03.12.2019

Die Borjans/Esken-SPD will Schröders Politik endgültig abwickeln

Gerhard Schröder hat vor 21 Jahren für die SPD das Kanzleramt erobert und es vier Jahre später verteidigt. Mit der Agenda 2010 hat er die Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik der neuen Wirklichkeit in einer globalen Wirtschaft angepasst. Trotz vieler unpopulärer Entscheidungen hat er bei der Bundestagswahl 2005 mit 34,2 Prozent noch ein sehr respektables Ergebnis erzielt. Doch heute ist Schröder mit seiner Agenda-Politik für die meisten Genossen der Hauptschuldige am Niedergang der ehemals großen Volkspartei namens SPD.

Mit der Entscheidung für Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken hat die Parteibasis nicht nur Bundesfinanzminister Olaf Scholz die rote Karte gezeigt. Der Altkanzler kommentierte das mit einem Satz: "Ich habe das Verfahren für unglücklich gehalten und das Ergebnis bestätigt meine Skepsis". Aus gutem Grund: Schröder war immer einer, der ebenso wie Franz Müntefering wusste, dass „Opposition Mist ist“. Zudem muss er davon ausgehen: Die Esken/Borjans-SPD hat ein großes Ziel: die Agenda-Politik oder das, was davon noch übrig ist, abzuweickeln – und zwar mit dem für Ideologen charakteristischen Furor.

Das „Fortschrittsprogramm“, das das neue Führungsduo dem Land verordnen will (https://standhaft-sozial-demokratisch.de/digitalisierung-sozial-demokratisch-gestalten/), liest sich, als wären weite Teile davon im Karl-Liebknecht-Haus der Linkspartei geschrieben worden. Der wichtigste Punkt: in den nächsten zehn Jahren 500 Milliarden Euro für öffentliche Investitionen, finanziert durch eine kräftige Neuverschuldung und höhere Steuern. In dem Papier werden zwar nur höhere Unternehmenssteuern gefordert, aber Esken und Borjans haben auf vielen Veranstaltungen klar gemacht, dass sie „die Reichen“ ebenfalls kräftig zur Kasse bitten wollen – durch höhere Sätze bei Einkommensteuer und mit Hilfe einer Vermögensteuer. Den Unternehmen drohen sie weitere Belastungen an. Erstens durch einen Mindestlohn, für den „zwölf Euro eine gute Mindestorientierungsgröße“ sein sollen. Mit anderen Worten: Es darf auch etwas mehr sein. Und zweitens durch den Anspruch aller Arbeitnehmer auf „letztlich 12 bezahlte Arbeitstage jährlich“ für die Weiterbildung. Das alles ist genau das Gegenteil der Schröderschen Politik. Der hatte mit seiner großen Steuerreform die Wirtschaft ebenso entlastet wie die Bürger und damit einen kräftigen Wachstumsschub ausgelöst.

Borjans und Esken wollen zudem eine alte Forderung der Linkspartei erfüllen: „Hartz IV muss weg“; sie nennen das „Überwindung des Hartz IV-Systems“. Das soll so gelingen: Aus der Arbeitslosenversicherung wird eine Arbeitsversicherung. Die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes soll, wie bis 2005, an die Dauer der Beitragszahlung gekoppelt werden. Damals konnten sich Arbeitslose bis zu 32 Monate lang von den Beitragszahlern finanzieren lassen, ohne sich auch nur im Geringsten um Arbeit zu bemühen. Das hatte zur Folge, dass viele Arbeitslose nach so langer Zeit den Anschluss an die Arbeitswelt verloren hatten und im alten Beruf nie wieder Fuß fassten. In diese Zeit will das rote Duo zurück. Aus „Fördern und Fordern“ wird „Fördern plus“. Wer in der Grundsicherung landet und sich weiterhin nicht um eine geregelte Arbeit bemüht, soll vor Sanktionen sicher sein. Auch wer nicht sät, darf im neuen Arbeiterparadies ernten.

Die rot-grüne Rentenreform der Regierung Schröder/Fischer soll ebenfalls abgewickelt, die nach dem sozialdemokratischen Arbeitsminister Walter Riester benannte private, kapitalgedeckte Altersvorsorgen soll abgeschafft werden. Alle, die irgendwie Geld verdienen, „auch Beamte, Selbständige und Abgeordnete“, müssen künftig der staatlichen Rentenversicherung beitreten. Da darf man gespannt sein, wie viele Beamte und Selbständige dies als Anreiz betrachten, ihr Kreuz noch bei der SPD zu machen. Obendrein macht die Streichung der stattlichen Beamtenpensionen den öffentlichen Dienst sicherlich nicht attraktiver.

Der zeitliche Zusammenhang ist Zufall: Vor kurzem hat die SPD sich mit Stolz an das Godesberger Programm von 1959 erinnert. Der damalige Kurswechsel war für die SPD-Linke zweifellos eine Zumutung. Doch die Anpassung an die neuen Realitäten hatte Willy Brandt den Weg ins Kanzleramt geebnet. Auch Gerhard Schröder hat der Partei viel zugemutet, weil er sie und die Wähler mit der rauen Wirklichkeit einer neuen Weltwirtschaftsordnung konfrontiert hat. Walter-Borjans und Eskens wollen dagegen hinter Godesberg zurück und weg von der Agenda-Politik, obwohl unser hoher Beschäftigungsstand noch heute auf den damaligen Reformen aufbaut. Mit der „Abwicklung von Schröder“ bereiten die Neuen aber kaum die Rückkehr der SPD ins Kanzleramt vor. Da erscheint eine Fusion der SPD mit der Linkspartei wahrscheinlicher.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 3. Dezember 2019.


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