02.07.2020

Grüne entdecken latenten Rassismus in den eigenen Reihen

Keine andere Partei ist so bunt wie die Grünen. Der frühere Parteivorsitzende Cem Özdemir, die Präsidentin des baden-württembergischen Landtags Muhterem Aras, die schleswig-holsteinische Landtagsvizepräsidentin Aminata Touré oder die behinderte Abgeordnete Katrin Langensieben (Europa) belegen die personelle Vielfalt der Ökopartei. Zudem sind die Grünen bei der Frauen-Parität allen anderen Parteien, von der „Die Linke“ einmal abgesehen, weit voraus.

Das alles reicht der „Arbeitsgemeinschaft Vielfalt“ innerhalb der Partei jedoch nicht. Sie will das Parteistatut in Richtung mehr Diversität ändern. Menschen schwarzer Hautfarbe, Homosexuelle, Behinderte und Nicht-Akademiker sollen bei den Grünen künftig bessere Chancen haben. Deshalb soll es im Bundesvorstand künftig neben der frauenpolitischen Sprecherin auch „eine*n diversitätspolitiche*n Sprecher*in“ geben. Vor allem soll die Zusammensetzung der Vorstände und Fraktionen regelmäßig mit Blick auf ihre „Diversität“ untersucht werden. Mehr Vielfalt heißt die interne Parole, von der Parteichef Robert Habeck ganz begeistert ist: „Wir werden die bessere Repräsentanz als Partei mit Hochdruck vorantreiben,“ versprach er.

Ausgerechnet bei den Grünen soll es Rassismus und Homophobie geben?

Noch überraschender als dieser parteiinterne Vorstoß kommt das Eingeständnis der Autorin und Anti-Rassismus-Trainerin Toupoka Ogette, einer Beraterin der AG Vielfalt, dass selbst die Grünen gegen Rassismus und Ausgrenzung nicht gefeit seien. Rassistische Strukturen gebe es nicht nur bei Nazis, sagt sie der „taz“. „Man blickt auf sich selbst und sagt: Wir, die Grünen, wir sind doch die Guten. Aber es gibt keine rassismusfreien Räume in Deutschland.“ Auch andere Formen der Ausgrenzung von Homosexuellen oder Behinderten seien „strukturell und institutionell tief verankert – auch bei den Grünen.“

Da reibt man sich unwillkürlich die Augen: Ausgerechnet bei den Grünen soll es Rassismus und Homophobie geben? Sind die „Ökos“ also doch gar nicht anders und gar nicht besser als die anderen Parteien? Oder gehört es vielleicht zum „Geschäftsmodell“ der grünen Vielfalt-AG, jedes Mal Ausgrenzung und Benachteiligung zu unterstellen, wenn bei der Postenvergabe weiße, heterosexuelle Männer und Frauen mit akademischer Ausbildung zum Zuge kommen? Immerhin streben selbst die Diversitätvorkämpfer*innen keine verbindliche Quote für angeblich benachteiligte Minderheiten an. Schließlich wäre es eine höchst schwierige Entscheidung, welcher Quote eine schwarze lesbische Transfrau mit Migrationshintergrund zuzurechnen ist.

Warum verzichten „weiße Akademiker*innen“ nicht einfach auf ihre Mandate?

Allerdings sollen „diskriminierte Gruppen“ innerhalb der Partei auch ohne Quote künftig „mindestens gemäß ihrem gesellschaftlichen Anteil“ vertreten sein. Was bei nüchterner Betrachtung schwierige Fragen aufwirft. Wie groß müsste eigentlich ein Bundesvorstand sein, um allen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Herkunft, ihres Aussehens, ihrer Religion, ihrer sexuellen Orientierung, ihrer Behinderung oder ihres Lebensalters vermeintlich oder tatsächlich Diskriminierten einen Sitz zu verschaffen? Und mit welchem Recht soll beispielsweise einer bestimmten Ethnie bei den Grünen eine Vertretung zugestanden werden, wenn es unter den Grünen-Mitgliedern so gut wie keine Angehörigen dieser Gruppe gibt? Um auf den Kern des Problems zu kommen: Ja, es gibt bei uns Rassismus, Antisemitismus, Homophobie und unzählige andere Arten von Herabsetzung und Ausgrenzung von Menschen – offen und latent. Wenn Mitglieder der Grünen sagen, da mache ihre Partei keine Ausnahme, dann verwundert das; zugleich nötigt einem diese Offenheit Respekt ab. Aber latenten Vorurteilen, denen Ausgrenzung folgt, lässt sich nur durch hartnäckige Aufklärung und mit guten Beispielen, nicht durch die institutionelle Bevorzugung von Minderheiten begegnen. Wollten nämlich die Grünen künftig vor allem Minderheiten auf Vorstandsposten und sicheren Listenplätzen platzieren, würde das die Mehrheit wohl nicht akzeptieren – weder bei den Mitgliedern der Grünen, noch bei ihren Wählern.

Viel wirkungsvoller als alle Satzungsänderungen wäre es, wenn eine Reihe von grünen Bundestagsabgeordneten auf ihre Listenplätze zugunsten von Vertretern angeblich unterrepräsentierter Gruppen verzichteten. Wenn es in jedem der 16 Bundesländer wenigstens einen solchen Rückzug gäbe, wäre die nächste Grünen-Fraktion noch viel diverser als die derzeitige. Das wird so aber nicht kommen, weil auch die Grünen-Abgeordneten Menschen sind, also auf Macht und Einfluss nur ungern verzichten – nicht einmal aus noch so edlen Motiven. Deshalb werden die Grünen „diversitätspolitische Sprecher*innen“ installieren. Denn das fällt allemal leichter als Mandatsverzichte.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 1. Juli 2020)


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