13.12.2019

Eine Fusion von SPD und Linke macht Sinn, ist aber unwahrscheinlich

„Wer hat uns verraten? Sozialdemokraten!“ Mit diesem Slogan haben vor hundert Jahren Sozialisten und Kommunisten die SPD geschmäht, weil diese bei der Novemberrevolution 1918 einen echten sozialistischen Umsturz verhindert hätten. Knapp 90 Jahre später sprachen linke Gewerkschafter und SPD-Linke auch von Verrat, wenn sie die Agenda-Politik der rot-grünen Bundesregierung und insbesondere die Hartz-Gesetze kritisierten. Dieser Ärger über den vermeintlich neoliberalen Gerhard Schröder führte zur Gründung der „Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit“, die später mit der PDS zur Linkspartei fusionierte.

Die damals von der SPD enttäuschten Genossen können inzwischen mit ihrer ehemaligen Partei wieder zufrieden sein. Mit der Wahl des neuen Führungsduos Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans sowie den jüngsten Parteitagsbeschlüssen ist die SPD wieder weit nach links gerückt. Die Abkehr von Hartz IV, die Forderung nach einer Wiedereinführung der Vermögensteuer, der Vorstoß für eine staatliche Einheitsversicherung gegen Krankheit oder der Ruf nach einem Mindestlohn von „mindestens 12 Euro“ – das alles könnten Politiker der Linken unterschreiben.

Es entbehrt also nicht einer gewissen Logik, dass der WASG-Mitbegründer Klaus Ernst und der 2005 zu dem Wahlbündnis aus WASG und PDS gestoßene Ex-SPD-Chef Oskar Lafontaine inzwischen laut über einen Zusammenschluss der Esken-Borjans-SPD mit der Linken nachdenken. Die Wiedervereinigung auf der linken Seite des politischen Spektrums machte aus der Sicht Ernsts dann Sinn, "wenn die SPD tatsächlich die Interessen der abhängig Beschäftigten und der Rentner, also die soziale Frage, in den Mittelpunkt rückt". Lafontaine wünscht sich das ebenfalls. Seiner Meinung nach fehlt für eine Fusion jedoch die „gemeinsame programmatische Grundlage.“

Auf den ersten Blick spricht vieles für ein Zusammengehen der beiden Parteien. Beide könnten davon profitieren, dass sie im Westen und Osten jeweils dort schwach sind, wo der andere relativ stark ist – und umgekehrt. Auch hat sich Oskar Lafontaine als saarländischer Landespolitiker mehr oder weniger in den politischen Vorruhestand begeben, spielt auf Bundesebene keine große Rolle und ist als Ex-SPD-Chef für seine alten SPD-Genossen keine Reizfigur mehr. Schließlich müssten SPD und Linke nicht mehr um dieselben Wähler konkurrieren und könnte sich eine vereinte Linke auf die Auseinandersetzung gegen die anderen Parteien konzentrieren, nicht zuletzt auf den Kampf gegen die AfD.

Politik besteht jedoch nicht nur aus Sozialpolitik, aus Verteilen und Umverteilen. Es gibt zudem die wichtige Außen- und Sicherheitspolitik. Da ist Die Linke aber weit davon entfernt, mit der SPD eine gemeinsame Basis zu finden. Die Linke lehnt Auslandseinsätze der Bundeswehr ab, würde lieber heute als morgen raus aus der Nato, steht Moskau deutlich näher als Washington. Auch propagiert die Linkspartei eine Flüchtlingspolitik der weit offenen Grenzen, weshalb sie im Osten viele Wähler an die AfD verloren hat. Da einen gemeinsamen Nenner zu finden, fiele SPD wie der Linken schwer.

So reizvoll politische Planspiele dieser Art auch sein mögen: Parteien bestehen aus Menschen und die haben ihre ganz Maßstäbe. Eine Fusion geht immer mit dem Verlust von Positionen einher. Da aber eine fusionierte „Sozialdemokratische Linke“ nicht alle Positionen doppelt besetzen könnte, müsste mancher auf das geliebte Mandat oder Parteiamt verzichten. Das träfe im Osten in erster Linie SPD-Aktivisten und im Westen eher Linken-Funktionäre, weil die ehemaligen SPD-ler im Osten ebenso in der Minderheit wären wie die ehemaligen Linken im Westen. Das lässt sich an der Partei Die Linke studieren. Zwölf Jahre nach der Verschmelzung von WASG und PDS ist der innerparteiliche Ost-West-Gegensatz keineswegs überwunden.

Selbst wenn eine Fusion von SPD und Die Linke sinnvoll wäre: Realistisch ist sie in absehbarer Zeit nicht. Die neue SPD-Führung hat ganz andere Sorgen, als darüber nachzudenken. Und in den neuen Ländern, in denen Die Linke deutlich mehr Mandatsträger und Mitglieder aufzuweisen hat als die westdeutschen Landesverbände, fürchtet mancher um das spezifisch Ostdeutsche der einstigen SED. Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau formulierte ihr Nein zu einer Fusion mit einer Portion Ironie: "Ich stehe für Zwangsvereinigungen nicht zur Verfügung." Wobei die ehemalige Mitarbeiterin beim Zentralrat der FDJ über die Zwangsvereinigung von Sozialdemokraten und Kommunisten in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone nicht richtig informiert zu sein scheint. Heute müsste, anders als 1946, niemand um seine Freiheit fürchten, wenn er sich einem Zusammenschluss widersetzte.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 13. Dezember 2019.


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