06.03.2021

Auch Habeck spielt in „Neues aus der Anstalt“ mit

Die Krise ist die Stunde der Regierung – falls sie es schafft, das Notwendige zu tun. Da die Bundesregierung in dieser Pandemie schon länger nicht mehr wie eine Handelnde, sondern wie eine Getriebene wirkt, weil es bei der Impfstoffbeschaffung ebenso hapert wie beim Impfen, weil die notwendigen Schnellteste nicht verfügbar sind und die Menschen Corona-müde sind, hat es die Opposition leicht. Das sieht man an den Umfragewerten: FDP und AfD, beide auf Konfrontationskurs zur GroKo, haben sich stabilisiert, könnten bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz besser abschneiden, als noch vor wenigen Wochen zu erwarten war.

In Zeiten wie diesen ist Opposition also nicht länger „Mist“, wie der frühere SPD-Vorsitzende Franz Müntefering meinte, sondern das reine Wohlfühlbad. Dieses wohlige Gefühl versucht Robert Habeck zu genießen, der Co-Vorsitzende der Grünen und ihr möglicher Kanzlerkandidat. Warum sollen nur Liberale und die Rechtsaußen vom Corona-Frust profitieren, dachte er sich, und zerpflückte die jüngsten Corona-Beschlüsse mit Wonne.

Opposition kann Spaß machen

Im Deutschlandfunk ätzte der Obergrüne: „Jetzt einen Arbeitskreis zu gründen, um dann die Tests für den April zu besorgen – ich meine, das ist fast wie Neues aus der Anstalt, oder? Muss ich dazu noch was sagen?“ Und im ZDF stellte er süffisant fest, die Tests, die Gesundheitsminister Jens Spahn nicht besorgen konnte, lägen von Samstag an bei Aldi. "Amateurhaft", sei das, und „verantwortungslos“.

Ja, Opposition kann Spaß machen. Wobei Habeck, der beispielsweise nicht so genau weiß wie die Entfernungspauschale konzipiert ist und ob die Bafin Banken oder Handwerksbetriebe prüft, irgendwie vergessen zu haben scheint, dass er gar kein richtiger Oppositioneller ist. Im Bundestag sind die Grünen zweifellos in der Opposition. Dennoch haben sie bisher alle wesentlichen Corona-Beschlüsse mitgetragen. Auch am Donnerstag stimmten die grünen Bundestagsabgeordneten mit CDU/CSU und SPD, als das Parlament eine anhaltende „epidemische Lage von nationaler Tragweite“ feststellte, was dem Bund besondere Befugnisse gibt.

Die Grünen regieren in 11 Ländern mit

Nun gehört Habeck nicht dem Bundestag an. Aber als Parteivorsitzender dürfte er schon wissen, dass seine Partei in der Corona-Politik im Grunde zum Regierungslager zählt. Die Grünen sitzen in elf von 16 Landesregierungen und sind somit in den Bund-Länder-Runden vertreten. Zudem stellen die Grünen drei Gesundheitsminister (Baden-Württemberg, Brandenburg, Hessen) und mit Winfried Kretschmann sogar den Ministerpräsidenten in Stuttgart. Selbst ohne Regierungsbeteiligung im Bund haben die Grünen also viele Hebel, um in der Corona-Politik einiges zu bewegen. Aber sie bewegen diese höchst unterschiedlich. Als Teil der schleswig-holsteinischen Jamaika-Koalition sind die Grünen für möglichst viele Lockerungen, in der grün-schwarzen Koalition im Südwesten fahren sie eher einen vorsichtigen Kurs.

Die erfolgreiche Corona-Strategie von Palmer ist den Grünen eher peinlich

Wenn Habeck zeigen wollte, dass Grünen-Politiker bessere Krisenmanager sind als Gesundheitsminister Jens Spahn, könnte er auf die Erfolge seines Parteikollegen Boris Palmer verweisen. Der Tübinger Oberbürgermeister hat viel früher als andere auf „testen, testen, testen“ gesetzt und die älteren Bürger mit ausgeklügelten Maßnahmen geschützt. Aber Palmers Erfolg will sich kein Grüner ans Revers heften. Denn der streitbare Kommunalpolitiker ist in den eigenen Reihen zum Buhmann geworden – politisch häufig nicht korrekt, zu fern der grünen, großstädtischen, bildungsbürgerlichen Schickeria. Deshalb taugt Palmer nicht als Beispiel für grüne Corona-Politik – jedenfalls nicht aus Sicht von Hauptstadt-Grünen wie Habeck.

Habeck hat ja Recht: Die Große Koalition hat viele Fehler gemacht, zu viele. Aber die Grünen und Habeck stehen in der Corona-Sondersendung von „Neues aus der Anstalt“ mit auf der Bühne – in tragenden Rollen.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 5. März 2021)


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