13.01.2020

Hase gegen Igel: Die Linke bietet immer etwas mehr als die SPD

Sage keiner, als Opposition könne man nichts erreichen. Die Linke hat im Bund noch nie regiert, doch beeinflusst sie die Sozialpolitik deutlich. Den gesetzlichen Mindestlohn forderte die Partei - damals noch unter dem Namen - PDS so lange, bis auch die SPD auf diesen Weg einschwenkte und der Mindestlohn Gesetz wurde. Der Mietendeckel, durch den keine einzige Wohnung entsteht, ist von der Linken in Berlin erfunden worden und hat Sozialdemokraten landauf, landab animiert, Ähnliches zu fordern. Auch die Parole „Hartz IV muss weg“ kam von der PDS, ehe sie von der SPD zur Beschlusslage erhoben wurde.

Natürlich waren der Linkspartei beim Mindestlohn die seit 2017 geltenden 8,84 Euro pro Stunde zu wenig. Bald forderte sie 10 und 12 Euro. Die 12 Euro, aus Sicht vieler kleiner Unternehmen gefährlich hoch, hat die SPD längst offiziell übernommen. Und siehe da: Jetzt ist die Linke bei 13 Euro. Das fordert sie in ihrem neuen „Konzept für einen demokratischen Sozialstaat“. Damit demonstriert Die Linke, dass sie im sozialpolitischen Wettbewerb „wer bietet mehr“ den Sozialdemokraten keine Chance lässt.

Eine Mindestrente von 1200 Euro, eine Erhöhung des Rentenniveaus auf 53 Prozent, die Abschaffung von Hartz IV oder Mindestgehälter von 3000 Euro brutto für Pflegekräfte und Erzieher, frei wählbare Arbeitszeiten zwischen 28 und maximal 35 Stunden - diese linke Wunschliste dürfte bei den SPD-Vorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans nicht die Frage nach der Finanzierbarkeit aufwerfen; solide Finanzen stehen für die SPD-Spitze wahrlich nicht oben auf ihrer Prioritätenliste. Esken und Walter-Borjans werden sich eher fragen, ob sie mit ihren Vorschlägen für soziale Wohltaten nicht zu zurückhaltend waren: Darf, kann, muss es nicht ein bißchen mehr sein?

Als die SPD im Bund noch den Kanzler stellte, verfolgte sie eine Sozialpolitik des Möglichen. Denen, die Hilfe brauchten, sollte der Staat helfen. Aber Gerhard Schröder und Franz Müntefering dachten ebenso an die Finanziers des Sozialstaats, also an die große Zahl der Steuer- und Beitragszahler. Die Esken/Borjans-SPD hat dagegen den Kurs der Linken eingeschlagen: mehr soziale Wohltaten, mehr Staat und mehr Umverteilung. Doch gleicht das Ganze dem Wettlauf zwischen Hase und Igel: Sobald die SPD eine Forderung der Linken übernimmt, satteln die munter drauf. Zugleich verprellt die SPD noch mehr Wähler aus der arbeitenden, steuerzahlenden Mitte. Die normalen Arbeitnehmer und Wähler sehen nämlich Monat für Monat auf ihrer Gehaltsabrechnung, dass der Staat keine Kuh ist, die im Himmel gefüttert wird und auf Erden Milch gibt.

Mit ihrem Sozialpapier setzt die Linke eindeutig auf die Abgehängten und Benachteiligten, nicht auf die Mehrheit der Arbeitenden. Das ist aus ihrer Sicht logisch, weil sie ohnehin keine Chance hat, auf Bundesebene 20 Prozent und mehr zu erreichen. Esken und Walter-Borjans, angetrieben von Juso-Chef Kevin Kühnert, sind dagegen dabei, den Weg der einstigen Volkspartei SPD zurück zu einer klassenkämpferischen Organisation zu beschleunigen. Das aber ist ein wenig erfolgversprechende Unterfangen. Denn bei einem Volksbeglückungs-Überbietungswettbwerb zieht die SPD gegenüber der Linken stets den Kürzeren. Sobald Esken-Borjans ebenfalls für einen Mindestlohn von 13 Euro sind, fordert die Linke mindestens 14 Euro. Darauf darf gewettet werden.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 13. Januar 2020.


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