23.09.2018

„Volkspartei SPD“? Das war einmal!

Es ist schon 24 Jahre her, dass die SPD in Bayern bei einer Landtagswahl auf 30 Prozent oder mehr gekommen ist. Doch seit den 30,0 Prozent von 1994 geht es für die weiß-blauen Genossen bergab. Bei den letzten drei Wahlen lag die Partei zwischen 18,6 und 20,6 Prozent: Am 14. Oktober droht nun ein Absturz auf zwölf, elf oder noch weniger Prozent.

Noch sind es knapp vier Wochen bis zur Wahl, doch für die Bayern-SPD und ihre Spitzenkandidatin Natascha Kohnen ist der GAU bereits eingetreten: Die so stolze Volkspartei SPD ist zu klein, um beim TV-Duell der beiden „Großen“ dabei sein zu dürfen. Also wird sich Ministerpräsident Markus Söder im Bayerischen Fernsehen mit dem Spitzenkandidaten der Grünen, Ludwig Hartmann, messen. Denn in den Umfragen liegen die Grünen mit 17 Prozent klar auf Platz zwei. Die SPD konkurriert dagegen mit den Freien Wählern und der AfD um Platz drei; sie liegen derzeit alle bei elf Prozent. Die SPD-Frau Kohnen darf sich deshalb mit den anderen „Kleinen“ in einer Fünferrunde messen – was für eine Schmach.

Die SPD steht aber nicht nur in Bayern noch schlechter da als im Bund, wo sie in den Umfragen auf 17 bis 20 Prozent kommt. Gleich in fünf weiteren Bundesländern neben Bayern kommen die Genossen nur auf Werte unter 20 Prozent: in Thüringen (10), Bayern und Sachsen (jeweils 11), Sachsen-Anhalt (14) und Berlin (17). Überall dort ist die SPD nur noch viertstärkste Kraft. Wer dieser stolzen Partei das vor zehn Jahren vorhergesagt hätte, wäre als politisch unzurechnungsfähig eingestuft worden.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Die SPD ist dabei, ihren Status als Volkspartei zu verlieren. Volkspartei, das bedeutet nicht nur den Anspruch zu haben, mit der eigenen Programmatik Menschen aller Schichten, Landsmannschaften und Religionen anzusprechen. Volkspartei bedeutet auch, dass eine Partei dauerhaft auf Ergebnisse von 30 Prozent plus kommt. Das schafft die SPD im Bund schon seit 2009 nicht mehr. Auch in den Ländern gelingt ihr das immer seltener; nach aktuellem Umfragestand gerade noch in Hamburg (36) und Niedersachsen (33).

Im Niedergang der SPD spiegelt sich auch der gesellschaftliche Wandel wider. Das alte sozialdemokratische Milieu wurde gleichsam wegmodernisiert. Die Industrie schrumpft und mit ihr Zahl der Facharbeiter. Die Arbeitnehmerschaft ist insgesamt so heterogen wie noch nie. Das hat die Gewerkschaften und damit ganz wichtige Hilfstruppen der SPD nachhaltig geschwächt. Zudem hat die SPD gleich zwei neue Konkurrenten bekommen, die sich aus ihrer einstigen Stammwählerschaft bedienen: die Grünen wie die Linke. Hinzu kommt, dass die SPD als Partei der kleinen Leute nicht zuletzt wegen der Flüchtlingspolitik auch an die AfD Stimmen verliert.

Die Schmach der bayerischen Genossen, bei dieser Wahl unter „ferner liefen“ zu rangieren, ist mehr als eine weiß-blaue Besonderheit. Sie ist ein Symptom für den Niedergang einer Volkspartei und für eine tektonische Verschiebung in der Parteienlandschaft. Die CDU/CSU steht im Vergleich zur SPD deutlich besser da, im Bund wie in den Ländern. Aber auch sie kommt derzeit nur noch in sieben Ländern auf 30 Prozent oder mehr. Unübersehbar läuft den beiden Volksparteien das Volk weg. Und keine hat ein Rezept, wie man den eigenen Niedergang stoppen könnte.

Veröffentlicht auf www.focus.de am 22. September 2018.


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