22.07.2021

Die Flutkatastrophe hilft den Grünen, aber nicht Baerbock

Darin waren sich alle politischen Beobachter einig: Wenn der Sommer richtig heiß wird, haben die Grünen ein Thema. Jetzt ist der Sommer zunächst einmal sehr nass geworden. Das hilft den Grünen ebenso. Auch wenn es makaber klingt: Die Flutkatastrophe ist Wasser auf die Mühlen der Öko-Partei. Ihr zentrales Anliegen, der Kampf gegen den Klimawandel, rückt wieder in den Mittelpunkt der politischen Auseinandersetzung.

Was über die Menschen in großen Teilen Nordrhein-Westfalens und Rheinland-Pfalz vor einer Woche hereingebrochen ist, ist noch zu frisch, um sich in der politischen Stimmung niederzuschlagen. Auch ist schwer abzuschätzen, wie lange und wie stark das, was vielen Menschen an Schrecklichem widerfahren ist, die Bürgen fernab der Krisenregionen beschäftigt und beeinflusst.

In den Umfragen hat Baerbock nicht zugelegt

Die ersten nach den schrecklichen Überschwemmungen durchgeführten Befragungen von INSA und Forsa haben jedenfalls keine gravierenden Veränderungen ergeben. Die CDU/CSU liegt weiterhin mit großem Abstand vor den Grünen und der SPD auf Platz eins, wenngleich die Union bei Forsa wieder unter die 30 Prozent-Marke abgerutscht ist. Zugleich wurde der Abwärtstrend der Grünen gebremst. Sie behaupten sich in beiden Erhebungen knapp vor der SPD.

Den Grünen kommt zugute, dass ihr Thema, das Klima, derzeitig wichtiger erscheint als die Frage nach den besten Konzepten für die Bewältigung der wirtschaftlichen Schäden der Pandemie und die Modernisierung des Landes. Jedenfalls sind die peinlichen Enthüllungen über den aufgebauschten Lebenslauf ihrer Kanzlerkandidatin, ihre vergessenen Sonderzahlungen und ihr in großen Teilen abgeschriebenes Buch aus den Schlagzeilen.

Allerdings sind die Zweifel an der Kanzlertauglichkeit der „Völkerrechtlerin“ Annalena Baerbock geblieben. Bei der Frage nach der Kanzlerpräferenz ist die einst hoch gehandelte Grüne zurückgefallen. In der aktuellsten Forsa-Erhebung liegt sie mit 17 Prozent nahezu gleichauf mit Olaf Scholz (SPD/16 Prozent). 23 Prozent würden sich, falls der Kanzler direkt gewählt werden könnte, für Armin Laschet entscheiden. Auffällig ist, dass die Grünen ihre Kanzlerkandidatin nicht mehr groß herausstellen. Sie setzen lieber auf das Spitzenduo mit Robert Habeck und die ökologische Kompetenz der ganzen Partei.

Steinmeier-Lacher wird unterschlagen und hilft Laschet nicht

Eigentlich hätten der Starkregen und die Überschwemmungen Laschet und der CDU/CSU nutzen können. Schließlich boten sie dem Regierungschef des stark betroffenen Landes Nordrhein-Westfalen die Chance, sich als Krisenmanager zu bewähren. Bekanntlich sind Ausnahmesituation immer die Stunde der Exekutive. Laschet hat diese Chance indes verspielt. Nicht, weil das Krisenmanagement seiner CDU/FDP-Koalition unzureichend gewesen wäre. Vielmehr hat der CDU-Kandidat mit seiner Lacheinlage während einer Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sich selbst in Misskredit gebracht.

Dass der Bundespräsident bei Laschets Rede ebenfalls sehr lustig war, hilft dem CDU-Mann nicht. Die meisten Medien unterschlugen dies und richteten ihre scharfe Kritik an dem unangemessenen Verhalten allein gegen Laschet. Plötzlich wurde ihm die Kanzlertauglichkeit abgesprochen. In den sogenannten sozialen Medien schwappte unter dem Hashtag „Laschet lacht“ eine regelrechte Hasswelle über ihn herein. Freilich ist das, was auf Twitter oder Facebook so alles abgesondert wird, keineswegs repräsentativ für die Wählerschaft. Dort dominieren vielmehr die Fans von Linksgrün, gefolgten von den Kameraden aus der AfD-Blase.

Scholz stellt vollmundig Millionen „bereit“ – ohne Kabinettsbeschluss Für Olaf Scholz und die SPD hat die Flutkatastrophe nicht viel verändert oder gar verbessert. Der Kanzlerkandidat war gleich vor Ort und versprach den Betroffenen viel Geld. Es waren betont sachliche, seriöse Auftritte. Damit folgte er seiner bisherigen Linie: Schon bei der Bekämpfung der Pandemie-Folgen präsentierte sich der Bundesfinanzminister als Krisenmanager, der quasi im Alleingang Geld beschafft und jeden halbwegs begründeten Wunsch locker finanziert.

Natürlich spielt er als Herr über die Bundeskasse eine wichtige Rolle. Doch letztlich braucht Scholz für seine Ausgabenprogramme die Zustimmung des Kabinetts, gegebenenfalls auch die des Parlaments. Das führt dann zu so paradoxen Situationen wie am Wochenende, als Scholz vollmundig Millionen „bereitstellte“. Ohne Kabinettsbeschluss – also ohne die Minister von CDU und CSU – könnte Scholz seine Versprechungen nicht einhalten. Die Wähler jedenfalls scheint Scholz in seiner Rolle als Geldbeschaffer nicht so recht überzeugen zu können. Die SPD rangiert weiterhin deutlich unter 20 Prozent und hinter den Grünen.

Klimaschutz steigt nur leicht im öffentlichen Themen-Ranking

66 Tage vor der Wahl ist noch nicht klar, ob die Unwetterkatastrophe an Ahr und Rur dem Wahlkampf eine völlig neue Wendung geben, ob das Wahlergebnis am 26. September mit den Umfragen von gestern und heute noch etwas zu tun haben wird. Wie schnell die zugesagten „unbürokratischen“ Hilfen kommen werden, wird außerhalb der betroffenen Gebiete kein großes Interesse finden. Man sollte nie unterschätzen, wie kurz das Gedächtnis vieler Menschen ist, wenn es nicht gerade um den eigenen Geldbeutel geht.

Die Frage, ob staatliche Stellen – und wenn ja, welche – die Bürger hätten warnen können und müssen, eignet sich kaum als Wahlkampfthema. Zum einen wird sich das nicht in so kurzer Zeit klären lassen. Zum anderen sind Union, SPD und Grüne im Bund und in den Ländern an vielen Regierungen beteiligt. Folglich kann keine Partei ernsthaft eine andere zur Alleinschuldigen für Defizite beim Katastrophenschutz und bei den Warnsystemen erklären. Zudem kann niemand behaupten, dem seit 2017 von Schwarz-Gelb regierten Nordrhein-Westfalen seien größere Versäumnisse vorzuwerfen als Rheinland-Pfalz, wo seit 30 Jahren die SPD die Ministerpräsidenten und die Grünen seit zehn Jahren die Umweltministerinnen stellen.

Entscheiden die jüngsten Unwetter, wer Deutschland in den nächsten vier Jahren regiert? Bei der Nuklearkatastrophe in Fukushima vor zehn Jahren war der Einfluss auf zwei Landtagswahlen deutlich. In Baden-Württemberg wurden die Grünen dank der Anti-Kernkraftwelle erstmals stärkste Partei, in Rheinland-Pfalz konnte Rot-Grün die Ablösung durch die CDU gerade noch abwehren. Allerdings gibt es einen entscheidenden Unterschied: Unsere Kernkraftwerke konnten wir im Alleingang stilllegen, das Weltklima können wir hingegen nicht aus eigener Kraft retten. Selbst wenn Deutschland bereits klimaneutral wäre, wären wir vor schweren Unwettern und viel zu heißen Sommern nicht sicher. Bleibt offen, wie viele Wähler das nüchtern betrachten und bewerten. Und wie viele der Meinung sind, Deutschland müsste dem Rest der Welt in der Klimapolitik den richtigen Weg weisen. Einer Civey-Umfrage zufolge gibt nur jeder Dritte an, die Klimapolitik sei aufgrund der jüngsten Entwicklungen für die eigene Wahlentscheidung im September wichtiger geworden ist. Anders ausgedrückt: Für zwei Drittel hat sich – Stand heute – nichts geändert.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 22. Juli 2021)


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