16.04.2020

Im Kampf gegen Corona ist Kleinstaaterei das falsche Mittel

Die Ministerpräsidenten der Länder und die Kanzlerin werden heute Nachmittag beratschlagen, wie es weitergehen soll bei ihrem Kampf gegen die schnelle Ausbreitung des Corona-Virus wie gegen allzu schwere wirtschaftliche und soziale Verwerfungen. Sie sind dabei nicht zu beneiden. Wenn der Begriff „Neuland“ Sinn macht, dann hier. Denn wir haben keinerlei Erfahrungen mit einer solchen Pandemie. Die Ratschläge aus der Wissenschaft sind hilfreich, nur sind von der Heerschar von Professoren keine Patentrezepte zu erwarten. Von den über Nacht zu Medienstars aufgestiegenen Virologen hat seit Ausbruch der Pandemie jeder sich selbst schon korrigieren müssen. Und untereinander sind sie ohnehin nicht einer Meinung.

Es steht zu erwarten, dass Angela Merkel heute Abend gewisse Lockerungen bei den zahlreichen, seit Mitte März geltenden Beschränkungen verkünden wird – erste, vorsichtige Schritte. Wie immer die neuen Freiheiten im Alltag auch aussehen mögen: Das Wichtigste ist, dass es einen einheitlichen Rahmen für alle 16 Bundesländer gibt. Es wäre der Bevölkerung nicht zu vermitteln, dass in einem Bundesland die Kitas wieder geöffnet werden, während ein paar Kilometer weiter lediglich die Abiturienten wieder in die Schule dürfen. Auch wäre niemandem zu erklären, warum das Haareschneiden etwa auf der baden-württembergischen Seite des Rhein als ungefährlich gälte, auf der rheinland-pfälzischen jedoch verboten bliebe.

Unsere föderale Struktur gibt den Ländern viele Möglichkeiten, auf die Besonderheiten der unterschiedlichen Regionen einzugehen. Das ist auch gut so. Selbstverständlich müssen die Länder und auch die Kommunen die Möglichkeit haben, von den künftigen, bundesweit geltenden neuen Regeln in Ausnahmefällen abzuweichen. In dünnbesiedelten Gegenden ist die Infektionsgefahr nun mal eine andere als in Großstädten. Andererseits ist ein Schichtbetrieb in Schulen in ländlichen Regionen mit einem völlig unzureichenden Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln schwerer zu organisieren als in Metropolen mit ausgebautem U- und S-Bahnnetzen. Aber auch in Ballungsräumen muss gewährleistet sein, dass das Abstandhalten am Arbeitslatz oder in Geschäften nicht dadurch konterkariert wird, dass die Menschen dichtgedrängt in Bussen und Bahnen stehen müssen.

Die Corona-Pandemie ist in vielerlei Hinsicht eine Bewährungsprobe: für die Handlungsfähigkeit des Staates, für die Belastungsfähigkeit unseres Gesundheitssystems, für die Solidarität der Menschen untereinander – nicht zuletzt auch für den Föderalismus. Dies ist nicht die Stunde für einen Wettbewerb der Länder, nicht die Zeit für Kleinstaaterei, schon gar nicht die Gelegenheit für die Profilierung einzelner Regierungschefs und Regierungschefinnen untereinander. Was nützten einem Bundesland oder einem Regierungschef die schönsten Umfrageergebnisse, wenn die Bundesrepublik insgesamt diese Krise nur mit großen Kollateralschäden meistern würde? Die Menschen erwarten von ihren Spitzenpolitkern jetzt ein klares, einheitliches Signal, wie es weitergehen soll und muss. Nur so wächst Vertrauen – und der in Zeiten der Ungewissheiten notwendige Mut.

(Veröffentlicht auf www.focus.de am 15. April 2020.)


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