegen steigende Mieten, höhere Steuern zur Finanzierung aller Wahlversprechen. Ansonsten handelt er – bewusst oder unbewusst – nach dem aus der Wagner-Oper „Lohengrin“ entliehene Grundsatz: „Nie sollst Du mich befragen.“

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 15. September 2021)


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