29.03.2021

Merkel bei Will: ein Plausch unter guten Bekannten

Stellen wir uns vor, Anne Will wäre gestern Abend – aus welchen Gründen auch immer – ausgefallen, Angela Merkel hätte allein im Studio gesessen und einfach drauflos plaudern können. Der Erkenntnisgewinn wäre kein anderer gewesen als nach einer Stunde „Anne Will“ im Ersten mit Anne Will: Die Lage ist ernst, die Pandemie ist eine große Herausforderung, Bund und Länder müssen sich immer wieder zusammenraufen, nicht alles ist perfekt gelaufen, aber Deutschland hat auch keinen Grund, in Sack und Asche zu gehen. Das waren die Kernbotschaften der Kanzlerin – und die Moderatorin störte bei der Verkündigung nicht.

Kein Kreuzverhör, kein hartes Interview

Merkel hat sich schon öfter von Anne Will interviewen lassen, wenn sie der Bevölkerung die Lage erklären wollte, als es um die Euro-Rettung ging oder in der Flüchtlingskrise. Das ist aus der Sicht des Kanzleramts klug, denn bei Will erwartet Merkel kein Kreuzverhör, kein hartes Interview, kein beharrliches Nachfragen, keine ständigen Hinweise auf Ausweichmanöver oder das Wegducken bei kniffeligen Themen. Nein, wenn Anne Will und Angela Merkel im Wohnzimmer der Nation zusammensitzen, dann ist das eher ein Gespräch unter guten, einander wohl gesonnenen Bekannten, bei dem das Verständnis der Gastgeberin für die Gästin, wie Will wohl sagen würde, ungleich größer ist als ihr Wunsch, auf Widersprüche hinzuweisen oder gar auf Fehler.

Schon in Minute eins wusste man, dass Wills Sympathien für Merkel größer sind als ihre Neugier, von journalistischem Jagdfieber ganz zu schweigen. Die Gastgeberin erinnerte an der Kanzlerin Bitte um Verzeihung für das Osterruhe-Desaster und fügte gleich hinzu, dieser Schritt habe Merkel „zu Recht großen, großen Respekt eingebracht“. Da war der Ton gesetzt, und man hätte sich getrost mit einem guten Getränk anderen Programmen zuwenden können. Anne Will deutete halbherzig an, dass Merkel vielleicht auch für andere Fehler – die vielen Toten in den Altenheimen oder das Impfdesaster – um Verzeihung bitten könnte und müsste. Doch Merkel ließ das in gewohnter Manier an sich abperlen – und Will nahm es hin. Da erinnert sie an eine verständnisvolle Therapeutin und weniger an eine hartnäckige Interviewerin oder gar an eine auf Geständnisse erpichte Staatsanwältin.

Merkel nutzt geschickt die TV-Bühne

Die Kanzlerin nutzte die TV-Bühne mit Hilfe ihrer Assistentin Will geschickt, verwies darauf, dass sie mit ihrem Ruf nach härteren Beschränkungen nicht falsch gelegen habe, aber an den Ministerpräsidenten gescheitert sei. Sie machte auch den Arbeitgebern klar, dass diese ihre Mitarbeiter zwei Mal in der Woche zu testen hätten, sonst würden sie per Gesetz dazu gezwungen. Den Ministerpräsidenten las sie ebenfalls die Leviten. Was beschlossen worden sei, müsse umgesetzt werden, insbesondere die Notbremse bei einer Inzidenz von mehr als 100. Zugleich gab sie sich kämpferisch: Verpflichtendes Homeoffice, verpflichtendes Testen und strikte Kontaktbeschränkungen seien „entschieden durchzusetzen“. Das klang nach einer Verschärfung des Lockdowns, nicht nach einer Lockerung nach Ostern. In typischer verschwurbelter Merkel-Diktion klang das so: „Es wird dazu kommen, dass wir das Richtige tun.“ Na dann.

Einen Rüffel für Laschet

Anne Wills Sympathien für Merkel erstrecken sich freilich nicht auf die CDU. So bringt sie die ehemalige CDU-Vorsitzende dazu, dem derzeitigen CDU-Vorsitzenden und NRW-Ministerpräsidenten Armin Laschet einen Verstoß gegen die Notbremsen-Regelung zu attestieren. Man kann auch von einem Rüffel sprechen. Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) bekommt ebenfalls über die ARD mitgeteilt, dass es keine Grundlage für seine Lockerungsübungen gebe. Zum Ausgleich rügt Merkel ebenso Berlins Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD). Die Kanzlerin kennt eben keine Parteien mehr, sondern nur richtig und falsch handelnde Ministerpräsidenten.

Anne Will erspart Merkel nicht den Hinweis, dass die CDU in den Umfragen inzwischen auf 25 Prozent abgestürzt sei, was die CDU ja das Kanzleramt kosten könne. Das pariert Merkel locker: Die CDU habe ja „keinen Rechtsanspruch auf das Kanzleramt.“ Viel mehr Distanz zur eigenen Partei ist sechs Monate vor einer Bundestagswahl kaum möglich. Und die Moderatorin schien mit dieser Antwort sehr zufrieden – wie mit fast allen anderen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 29. März 2021)


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