26.02.2021

Rentenpolitik der GroKo: Vier verlorene Jahre

Nein, in der Rentenpolitik war die Große Koalition in den vergangenen dreieinhalb Jahren nicht untätig. Wie zwischen CDU/CSU und SPD vereinbart, wurde unter anderem die Grundrente für langjährig beschäftige Arbeitnehmer mit geringem Einkommen eingeführt, die Mütterrente für Eltern von vor 1992 geborenen Kinder angehoben, die Erwerbsminderungsrente verbessert und das Rentenniveau von 48 Prozent des durchschnittlichen Einkommens (bei 45 Beitragsjahren) bis 2025 festgeschrieben. So gesehen kann sich der rentenpolitische Arbeitsnachweis der GroKo sehen lassen.

Allerdings waren sich Union und SPD von vornherein bewusst, sich über grundlegende Veränderungen in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht einigen zu können. Deshalb wurden tiefgreifende Veränderungen ausgeklammert und als Ersatz eine Reformkommission für einen „verlässlichen Generationenvertrag“ berufen. Was das von Union und SPD, Arbeitgebern und Gewerkschaften sowie Wissenschaftlern schön ausgewogen besetzte Expertengremium ablieferte, war indes keine Überraschung: Das Umlageverfahren, mit dem die Arbeitnehmer von heute die Rentner finanzieren, soll im Grundsatz nicht angetastet werden. Weil man sich nicht darauf verständigen konnte, ob nicht eine Verlängerung der Lebensarbeitszeit notwendig wäre, schob die Kommission diese Aufgabe an einen noch zu bildenden neuen Arbeitskreis ab, den „Alterssicherungsbeirat“.

Die schwierigen Fragen wurden ausgeklammert

Bleibt festzuhalten: Diese Regierung hat das zentrale Problem der Rentenversicherung, die in unserer alternden Gesellschaft immer größer werdende Finanzierunglücke zu schließen, nicht ernsthaft aufgegriffen. Wenn immer weniger Beitragszahler für immer mehr Rentner aufkommen müssen, zwingt das im Kern zu einer Absenkung des Rentenniveaus, einer Erhöhung des Renteneintrittsalters, höheren Steuerzuschüssen oder einer Kombination aus allem. Andere Möglichkeiten zu höheren Einnahmen zu kommen wären die Einbeziehung von Beamten in die gesetzliche Rentenversicherung oder eine Erhöhung der Beitragsbemessungsgrenze, oberhalb der keine Beiträge mehr bezahlt werden müssen. Aktuell sind das monatlich 7100/6700 Euro (West/Ost).

Wenn ein deutliches Absinken des Rentenniveaus ebenso verhindert werden soll wie für Arbeitgeber wie Arbeitnehmer untragbar hohe Beitragssätze, sind im Rentensystem grundlegende Veränderungen notwendig. Die von vielen Wissenschaftlern geforderte Anpassung der Lebensarbeitszeit an die gestiegene Lebenserwartung würde die Kassen entlasten, gilt jedoch als unpopulär. Die SPD lehnt jede Verlängerung strikt ab, die Linke will sogar wieder zurück zum Renteneintrittsalter von 65 Jahren. CDU und FDP tendieren eigentlich zu einer längeren Lebensarbeitszeit, wollen aber mit einer solche Forderung keine Wähler abschrecken. Deshalb sprechen sich beide Parteien für flexible Lösungen aus und wollen weg vom starren Renteneintrittsalter. Das bedeutete, dass man durch ein Weiterarbeiten im Alter die Rente aufstocken kann, bei früherem Ruhestand aber Abstriche hinnehmen muss.

Die Beamten in die Rentenversicherung zwingen?

Weil sich keine Partei klar und eindeutig für längeres Arbeiten einzusetzen wagt, werden im kommenden Bundestagswahlkampf zwei rentenpolitische Fragen eine Rolle spielen, die für heftige Auseinandersetzungen sorgen dürften: Erstens: Soll die gesetzliche Rentenversicherung durch die Einbeziehung von Beamten und Selbständigen auf eine breitere finanzielle Grundlage gestellt werden? Und zweitens: Soll das Umlageverfahren durch eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt werden? Sollen also auch die Arbeitnehmer im Alter daraus Nutzen ziehen, dass die am Aktienmarkt langfristig zu erzielenden Renditen höher sind als bei jeder anderen Geldanlage?

Dass Beamte und Selbständige keine Beiträge zur Rentenversicherung abführen müssen, gilt vor allem bei SPD, Grünen und Linken als höchst ungerecht. Zumal die Beamtenpensionen deutlicher höher sind als die Renten, obwohl die Staatsdiener selbst dafür keinen Euro aufbringen mussten. Auch einige Reformer in der CDU/CSU versuchten vor einiger Zeit, einer „Erwerbstätigenversicherung“ das Wort zu reden, also unter Einschluss der Beamten, wurden aber schnell von der Bundestagsfraktion zurückgepfiffen.

Selbständige werden im Alter oft Kostgänger des Staates

Bei den Selbständigen wiederum, vor allem bei Solo-Selbständigen, kommt es immer häufiger vor, dass diese nicht fürs Alter vorsorgen. Später müssen sie dann Grundsicherung beantragen und liegen dem Staat, das heißt den Beitrags- und Steuerzahlern, auf der Tasche. Natürlich würde eine Ausweitung der Versicherungspflicht auf alle Erwerbstätigen zunächst viele zusätzliche Beiträge in die Rentenkasse spülen. Was dabei aber leicht übersehen beziehungsweise verschwiegen wird: Aus den Beiträgen von heute entstehen morgen Rentenansprüche. Das Grundproblem – zu wenige Beitragszahler, zu viele Rentenbezieher – würde dadurch nicht gelöst, sondern tendenziell verschärft.

Ebenfalls nicht geliefert hat die GroKo beim Thema Riester-Rente. Diese staatlich geförderte, private Form der Altersvorsorge leidet darunter, dass das Produkt ebenso schwer zu verstehen wie zu handhaben ist. Vor allem aber können die Anbieter aus der Versicherungswirtschaft bei Zinsen von Null nicht die Erträge erwirtschaften, um den Sparern zumindest die gezahlten Beiträge samt der staatlichen Zulagen zu garantieren. Außerdem sind die Kosten dieses Vorsorgesparens sehr hoch. Dass sich CDU/CSU und SPD hier nicht auf eine Reform einigen konnten, liegt auf der Hand. Die heutige, nach links gewendete SPD steht jeder Form kapitalgedeckter Vorsorge sehr kritisch gegenüber, obwohl es der SPD-Arbeitsminister Walter Riester in der Regierung Schröder/Fischer war, der diese kapitalgedeckte Zusatzrente erfunden hatte. Überlegungen, die von der Versicherungswirtschaft angebotene Riester-Rente durch ein staatliches Standard-Angebot zu ersetzen, stoßen dagegen bei der CDU/CSU auf wenig Gegenliebe. Diejenigen in der Union, die mit einer vom Staat angebotenen und verwalteten kapitalgedeckten Zusatzrente liebäugeln, sind deutlich in der Minderheit.

Höchst umstritten: Altersvorsorge mit oder ohne Aktien

Die Überlegungen, die gesetzliche Rentenversicherung um eine Aktien-Komponente zu ergänzen, haben jedoch durch Reformanstöße aus den Reihen der Union wie der FDP neuen Auftrieb bekommen. FDP-Rentenexperten werben für eine „gesetzliche Aktienrente“. Jeder Arbeitnehmer soll zwei Prozent seines Einkommens in dieses Vorsorgeprodukt einzahlen. Im Gegenzug soll der Beitrag zur gesetzlichen Rentenversicherung um zwei Prozentpunkte gesenkt werden. Dahinter steckt die Idee, dass die Geldanlage in Aktien im Laufe eines Arbeitslebens deutliche Gewinne verspricht, so dass die Arbeitnehmer beim Eintritt in den Ruhestand in den Genuss einer ansehnlichen Zusatzrente kommen. Allerdings fehlten der Rentenversicherung durch die Absenkung des Rentenbeitrags zunächst etwa 20 Milliarden Euro im Jahr. Die Rentenpolitiker der CDU wollen ebenfalls künftige Rentenbezieher von der langfristig stets positiven Entwicklung der Aktienmärkte profitieren lassen. Dazu soll unter dem Dach der Rentenversicherung ein Rentenfonds für Kapitalanlagen eingerichtet werden. Das Umlageverfahren würde somit durch eine kapitalgedeckte Komponente ergänzt, aber erst langfristig. Die Riesterrente soll mittelfristig so reformiert werden, dass alle Arbeitnehmer quasi automatisch in eine Zusatzversorgung auf Aktienbasis einbezogen werden. Nur wer ausdrücklich widerspricht, dem werden die Beiträge für diese Absicherung nicht vom Gehalt abgezogen. Aber auch hier sind die Vorstellungen der Reformer in der CDU noch sehr vage.

Ebenfalls auf „milden Zwang“ setzt das Konzept der Deutschlandrente, das der verstorbene hessische Finanzminister Thomas Schäfer (CDU) mit dem hessischen Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir (Grüne) schon 2015 entwickelt hat. Hier soll die Riester-Rente durch einen vom Staat verwalteten Fonds ersetzt werden. An den führen die Arbeitgeber die Beiträge ihrer Beschäftigten ab, es sei denn, ein Arbeitnehmer widerspricht ausdrücklich dieser Form der zusätzlichen, von ihm zu finanzierenden Vorsorge. Der Fonds wiederum legt diese Gelder auf Selbstkostenbasis am Kapitalmarkt an. Mit dem so bis zum Renteneintritt angesammelten Kapital wird den Arbeitnehmern dann eine Zusatzrente gezahlt. Das schwarz-grün regierte Hessen hat sein Konzept einer Deutschlandrente schon in den Bundesrat eingebracht, ist dort aber auf keine große Zustimmung gestoßen.

Vor der Wahl tut sich nichts mehr

Man muss kein Prophet sein um vorherzusagen, dass die Große Koalition bis zur Bundestagswahl in der Rentenpolitik keine Pflöcke mehr einschlagen wird. Aber bereits jetzt lässt sich feststellen, dass die zu Ende gehende Legislaturperiode rentenpolitisch aus vier verlorenen Jahren bestand. Im Wahlkampf werden die Fragen „Mit oder ohne Beamte und Selbständige?“ sowie „Mit oder ohne Kapitaldeckung“ für manche hitzige Diskussion sorgen. Nur: In der Hitze des Gefechts kann man leichter mit plakativen Forderungen als mit sachlichen Argumenten punkten – gerade beim komplexen Rententhema.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 24. Februar 2021)


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