07.05.2021

Die Witwe verweigert ihren „Segen“ zur Kohl-Stiftung

Maike Kohl-Richter, die streitbare Witwe Helmut Kohls, verkündete am Donnerstag auf ihrer Homepage: „In meiner Funktion als Erbin und Witwe Helmut Kohls habe ich dem Vorhaben nicht zugestimmt“. Gemeint war das Gesetz zur Errichtung einer „Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung“, das der Bundestag mit den Stimmen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grünen verabschiedete – bei Enthaltung der AfD.

Ob die Erbin zustimmt oder nicht, war insofern belanglos, als Kohl-Richter dem Bundestag nicht angehört. Das war auch förderlich für den Ablauf der 2. und 3. Lesung des von der GroKo eingebrachten Gesetzentwurfs. Denn Kohl-Richter hatte am Tag vor der Beschlussfassung über ihre Anwälte eine umfängliche Presseerklärung abgegeben – elf eng beschriebene Seiten. Diese vorzulesen hätte gut und gerne 40 Minuten gedauert; für die Debatte unter der Reichstagskuppel waren aber nur 25 Minuten angesetzt.

Formal steht die Stiftung, konstruiert wie die ebenfalls vom Bund getragenen und finanzierten Stiftungen für Willy Brandt und Helmut Schmidt. Ihre Aufgabe ist es unter anderem, in Berlin eine öffentlich zugängliche Erinnerungsstätte zu errichten, wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeiten zu bieten und die Forschung über Kohls Wirken zu fördern. Freilich kann die Stiftung Wissenschaftlern und Publizisten vorerst keinen Zugang zum politischen Nachlass des Kanzlers der Einheit gewähren.

Denn der größte Teil der Akten lagert im Keller von Kohls Bungalow im Ludwigshafener Stadtteil Oggersheim, sozusagen bewacht von der Witwe. Diese denkt offenkundig nicht daran, diese Unterlagen – angeblich rund 400 Ordner mit 200.000 Blatt – der Stiftung zu übergeben. Im Gegenteil: Kohl-Richter plant ihre eigene Stiftung. Kohls Wohnhaus, in dem sie selbst lebt, soll teilweise zu einem Museum werden. Auf dem Nachbargrundstück, das sie bereits erworben hat, ist ein Gebäude für ihre Privatstiftung geplant. Auf diese Weise will sie vor allem eines sicherstellen: dass sie beim Umgang mit dem Nachlass das letzte Wort hat.

Die „sogenannte Spendenaffäre“

In der elfseitigen Presseerklärung wird das eigentliche Anliegen von Kohl-Richter deutlich: Die Stiftung soll eine aus ihrer Sicht klare Ausrichtung bekommen, soll den Altkanzler von all den Anschuldigungen im Zusammenhang mit der Spendenaffäre reinwaschen. Das deutet schon die Wortwahl an: Durchgehend ist von der „sogenannten Spendenaffäre“ die Rede, als habe es die schwarzen Kassen nie gegeben. Für die Witwe, das wird aus der Presseerklärung deutlich, war Kohls Verstoß gegen das Parteienfinanzierungsgesetz allenfalls eine Petitesse. Skandalös war aus ihrer Sicht eher die Art und Weise, wie die Medien und die anderen Parteien Kohls Verhalten kritisiert haben. Vor allem erbost sie, dass selbst die CDU damals von ihrem einstigen Idol abgerückt ist. Es war für Kohl sicher eine seiner bittersten Stunden, als er unter dem Druck der neuen Parteiführung den Ehrenvorsitz der Partei abgeben musste. Privat spricht Kohl-Richter von der damaligen CDU-Vorsitzenden Angela Merkel nur als „Verräterin“.

Die Witwe traut der CDU nicht über den Weg

Nun sind seitdem mehr als zwei Jahrzehnte ins Land gegangen. Die CDU ist längst wieder stolz auf ihren Einheitskanzler und Ehrenbürger Europas. Das zeigt sich schon daran, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion die Initiative für die Stiftung ergriffen hat. Ihr Fraktionsvorsitzender Ralf Brinkhaus wollte Kohl-Richter durchaus Einfluss auf die Stiftung einräumen: Sie sollte lebenslänglich Mitglied in dem aus fünf Mitgliedern bestehenden Kuratorium sein. Dafür gibt es zwei Vorbilder: Brandts Witwe Brigitte Seebacher-Brandt und Schmidts Tochter Susanne arbeiten in den Kuratorien der jeweiligen Stiftungen mit, was eigentlich selbstverständlich sein sollte. Aus Kohl-Richters Verhalten wird eines deutlich: Sie traut der CDU nicht über den Weg. Offenbar wünscht sie sich eine CDU, die ihren alten und sehr erfolgreichen Anführer Kohl völlig unkritisch betrachtet, ihn geradezu verklärt. Deshalb stellte seine Witwe Vorbedingungen für ihre Mitarbeit in der Stiftung. In der Sprache des Kalten Krieges forderte sie von der Partei „vertrauensbildende Maßnahmen.“ Sie habe, so stellen es ihre Anwälte dar, dafür geworben, dass „die CDU mit einer ehrlichen, auch internen Aufarbeitung und Einordnung der Ereignisse ab Herbst 1999 zunächst ihr Verhältnis zu Helmut Kohl klären möge.“ Die CDU hätte also nach Kohl-Richters Vorstellungen zunächst einmal schwören müssen, dass Kohl ein Über-Kanzler ohne Fehl und Tadel gewesen sei. Nur unter diesen Umständen hätte die Partei ihre Zustimmung zum Stiftungsgesetz erwarten können. Wie Kohl-Richter sich selbst einschätzt, offenbart eine Formulierung aus der Presseerklärung: Die CDU habe „den Segen der Witwe“ für das Stiftungskonzept „erwirken“ wollen.

Verräterische Wortwahl

Kohl-Richter und ihre Anwälte berufen sich auf Helmut Kohls Wünsche bei der wissenschaftlichen Aufarbeitung seiner Kanzlerschaft. Demnach sei es „der letzte Wille Helmut Kohls“ gewesen, „seine Erbin und Witwe inhaltlich-konzeptionell einzubeziehen und ihre mit ihm abgestimmten Vorstellungen und Überlegungen zu berücksichtigen und auch Bedenken ernst zu nehmen.“ Das aber habe die CDU partout nicht berücksichtigen wollen.

Die Wortwahl lässt erahnen, wie sehr Kohls zweite Ehefrau von sich selbst überzeugt ist. Es geht beim Umgang mit Kohls politischem Nachlassen nicht etwa um dessen Pläne und Wünsche, sondern um „ihre mit ihm abgestimmten Vorstellungen.“ Das Auffällige dabei: Kohl hat nichts Schriftliches hinterlassen, aus dem hervorginge, wie er sich den Umgang mit dem Nachlass gewünscht hätte. Das ist insofern überraschend, als Kohl nach dem Tod Willy Brandts in engem Kontakt mit Brigitte Seebacher-Brandt stand, als es um die Regelung des Nachlasses ging. Was Maike Kohl-Richter heute als letzten Willen des Verstorbenen darstellt, kann den Wünschen Helmut Kohls entsprechen – oder auch nicht.

In der Bundestagsdebatte um das Stiftungsgesetz erwähnte nur die Rednerin der Linken die Unstimmigkeiten zwischen Kohls Partei und Kohl-Richter. Simone Barrientos brachte es auf den Punkt: „Helmut Kohls Witwe lehnt die Stiftung ab – die Linke nicht.“ Und fügte hinzu: „Das Theater muss aufhören.“ Das dürfte ein frommer, besser: ein sozialistischer Wunsch bleiben. „Das Theater“ dürfte nämlich erst richtig losgehen. Schließlich kann die Bundesstiftung nicht auf Kohls Akten, Briefe und sonstigen Dokumente verzichten. Ohne diese Unterlagen bliebe sie eine leere Hülle. Wissenschaftler, die sich ernsthaft mit der Person und Politik des Altkanzlers auseinandersetzen wollen, wären ohne dessen Briefwechsel, Vermerke, Protokolle und Entwürfe arm dran.

Amtliche Akten im „Privatarchiv“

Helmut Kohl hat nach dem Ausscheiden aus dem Kanzleramt einen großen Teil seines Nachlasses dem Archiv der Konrad-Adenauer-Stiftung übertragen. Später hat er dieselben Unterlagen wieder leihweise nach Ludwigshafen bringen lassen, weil er sie für die Abfassung seiner Memoiren benötigte. Seither liegen sie dort, und kein Wissenschaftler oder Journalist hat auch nur den Hauch einer Chance, sie zu nutzen. Angeblich erlaubt Kohl-Richter einigen wenigen, ihr nahestehenden Personen gelegentlich einen Blick in diesen zeithistorisch wertvollen Schatz.

Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat bisher keine Schritte unternommen, die ausgeliehenen Unterlagen wieder zurückzubekommen. Ein Rechtsstreit der parteinahen Stiftung mit Kohls Witwe wäre sicher keine „vertrauensbildende Maßnahme“ gewesen. Das Bundesarchiv, das Anspruch auf die regierungsamtlichen Dokumente hat, hat bisher ebenfalls noch nicht auf gerichtlichem Weg versucht, die Interessen der Bundesrepublik an den Unterlagen durchzusetzen. Nach Errichtung der Stiftung und Kohl-Richters Verweigerung jeder Zusammenarbeit könnte die Gefechtslage jedoch eine andere sein. Dass es für den Bund nicht einfach sein wird, an die Unterlagen heranzukommen, ergibt sich aus der Presseerklärung. Darin werden die Aktenordner im Kohlschen Keller als „hier angesiedeltes Privatarchiv bezeichnet.“ Mit anderen Worten: Kohl-Richter fühlt sich als Herrscherin über alle Unterlagen – eine aus der Sicht von Politikwissenschaftlern und Zeitgeschichtlern beängstigende Vorstellung.

„Das Theater“ um Kohls Nachlass wird weitergehen – zum Nachteil des Verstorbenen

Maike Kohl-Richter liegt sehr daran, dass das Bild Helmut Kohls nicht auf die Spendenaffäre reduziert wird, dass seine unbestreitbaren Leistungen bei der Wiedergewinnung der deutschen Einheit wie beim Bau des Hauses Europa fair bewertet werden. Das ist verständlich, aus sehr menschlichen wie aus politischen Gründen. Der Kern der Auseinandersetzung ist jedoch ein anderer. Kohl-Richter will unbedingt bei der Bewertung von Kohls Wirken die führende Rolle spielen. Es drängt sie geradezu in die Öffentlichkeit – als oberste Richterin über Leben und Werk Helmut Kohls.

„Das Theater“ wird also weitergehen. Dass dabei das Ansehen Helmut Kohls in Mitleidenschaft gezogen wird, liegt auf der Hand. Das bedauern viele in der CDU. Seine Witwe nimmt es bei ihrem Feldzug billigend in Kauf.

(Veröffentlicht auf www.cicero.de am 7. Mai 2021)


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